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Missing Link

19 / 04 / - 28 / 06 / 2002
Ausstellung / Diskussion

Überblick und Dokumentation der Arbeiten
der Wiener Arbeitsgemeinschaft “Missing Link” (1970-80)

Arbeitsbericht PROJEKTE 1970 – 72


Goldenes Wienerherz (missing link) 1970, Ansicht/Schnitt

Arbeitsbericht Projekte 1970 – 72
Karl 365 (1971)
16. November: Eine Utopie in neun wirklichen Bildern (1972)
Treffen auf dem Feld (1972)
Via Nostalgia: Straßenarbeit (1972/73)
Stilleben Weltatrappe (1972/73)
Die andere Seite (1973)
Die verstoßene Stadt (1974)
Asyleum – Großes Hutobjekt (1976)
Via Trivialis Fünf Aspekte zur Straße
Wiener Studien
Comments in Architecture (1980)

Reviews

Die Beschäftigung mit Architektur, mit den Problemen der Umwelt, deren Entstehung, Wahrnehmung und Einfluß auf den Menschen als Gruppe und Individuum vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen ergab als Schwerpunkt unserer Arbeit folgende Themenkreise:

Die Beziehungen von Privatheit und Öffentlichkeit und deren Polarisierung als formendes Prinzip historischer städtebaulicher Entwicklung: anhand des Modellfalls der mittelalterlichen Stadt definierten Max Weber und H.P. Bahrdt die Öffentlichkeit als Ort der freien Begegnung, als Ort des Austausches unter gleichberechtigten Individuen, für die Bürger als Ort gegenseitiger Information und gemeinsamer Willensbildung. Der Markt, bzw. der Platz stellte die "Institution" dieses Ortes dar. Privatheit ergibt sich dazu als Gegenpol individueller Entfaltung, als intimer Bereich. Übergangszonen zwischen diesen Polen bilden sogenannte Schwellbereiche. Die Verschränkung von Staat und Gesellschaft und die damit verbundene Aufhebung der genannten Polarität, die Verschiebung der Orte des Waren- und Informationsaustausches im Gefolge wirtschaftlicher Entwicklung und die Erfindung neuer Medien bewirkten durch den Verfall bürgerlicher Öffentlichkeit die Entfremdung städtischen Lebens von politischer Einflußnahme und entzogen der Stadt weitgehend das Monopol als Produktionsstätte und "Informationssystem" (Habermas). In diesem Licht erscheint heute eine Neubestimmung so gängiger Begriffe wie Urbanität, Integration, Öffentlichkeit und Privatheit als die Grundlage eines Verständnisses aktueller baulicher Probleme.

Grundsätzlich damit verknüpft sind die Forderungen und Versuche, die zunehmende Entfremdung und Verselbständigung baulicher Planungsprozesse und -entscheidungen zu verhindern: Mitbestimmung der Betroffenen bei Bedürfnisformulierung und -konditionierung, in einem ständigen Prozeß emanzipierter Öffentlichkeit ergibt sich als eine weitere Zielvorstellung.

Das Funktionieren kritischer Öffentlichkeit hängt entscheidend ab von der Informations- und Artikulationsfähigkeit der Einzelnen untereinander und zur Gruppe. Die Frage nach den Gesetzmäßigkeiten der Vermittlung von Information, von Nachrichten durch bauliche Gestaltung, optische Signale und bildnerische Darstellungsmittel führte zu unseren Untersuchungen über Symbolik, Ästhetik und Struktur im bildnerischen Bereich und schließlich zur Beschäftigung mit Konsumgütern, Industrieprodukten und Materialien.

Entscheidende Ausgangspunkte unserer Arbeit waren u.a. die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Darstellung von Architektur und Raum, das Thema der Visualisation, des Umsetzens und Sichtbarmachens räumlicher und optischer Phänomene einerseits, anderseits experimentelle Entwürfe, bautechnische Entwicklungen und konstruktive Überlegungen, die sich vor allem mit neuen Baustoffen und neuen statischen Systemen befaßten.

Die Architekturprojekte "GOLDENES WIENERHERZ", "SIA CON ALT" und "KARL 365" stellen Versuche dar, die eingangs erwähnte Problematik theoretisch zu formulieren und baulich-organisatorische Grundkonzepte anzubieten, die in sich die Entstehung und Intensivierung des erwünschten öffentlichen Problembewusstseins ermöglichen und aktivieren, gleichzeitig als Instrumente kritischer Öffentlichkeit Kontakte herstellen, Entscheidungsprozesse persönlich erfahrbar, soziales Leben durchsichtig machen. Rückkopplungseffekte und ständige Erneuerung als grundlegende Bedingung sind die Voraussetzung emanzipatorischer Entwicklung in verschiedenen Bereichen der Öffentlichkeit. So gesehen verstehen sich diese Projekte nicht als bauliche Endprodukte mit allumfassendem Anspruch, sondern bieten einem Durchgangsstadium verschiedener Bereiche gesellschaftlicher Entwicklung Katalysator und Wirkungsfeld.


