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Missing Link

19 / 04 / - 28 / 06 / 2002
Ausstellung / Diskussion

Überblick und Dokumentation der Arbeiten
der Wiener Arbeitsgemeinschaft “Missing Link” (1970-80))

Wiener Studien



Wiener Typen
aus: WIENER STUDIEN MISSING LINK. Museum des 20. Jhdts. Wien 1978

Arbeitsbericht Projekte 1970 – 72
Karl 365 (1971)
16. November: Eine Utopie in neun wirklichen Bildern (1972)
Treffen auf dem Feld (1972)
Via Nostalgia: Straßenarbeit (1972/73)
STtilleben Weltatrappe (1972/73)
Die andere Seite (1973)
Die verstoßene Stadt (1974)
Asyleum – Großes Hutobjekt (1976)
Via Trivialis Fünf Aspekte zur Straße
Wiener Studien
Comments in Architecture (1980)

Reviews

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"Ich gehe soweit zu behaupten, daß es das größte Glück wäre, wenn man diese Häuser ohne Verluste von Menschenleben hätte rasieren können, denn sie bedeuten eine solche schwere Verlegenheit für jede Stadtverwaltung....und ein derartiges Hindernis für einen modernen Ausbau der Stadt, daß es wahrhaftig am besten wäre, wenn sie je eher je lieber vom Erdboden verschwänden.“

Man schrieb 1934. Die "roten Festungen“ waren im Februar "gefallen“ und unter die heftige Auseinandersetzung um die Wiener Gemeindebauten der Ersten Republik war damit unter Geschützdonner vorerst ein nachhaltiger Schlußstrich gezogen. Nach mehr als vier Jahrzehnten, im Verlauf einer Neugewichtung der Baugeschichte als Geschichte von gebauter Umwelt insgesamt, die aus der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung resultiert, rücken die Wiener Volkswohnhäuser-baulich und funktionell erstaunlich und wieder alle Prognose gut erhalten – als geschichtlich spezifische, beispielhaft städtische Umwelt hierorts wieder näher ins Blickfeld des Interesses.

Die vorliegende Studie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit des behandelten Themas. Sie ist ein gezeichneter Bericht von der Notwendigkeit, ein aufgelassenes Geschäft durch die Hintertür zu betreten, um in den vorgefundenen Regalen des Vergangenen nach der vergessenen Zukunft zu stöbern. Sie ist weiters ein Versuch, durch zeichnerische Analyse und durch weiterführende Formulierung eine verdrängte Position zum gegenwärtigen Selbstverständnis unserer Position zu finden. Die besondere Konstellation von Politik, Bevölkerung, sozialem Leben und architektonischem Produkt macht dieses zur historisch widersprüchlichen Fallstudie angewandter Sozialplanung: Die Wohnungspolitik der Sozialdemokratischen Partei bezweckte einerseits die Sozialisierung eines gesellschaftlichen Teilbereichs: rasche Beseitigung drückender Wohnungsnot und desolatester Zustände (1919 waren rund 90 Prozent der bestehenden Wohnungen ohne Wasser, Strom und WC im Wohnungsverband) durch gesetzliche Maßnahmen – Mieterschutz, Wohnbausteuer, Wohnbauprogramm – und Schaffung von Wohnraum nicht als Ware, deren (Miet)-Preis der Bewegung von Angebot und Nachfrage folgt, sondern als Sozialprodukt, das im Rahmen der Bedarfsdeckung jedem zusteht.

Andererseits wurden dieselben Maßnahmen als Wahrnehmung bürgerlicher wirtschafts- und staatstragender Interessen motiviert: niederes Lohnniveau durch Mieterschutz zum Erhalt der Konkurrenzfähigkeit der Industrie, die bis zu 70 Prozent auf Export angewiesen war – gleichzeitige Stimulierung der Bautätigkeit. Ähnlich ambivalent war insgesamt die Stellung der Partei, die gerade in Wien stark und mächtig und dennoch ständig vom aufkommenden Austrofaschismus bedroht war.

Analog dazu steht die betont massive Wirkung vieler Wohnungsanlagen nach außen hin, ihre starke Isolierung von der Umgebung, während das Innere der Anlagen nur durch wenige, architektonisch akzentuierte Portale zugänglich, das weitgehend autarke, aufgelockerte Bild einer "Stadt in der Stadt“ bietet. Die für damalige Verhältnisse revolutionäre Ausstattung der Höfe und die bauliche Formulierung gemeinschaftlichen städtischen Lebens wurde schließlich von Architekten gestaltet, die, in imperialer großzügiger Stadtbaukunst gemäß dem Erbe Otto Wagners geschult, das Volkswohnungsprogramm in Anlehnung an strenge "bodenbesetzende“ Palastbautradition und formal bürgerliche Platzbildung umsetzten. Der pragmatische Kompromiß – von jeher ein österreichisches Spezifikum – kennzeichnet schließlich die geschichtliche Dimension dieser architektonischen Verwirklichung gesellschaftlichen Willens.

