WWW.HAUSSITE.NET

 

>redirect

16 / 11 / 02 – 15 / 12 / 02
Exhibition / Films / Talks / Performance

Spaces of Translation:
Übersetzungsräume: Eine Sprache sprechen, eine andere verstehen …

Isaac Julien im Gespräch mit Constanze Ruhm.

Erschienen in : Camera Austria 79/2002

Siehe auch
Black and White in Color

Part 1. (1992) 58 Min., Farbe. Engl. OF
Regie.: Isaac Julien (GB)

In der haus.0-Script Sektion:
Frantz Fanon - Kritische Genealogien
(1999)
von Isaac Julien und Mark Nash

English

CR: Dein Hintergrund als Filmschaffender liegt sowohl im British Independent Cinema als auch in der Workshop-Bewegung, die sich in den 80er Jahren entwickelt hat …

IJ: Eine der entscheidendsten Tatsachen, die man aus dieser Zeit einer völlig anderen Filmkultur in Erinnerung behalten sollte, ist, dass im Jahr 1981 der Sender Channel4 und auch eine sehr starke Independent-Filmbewegung ihren Anfang genommen haben. Damals entstand eine Reihe von Filmkollektiven, wie z.B. das Sankofa Collective, dessen Gründungsmitglied ich war, oder das Black Audio Film Collective, der Ceddo Workshop … Wir versuchten, eine unabhängige schwarze britische Filmkultur zu etablieren. Zu diesem Zeitpunkt fanden in Großbritannien eine Reihe von Unruhen und Protesten statt, und die Gesellschaft begriff allmählich, dass zu viele Stimmen von den wichtigsten Bastionen des britischen Fernsehens ausgeschlossen waren, und dass es einen Raum für eine Art von Repräsentationspolitik geben müsste. Das war der Beginn einer anderen britischen Filmkultur, die auch Teil einer Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst war, über die Grenzen der Regionen, der Genres hinweg. Es gab Zeitschriften wie Third Text, … einige der Debatten, die damals in der Photographie stattfanden, sind in unsere Filmpraxis eingeflossen; es gab das Magazin 10/8, das außerordentlich wichtig war, und in dem Leute wie Victor Burgin, Mita Tabrizian und auch schwarze PhotographInnen wie Ingrid Lewis und Leute wie David Lewis und Rotini Fani Kayode veröffentlichten. Ein Film wie Looking for Langston (1989) steht in sehr enger Beziehung mit der Schwarz-Weiss-Photographie und ist von New Yorker Photographen wie Van Der Zee aus den 20er Jahren und Robert Mapplethorpe aus den 80er Jahren beeinflusst. … Es bestand damals ein starkes Interesse an Abbildung und auch an Selbstabbildung.

CR: Anscheinend gab es damals eine echte Vielfalt von Genres, Praktiken und Darstellungsformen, wie Film, Photographie, Publikationen, Performancekunst… Das wirft die Frage nach der Interdisziplinarität auf

IJ: Die Frage der Interdisziplinarität war maßgeblich an der Herstellung der eigenen Arbeit beteiligt. Es gab eine Reihe verschiedener Praktiken, die untereinander in Verbindung standen – Theorie, bildende Kunst, Filmemachen, sogar Theater und Performance. Ich glaube, was damals passiert ist, war ein Anfang... aber gleichzeitig waren wir doch auch Zeugen eines letzten Versuchs, einen eher politischen oder dekonstruktivistischen Zugang zu Film und Photographie zu finden. Diese Interventionen fanden in einem Kunstumfeld statt. Damit hatte diese neue Bewegung, die unter dem Label YBA (Young British Art) bekannt wurde, und die in gewisser Weise von New Labour gefeiert wird, ihren Anfang genommen. Und diese Bewegung stellte eine Art von tiefer gehender Befragung in der Auseinandersetzung mit Bildern und Darstellungsformen, die auch als Dialog mit Teilen der akademischen Welt geführt wurde, in den Schatten. Es scheint mir, dass so eine ganze Generation abgeschrieben wurde, und die Erfolge dieser späteren Formation als Grund dafür genutzt wurden, um diese frühere Gruppierung abzuwerten.

CR: Wer unterstützte die Workshops, wie wurden sie finanziert? Es gab ein breites Spektrum unterschiedlicher Gruppen: Black Audio Collective, Sankofa, Ceddo, Retak