Das "GOLDENE WIENERHERZ" als Umweltsaktivator entwickelt verschiedene Zonen der Verhaltensintensität:

1) im Verkehrskonzept - Vorschlag einer Gondelbahn als Transportmittel zwischen Fußgänger- und Autogeschwindigkeit, als geschützter, relativ intimer Umraum (langsamer als das Auto - Lösung aus den hohen Anpassungsforderungen des Fußgängerverkehrs, Vorinformation, Radio ... in der Gondel).

2) Im Raumkonzept - im Wechselspiel öffentlicher, halböffentlicher und temporär privater Räume ergeben sich intensivere Kontaktmöglichkeiten.

3) im informationstechnischen Konzept - Probleme werden in spielerischer Form näher gebracht, Werbung erhöht die Bereitschaft zur Informationsaufnahme, schließlich bieten sich direkte Problemstellungen an, audiovisuelle Lehr- und Lernmöglichkeiten, direkte Information, direkter Kontakt und Einflußnahme.

Ziel dieser abgestuften Konzepte ist die weitgehende oder zumindest teilweise Freimachung der Menschen vom Streß unserer städtischen Umwelt und Verhaltensweisen, ein Verlangsamen des Rhythmus, die Entlastung beträchtlicher emotioneller Energien, die heute gebunden sind im stilisierten Ablauf städtischen Lebens und Erlebens, das in bestimmten Situationen ein ganz bestimmtes abstraktes Normverhalten verlangt. Erst ein Freisetzen dieser Energien ermöglicht wieder die bewußte Aufnahme von Information, die Bereitschaft zur Auseinandersetzung und Interaktion, zur Gemeinschafts- und kritischen Bewußtseinsbildung. ln diesem Sinn könnte eine kritische städtische Öffentlichkeit wieder zu einem Selbstverständnis und zur aktiven Mitgestaltung ihrer sozialen und räumlichen Umwelt gelangen. Der Umweltaktivator erzeugt an Ort und Stelle Situationen, liefert Modelle und reagiert im FeedbackVerfahren auf die Aktionen und Bedürfnisse, die Kritik der Konsumenten, der Betroffenen.


Am Beispiel "KARL365" zeigt sich der Zusammenhang zwischen öffentlichen Bauaufgaben und politischer Praxis. Das fiktive Thema lautete ursprünglich: Studentenheim, bzw. Studentenzentrum am Karlsplatz. Nach üblicher Praxis wäre dieses sicherlich als fertige, saubere, überschaubare und auf die Erfüllung einiger reduzierter Funktionen verkürzte Baulösung entstanden, die nur kurzfristig finanzielle Mittel bindet und sich der Bevölkerung, sprich: den Wählern, werbewirksam präsentieren läßt. Wir haben in diesem Fall das Schwergewicht von Bauproblemen auf die Fragen der Neuorganisation von Bildungs- und Hochschulwesen verlagert, auf Fragen der Orientierung studentischer Gruppen in der Gesellschaft. Als Ort der gesellschaftlichen, empirisch erfaßten Auseinandersetzung erschien uns der Karlsplatz als Kristallisationspunkt, als freies Experimentierfeld am ehesten geeignet. Entsprechend erfolgte die Organisation und Instrumentierung durch Energieraster und vielseitig verwendbare, bewegliche Bausätze. In logischer Folge bot sich die Präsentation des Projektes in Form eines Planspiels an - das Spiel am Platz, das am Modellfall durch die Bildung eines entsprechenden Problembewusstseins aller optimale Voraussetzungen für die Durchführung schafft.

Die Beschäftigung mit den Gesetzmäßigkeiten der Vermittlung von Information durch Signale, bildneriscbe Mittel und bauliche Gestaltung führte uns zum Begriff des Raums, des Raumanspruchs durch den Menschen und zu den damit verbundenen Verhaltens- und Aktionsmustern - so gesehen auch ein Basisproblem jeder Architektur. Raumanspruch als artspezifische Eigenschaft bedeutet Erwerben eines gewissen Aktionsfeldes, bedeutet Distanzbedürfnis und Abstandhalten zum Anderen. "Je größer die Beengtheit (Straßenbahn, Strand) umso höher die Zäune" (Leyhausen), und umso mehr Spannungen im Angst-Aggressionsbereich. Wird die Anpassungsfähigkeit überfordert, schafft sich der Mensch Ausgleichsräume oder setzt aggressive Zeichen - Ersatz- oder Wunschbilder. Objekte und Bilder sind Mittel, veränderte Raumsituationen zu signalisieren. Das ist das Anliegen unserer letzten Arbeiten, der Gouachemalereien und der Objekte. Eine bauliche und soziale Umwelt, die als fremd und daher feindlich empfunden wird, die Orientierung, Identifizierung und dadurch Kommunikation weitgehend erschwert, prägt Verhaltensmuster, die alle feineren Formen der Mitteilung im menschlichen Umgang verkümmern und nur noch eine grobe Rot-Grün-Signalisierung zulassen. In den Objekten haben wir bewusst Materialien und Produkte dieser Umwelt verwendet, um sie über das Kunstmittel der Verfremdung einerseits der starken emotionellen Belastung zu entkleiden, anderseits sie in neuen Zusammenhängen wieder informationsaktiv verwendbar zu machen, als kritische Zeichen und Anreger einer neuen Sensibilität.