Obwohl die Wohnhöfe der Gemeinde Wien keine sichtbare bauliche Verkörperung der einzelnen Familie zeigen, obwohl die übergreifende kollektive Identität des Baublocks als formaler stilbildender Faktor dominiert, war dennoch funktionell die konsequente Vergesellschaftung der Hauswirtschaft kein Leitbild des sozialdemokratischen Wohnungsbaus. Das militärische Moment dieses Bauens ist, sofern seine polemische Überschätzung nicht durch die geringe Effektivität in den Februarkämpfen relativiert wurde, nicht weniger legal und immanent wie die vorrangige Berücksichtigung militärischer Erfordernisse bei der Planung und Anlage der Ringstraße, der Stadtbahn und anderer städtebaulicher Maßnahmen, denen das gegenwärtige Stadtbild Wiens einiges zu danken hat.

1929 – als die Konstruktivisten in Russland "Paläste der Arbeit“ für die neue Gesellschaft zeichneten, wies El Lissitzky auf die Gefahr hin, in unser Leben ein fremdes, das heißt flaches Pathos einzuführen. Wollen wir überhaupt den Begriff Palais auf unser Leben anwenden, dann galt es, zuallererst die Fabriken zu ‚Palais der Arbeit‘ umzugestalten“. Was für die Konstruktivisten zunächst als sprachliches und theoretisches Problem auf dem Papier auftrat, war zur gleichen Zeit im sozialdemokratischen Wien bereits gebaute Wirklichkeit, konkreter, formalinhaltlicher Widerspruch in einer ganzen Reihe von Wohnungsanlagen.

Die Spannung, die hier zwischen den Begriffen "Volkswohnung“ und "Palast“, zwischen dem gebauten Vokabular und dem rhetorischen Anspruch des politischen Programms auftrat, war nicht ohne historische Vorbilder und Wurzeln. Nicolas Ledoux hatte 1779 die Saline von Chaux – eine bauliche und ökonomische Einheit von Arbeits- und Wohnstätten – nicht in der gebundenen Anlage des barocken Flügelbaus verwirklicht, sondern in der freien Anordnung des Pavillonsystems. 1832 – vier Jahrzehnte nach der Französischen Revolution – griff Charles Fourier bei der Konzeption des Wohnpalastes "Phalanstere“ wieder auf die formale Hülle der barocken Repräsentationsarchitektur zurück ( Versailles, Palais Royale ...). Godin entwickelte diese Ideen 1859 mit der "Familistere“ weiter. Fourier und Godin beutzten als architektonisches Gefäß ihres "Utopischen Sozialismus“ die traditionellen feudalen Großformen, die mit fortschrittlichen Nutzungskonzepten zu Großwohneinheiten umstrukturiert werden sollten.

Im wesentlichen ähnliche Motive lagen wohl der monumentalen Anlage einiger Wiener Wohnhöfe zugrunde. Die Schüler Otto Wagners orientierten sich formal aber weniger am Pavillonsystem ihres Lehrers, wovon auch dessen Projekt einer "Großstadt“ von 1910 beeinflußt war, sondern eher an dessen "Artibus“-Projekt von 1880, dem seinerseits Sempers "Kaiserforum“ gegenübersteht. Die Darstellung dieses Themas bleibt hier nur skizzenhaft und unvollständig angedeutet. Das Faktum, daß im Bereich der Architektur in historisch fortschrittlichen Phasen oft die Formensprache der zu überwindenden und abgelehnten Verhältnisse zitiert wird, fällt in die breite Problematik der sprachlichen Gebundenheit und Eigengesetzlichkeit, welcher die Vermittlung von Bedeutung durch Architektur unterliegt.


Die Internationale Werkbundsiedlung Wien 1932



Wiener Werkbundsiedlung, 1929 - 32, Wien, 13. Bezirk.
aus: WIENER STUDIEN MISSING LINK. Museum des 20. Jhdts. Wien 1978

Der Deutsche Werkbund, schon 1907 gegründet in München - ,Der Zweck des Bundes ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk durch Erziehung, Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlägigen Fragen" -, weist unterschiedlich akzentuierte historische Abschnitte und damit uneinheitliche Zielsetzungen auf. Allen Perioden des Bundes gemeinsam war wohl die Zielvorstellung, das Image des deutschen Handwerks- und Industrieproduktes aufzupolieren vor einem mehr oder weniger ,bodenständigen und nationalen" Hintergrund. Nebenher sollte der Werkbund-gedanke "völkische Bestrebungen" vertiefen helfen, wie es Adolf Vetter bereits 1912 in Wien aussprach.