IJ: Zum einen boten uns die Workshops als Struktur eine gewisse Autonomie, darüber nachzudenken, auf welche Weise wir Ästhetik und Politik verbinden und wie wir dies in der eigentlichen Herstellung der Filme visualisieren könnten. Aber ohne die Unterstützung einer Reihe verschiedener fortschrittlicher Institutionen innerhalb der damaligen Kulturlandschaft wäre nichts davon möglich gewesen. So wurden die Workshops unter anderem vom Great London Council finanziell unterstützt - damals war Ken Livingstones Regierung an der Macht, die 1986 von Margaret Thatcher abgelöst wurde. Sie wurden auch von Channel4 Television und einigen lokalen Behörden finanziert. Der Workshop stellte einen Raum dar, in dem nicht nur an der Herstellung von Filmen Interesse bestand, sondern auch an Verleihpolitik, an der Ökonomie der Produktion, an verschiedensten Praktiken eben. Ich denke, dass es wichtig ist, daran zu erinnern, dass alle unsere Filme von Channel4 in Auftrag gegeben worden waren – durch derartige, von der Kulturindustrie ausgehende Initiativen ist damals diese Massenbewegung in der Kunst im allgemeinen und in der schwarzen Kunst im besonderen entstanden. Doch diese Bewegung war nur von kurzer Lebensdauer; die Politik des Thatcherism wußte nur zu genau, dass sie die Unterstützung durch diese lokalen Behörden würde abstellen müssen.

CR: Du hast deinen ersten Spielfilm Young Soul Rebels 1991 gemacht. Von Beginn an hast du dich mit Themen beschäftigt, die weitreichenden Einfluss auf die Diskussion innerhalb der unabhängigen schwarzen Filmproduktion in Großbritannien, und auch in der Gründungssphase der Cultural Studies ausgeübt haben.

IJ: Wenn ich Filme machte, dann habe ich mich immer als jemanden gesehen, der Filme als Künstler macht, deshalb bin ich auf die Kunstakademie gegangen. Diesen Augenblick, als das Ende der Workshops schon abzusehen war, überlebten nicht allzu viele, es gab eine Reihe von Unternehmen im Bereich von Independent Video und Independent Filmmaking, die zugrunde gingen. Dies geschah aus zwei Gründen: erstens gab es kein kulturelles Kapital mehr, um diese Praktiken aufrechtzuerhalten – obwohl doch Experimentalfilme in der Tate Modern vorgeführt werden - und zweitens begann diese Entwicklung des bewegten Bildes innerhalb des Museumraumes, was dazu führte, dass man vom “Tod des Kinos” sprach, und neue Denkansätze bezüglich bewegter Bilder in einem neuen Umfeld diskutierte.

Für mich war das ein besonders interessanter Moment, der aus der Sackgasse führte, in die man durch die kulturelle Vernachlässigung im Bereich des Independent Filmmaking gelangt war, und so wurde für mich die Galerie zu einem Raum, der aus der Asche, aus dem Abfall des Independent Film Movement entstand. Es lag schon lange in der Luft , es fand eine Verschiebung des kulturellen “Geschmacks” statt. Ich habe also nach Young Soul Rebels 1991 im Jahre 1993 The Attendant gemacht und von diesem Zeitpunkt an spürte ich – fast unbewusst – diese Bewegung hinein ins Museum … in The Attendant geht es ja auch um den Museumsraum …

CR: Auf diese Art wurde der institutionelle Raum sowohl zum Gegenstand deiner Arbeit als auch ihr neuer ‚Behälter‘. Du hast diesen Zeitpunkt sozusagen innerhalb deiner eigenen Arbeit markiert; diese Verlagerung aus dem traditionellen Kinoraum hinein in den institutionellen Raum …

IJ: Absolut. 1993 gab es noch dieses Verlangen, Filme zu machen, aber ich wollte eine andere Art von Filmen machen - und der einzige Raum, in dem man das tun konnte, war dieses andere Umfeld der Institution, nicht der traditionelle Kinoraum. So hat diese Bewegung in den Galerieraum die Produktionsbedingungen des britischen Kinos allegorisiert, das als Experimentalkino oder Kunst-Kino damals schon nicht mehr existierte, und diese Verlagerung wurde Teil eines Phänomens in der Kunstwelt. Im Jahr 1993 habe ich The Attendant gemacht, und 1996 hat Douglas Gordon für seine Arbeit den Turner Prize gewonnen. Innerhalb des britischen Raums erscheint mir diese Periode wirklich wie eine Zeitenwende. Es gibt eine starke Abgrenzung, und eine Menge Unzufriedenheit und Ärger über eine jüngere Künstlergeneration, die vom Tod des Kinos, von Video und vom Anbruch neuer Technologien spricht, die diese Arten von Projektion in diesen institutionellen Räumen ermöglichen, und gleichzeitig wird eine vorangegangene Generation völlig verleugnet, die diese Art von Arbeiten ebenfalls im Museumsraum produziert hat. Das ist alles sehr kompliziert.