UMWELT – SUMME DER UMGEBENDEN EINFLÜSSE

Jeden von uns umgibt seine eigene Umwelt, die sich oft sehr wesentlich von der des anderen unterscheidet. Bei niederen Lebewesen z. B. ist die Umweltswahrnehmung nur auf die zur Ernährung und Fortpflanzung notwendigen Signale beschränkt. Ueckskyll: "artgleiche und artverschiedene Lebewesen haben quantitativ verschiedene Umwelten“- Bei der Planung werden nun Milieuunterschiede (gesellschaftsrelevante Differen-zierungen) meistens vernachlässigt und das meist apolotische Gesellschaftsbild des Planens, bezogen auf ein "idealschematisches" Bild des Konsumenten, wird zur falschen Planungsvoraussetzung.

Zu dieser Milieuunkenntnis kommt als Faktor noch die große Anzahl der anonymen mehrschichtigen Benützer, die von vorneherein kaum faßbar sind, da es aus u. A. ökonomisch-praktischen Gründen keine Mitbestimmung dieser Konsumenten gibt.

Die Umwelt ist durchaus kein statischer Begriff - nur in Abhängigkeit von Schichtmodellen - da Umweltseinflüsse stetig sind. Gerade in neuerer Zeit ist es durch den Fortschritt der Technik und der Medien notwendig, den Umweltsbegriff neu zu definieren. Durch die Verwendung von Schnelltransportmitteln haben Raum und Zeit eine andere, wesentlichere Bedeutung erlangt.

Es ist möglich, seine Umwelt durch Knopfdruck zu verändern, zu erweitern, sich Informationen selbst von Planeten zu holen, ohne dabei den Lehnstuhl im trauten Heim zu verlassen.

Gerade diese für die Umwelt so bestimmenden Polaritäten zwingen uns zur Auseinandersetzung, zu bewusstem Überschauen der vielfältigen Einflüsse, um zu Planungskonzepten zu kommen, die mehr leisten, als nur eine Grundlage für eine "Bebauung" zu sein.

Nachsatz: Öffentlichkeit als Instrument der Mitgestaltung / Mitentscheidung bedeutet in diesem Zusammenhang nicht Anonymität, sondern Verantwortlichkeit und müßte sich, um Manipulationen zu begegnen, zur politischen Öffentlichkeit im weitesten Sinn entwickeln: Kontrolle von Entscheidungen und Entscheidungsträgern als legaler öffentlicher Akt.


"GOLDENES WIENERHERZ", 1970

Aufgaben:
Aufgreifen, Analyse, Speichern von Tendenzen, deren Berücksichtigungbei der Planung, Prüfen des Planungsergebnisses (feed-back), Sensibilisierung des Modells - permanent sich wiederholender Vorgang.

Mediumträger des kleinen Mannes, wenn es darum geht, gebaute Umwelt zu erfassen, zu kontrollieren, zu planen, sie vielleicht zu verhindern zugunsten einer Strategie: es sollte sozusagen ein umweltsatmendes Gerät entstehen, angeschlossen an eine Kontrollstation, die wissenschaftlich auswertet.

Programm:
Klimatisierter, öffentlicher, halböffentlicher, privater (temporär) Raum, vielseitig benützbar. Unterhaltungsmöglichkeiten im Sinne von Zirkus, Lichtspiel, Ausstellung, direkter Öffentlichkeit, Okkupieren von Räumen durch Gleichgesinnte, durch Einzelne. Probleme werden in spielerisch lockerer Form näher gebracht, Aktionen und Reaktionen des Konsumenten ausgewertet. Direkte Problemstellung, audiovisuelle Lehr- und Lernmöglichkeit, direkte Information und Einflußnahme.
Umweltsregler greift aktiv in die Umwelt ein, erzeugt Situationen, übernimmt kurzzeitig Funktionen, Umweltsaktivator wird zur Umwelt. Mobil, transportabel, 7 Tage bis 2 Jahre an einem Platz, womöglich überall aufstellbar, z.b. in engen Straßen, auf Plätzen, bei Autobahnraststätten, Bahnhöfen, Flugplätzen, an neuralgischen Punkten, die neu konzipiert werden sollen, ferner Ausstellungen, etc.

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