Trotz guter Organisation und finanzieller Ausstattung des Bundes, trotz vieler und vor allem gegensätzlicher Einflüsse, die sein Wirken bestimmten, bestand die Werk-bundarbeit in der Leistung einzelner. Dies gilt ganz besonders für den Österreichischen Werkbund, der, in seinem Einfluß auf Wien beschränkt, seinen gebauten Ausdruck in der Werkbundsiedlung Wien 1929-1932 fand.

Josef Frank übernahm die Gesamtleitung und wahrscheinlich auch die Auswahl der eingeladenen Architekten: Loos, Lurcat, Hoffmann, Rietveld, Neutra, Haerdtl . . ., die bis auf Frank selbst in der 1927 entstandenen Weißenhofsiedlung Stuttgart nicht gebaut hatten. Nach einigen Bauplatzverlegungen für die ,,Siedlungshäuser mit Wohnungen kleinster Art" wurde schließlich ein Baugrund in Lainz ausgewählt, der zum Verkauf im ,Baurecht" bestimmt war. Fast zwangsläufig ergaben sich daraus die Charaktere der Kleinhäuser, die nicht mehr wie ursprünglich geplant Mietobjekte waren, sondern zum Verkauf bestimmte Wohnhäuser. Die Werkbundsiedlung - als Spätfolge des Städte-baukongresses 1926 in Wien - hatte auch aus diesem Grund kaum mehr alternative Bedeutung für den Bauträger Gemeinde, da diese sich in den Jahren zuvor eindeutig für den "Sozialbau'' in Form des Geschoßbaus (Wohnhof) entschieden hatte.

Sämtliche Bauten der Mustersiedlung sind als Reihen- und Typenhäuser zu bezeichnen, obwohl eine typologische Vielfalt auch durch gegensätzliche Auffassungen der beteiligten Architekten zustande kam und beabsichtigt war. Die gemeinsamen formalen und typologischen Eigenschaften sind vor allem: die Flachdächer (begeh- und betretbar), die maßstäbliche Kleinheit (die zusammen mit polychromer Gestaltung Monumentalität verhindern sollte), das Gartenzimmer, die Typisierung (nicht Normung) der Konstruktion und der Bauelemente, die einheitliche Behandlung der Fassaden, Einfriedungen und Dächer. Gemeinsames qualitatives Merkmal sind der hohe Gebrauchswert und der geringe Instandhaltungsaufwand.

Unterschiedliche Auffassungen sind zu bemerken an der Anzahl der Stockwerke, Unterkellerung, Lage und Form der Stiege, Organisation der Küche (Klein-, Wohn-, Eßküche) und der gesamten Raumorganisation.

Frank weist auf Erweiterungs- und Umbaumöglichkeiten hin, die natürlich heute indivi-duell geprüft werden müßten und nur im Geist und in der Qualität der ursprünglichen Intentionen durchgeführt werden sollten. Denn die Siedlung ist inzwischen zu einem architekturgeschichtlichen Faktor geworden, einem pädagogischen Konzept der "Sachlichkeit". Ihre historische und didaktische Bedeutung wird derzeit unterschätzt.


Projektstudien

Wieweit sich nun von einem Kern alter Prinzipien tragfähige Gedanken für die Zukunft schälen lassen, ist objektiv von den gesellschaftlichen Tendenzen der Gegenwart vorbestimmt. Subjektiv ist dieser Versuch an die Überzeugung gebunden, trotz dem Tabu über einem erhofften Zustand" (einer besseren Gemeinschaft ohne Zwang, die durch bessere Architektur unterstützt wird) die dynamische Substanz einer Tradition nach vorne zu denken und bildlich vorzustellen.

In diesem Sinn zielen die Projekte auf eine Architektursprache hin, die fähig ist - vorausgesetzt, daß sich emanzipative Kräfte in der ,schlechten Unendlichkeit bestehender Gesellschaft" durchsetzen -, Kommunikatives und Solidarisches in städtischen Wohnformen auszudrücken.


Haus Butzengraben - Haus Weidling; zwei Projekte

Überformung und Dialog:
Beide Planungen sehen Zubauten an bestehende Gebäude vor. Am Butzengraben, einem steilen Bachbett im Markt Schwarzach/Pongau, überformen zwei Anbauten (Büro, Wohnung) den bestehenden Bau. Bedingt durch die Grundstücksfigur entsteht ein einziger, langgestreckter Baukörper. Entscheidend für den Entwurf war die z. T. vorgegebene Längserschließung parallel zum Ufer, welche einen darunterliegenden öffentlichen Durchgang zur bestehenden Brücke kreuzt.

Im Haus Weidling im Rotgrabental bei Klosterneuburg kontrastiert ein geometrischer Grundkörper den ausgeprägten Typus des bestehenden Holzhauses mit Knüppelwalmdach.

Vermittelndes Element ist der Weg vom Garten durch den Neubau auf das Dach des Altbaus längs einer durchlaufenden Mauer. Die Fassaden des Kubus zeigen nach jeder Seite andere, spezifische ,Gesichter". Die Grundrißgestaltung schlägt einen Raster gleich großer Räume vor, welche durch Abteilung, Öffnung und Umwidmung eine Nutzungsveränderung erlauben.


Typenreihe 80 Möbel - Wiener Kaffeehäuser: Eine nicht zufällige Gegenüberstellung

Wie viele Möbel braucht man zum Wohnen? Möbel, die wir als Behelfe und Behälter benützen; Möbel, die Atmosphäre und Gelegenheiten schaffen, die Eigenleben und Selbstzweck erwerben; handwerklich hergestellte Möbel, die Unregelmäßigkeiten, Einmaligkeiten zeigen oder seriell gefertigte Möbel, Multiple der Austauschbarkeit?

Mitunter besetzen Möbel die seltenen Freiräume unserer persönlichen Verwirklichung und Inszenierung von Umgebung. Im besten Fall sind Möbel selbständige Typen, die einen losen Spielraum der Auswechselbarkeit und Ergänzungsfähigkeit beanspruchen, ohne sich vorzudrängen. In aller Bescheidenheit spielen sie das Spiel der imaginären Distanzzahlen: Liegehöhe zu Sitzhöhe zu Tischhöhe zu Plafondhöhe. Möbel bedeuten zu anderen Zeiten und anderswo: auf den Fersen, auf den Knien ...

Möbel in Wien? Wohnen in Wien? "Was eine Wohnung ist, hat der Wiener bis 1920 nicht gewußt", bemerkte Josef Frank 1926 in einem Aufsatz: "Diese bestand jederzeit nur aus einem Korridor, der durch Wände in Räume abgeteilt war. Die normale Kleinwohnung Wiens bestand aus einer kleinen Küche und einem größeren Zimmer." Die Ursache dieses Defizits begründet J. Frank u. a. damit, daß "die Österreicher ein unfreies Volk waren, das sich wohl an dem Prunk seiner Herrscher erlaben durfte, aber dabei in niederster Wohnkultur verharrte, da seine Häuser, um gute Umgebungen für die Paläste zu bilden, als solche verkleidet wurden".

Immerhin gab es Kaffeehäuser, die psychohygienischen Ambulanzen bequemer Zeitlosigkeit, die öffentlichen, kommunikativen Ecken der Gründerzeit-Straßenzüge. "Der Wiener wohnt im Kaffeehaus", meint Friedrich Achleitner und bezeichnet damit eine Lebensart der Öffentlichkeit. Solange es Kaffeehäuser gibt, kann man hier also noch wohnen.

Die Statistik der Wiener Handelskammer weist 1976 nach jahrelanger Stagnation erstmals wieder eine Zunahme der Mitglieder der Fachgruppen Kaffeehäuser und Gastgewerbe auf. Tatsächlich aber schlucken weiterhin Banken, Supermärkte und Autosalons die prestigeträchtigen Eckplätze der an hohen Betriebs- und Personalkosten kränkelnden Cafés. Wenn dann in solchen Fällen die Banken - allmählich unter dem Druck einer artikulierten öffentlichen Meinung - zum Trost bei Anlageberatung und Zahlungsverkehr noch ,ein Schalerl Gold" servieren lassen, handeln sie in einem tiefen, zynischen Mißverständnis:

Noch in der kleinsten Filiale erinnert uns die elektronische Digitaluhr an der Wand an den Maßstab, welchem die Zeiteinheit in diesem Raum zugeordnet ist: 'Zeit ist Geld, und Geld in der Zeiteinheit ist Zinsen und Kapital ...'

Im Wiener Kaffeehaus gibt es ein anderes, kostenloses Zeitmaß: ein Glas frisches Wasser, serviert zum Kleinen Braunen, ein weiteres Glas nachher und sooft es verlangt wird

Aus: WIENER STUDIEN MISSING LINK. Museum des 20. Jhdts., Wien 1978.



Feste und Festungen (Wiener Wohnhöfe)
aus: WIENER STUDIEN MISSING LINK  Museum des 20. Jhdts. Wien 1978

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