CR: Schon seit längerem findet eine weitreichende Diskussion über die Praxis des Filmemachens und über Kunstproduktion statt, über das Verhältnis von Kunst und Kino im Allgemeinen…

IJ: Das ist eine interessante Diskussion, weil die Frage gestellt werden muss, warum diese Kinophänomene sozusagen im Museumsraum Zuflucht gesucht haben. Und dann bringt das Kino in der Befragung dessen, was die anerkannten Parameter der Avantgardekunst darstellen, als Katalysator auch noch einen anderen Moment ein. Und es gibt dann auch noch diese Frage nach dem Begriff von Zeit, die in einem Augenblick gestellt wird, in dem die Menschen immer weniger Zeit haben. Es geht um das Verlangsamen der eigenen Wahrnehmung … und natürlich gibt es auch einen politischen Diskurs darüber, wie sich der white cube in einen black cube verwandelt …

CR: In eine black box

IJ: In eine black box – das ist eine Art Überschreitung – die Leute fangen an, diese Mini-Kinos zu bauen. Ich habe meine Filme in dem klaren Bewusstsein gemacht, dass ich aus der Tradition des Kinos komme und dass ich diese Kinoelemente nicht in dem Raum festschreiben möchte, den ich in einem Galerieumfeld schaffe. Für mich ist das bewusst ein politischer Eingriff, und ich habe großes Interesse an diesen sozialen Beziehungen zu den ZuschauerInnen.

CR: In den 80er und 90er Jahren nahm das Kino eine Schlüsselrolle innerhalb bestimmter Formen der Kunstpraxis ein. Ein Teil der Arbeiten aus diesem Umfeld hat sich jedoch nicht mit zeitgenössischen Konzepten von Zeit, Raum und Darstellung beschäftigt, sondern war einfach in einer Art Nostalgie für das frühe Kino befangen und trauerte vergangenen oder Mainstream- Methoden der Kinoproduktion nach…

IJ: Die Frage ist, wie man sich zum Apparat Zugang verschafft. Ich glaube, dass die Obsession mancher bildender KünstlerInnen mit dem Kino tatsächlich eine ist, die nicht an einer Vorstellung von der Durchführbarkeit einer bestimmten Kinopraxis interessiert ist; es ist nur diese auf sich selbst gerichtete Beobachtung des Spektakels, der Ikonographie, oder auch eine bestimmte Nostalgie für das Kino als einer Form von Macht, die ziemlich reaktionär ist. In meiner eigenen Arbeit bin ich sehr stark daran interessiert, all diese vorgefertigten Ideen aufzubrechen. Darum ist es in meiner Arbeit immer gegangen. Ich zitiere aus verschiedenen Genres, filme manchmal auf altem Material; einige meiner Filme sind sozusagen sehr “cineastisch”, weil ich von Filmemacherinnen wie zB. Maya Deren zitiere … ich bin also stark an der Geschichte des Kinos und an der Geschichte des bewegten Bildes interessiert, und in diesem Sinn denke ich, dass falls man mir einen Hang zur Nostalgie nachsagen könnte, dies eine “kritische Nostalgie” wäre, und nicht eine bloße Nostalgie um ihrer Selbst willen.

CR: Es stimmt, dass eine ganze Reihe von Kunstpraktiken auf filmischen Strategien aufbauen, die oft nicht entsprechend rezipiert wurden. Oft scheint es, als würden KünstlerInnen in ihrer Produktion innerhalb eines “Kunstumfelds” zu einer Art “Nullpunkt” des Kinos zurückkehren

IJ: Ich denke, hier liegt eines der Probleme: in der Art und Weise, wie die Kunstwelt das Filmische aufgegriffen hat, als Fetischisierung von Formalismus, oder als ein Verständnis von Kino als einer ‚Nouvelle Vague‘ des Neo-Formalismus. Meiner Meinung nach wollen die Leute, dass die Arbeiten, die auf “bewegten” Bildern basieren, ordentlich innerhalb der Kunstdiskurses platziert sind, als Produktionen im Sinne der Kunstgeschichte. Wenn man das weiter problematisieren will, muss man sich natürlich darauf einlassen, einige dieser Genres und Stile wieder aufzugreifen, indem man sich auf die Produktion einer anderen, dritten Position einlässt… eine Art Störung, die durch eine visuelle Strategie zustande kommt, die aus einer Reihe von verschiedenen Quellen extrapoliert und zitiert. Zur gleichen Zeit muss man den politischen Gehalt wahren, der sich Fragen der Identität annehmen kann.

CR: Sowohl in deinen Dokumentar- und Spielfilmen als auch in deinen Installationen geht es um den Blick – um den Blick des Betrachters/der Betrachterin im Verhältnis zum betrachteten Subjekt, und den Blick der Kamera im Verhältnis zum Raum und zum Filmschnitt. Deine Filme und Produktionen lesen sich fast wie Bestandsaufnahmen möglicher Formen der Dekonstruktion filmischer Konventionen …

IJ: Ich versuche, Genres zu neutralisieren, um damit zu beginnen, etwas Anderes auszudrücken und ich glaube, dass entweder Fragmentierung oder Aufspaltung, oder aber die Dekonstruktion und Rekonstruktion dessen, was man als “oppositionellen Blick” bezeichen könnte, etwas ist, das sehr starken Anteil an meiner Arbeit hat. In einem Film wie Paradise/Omeros findet man auch eine komplette Dekonstruktion von Filmen wie zum Beispiel The Night of the Hunter Aber ich glaube, dass das auch in einigen filmischen, photographischen und visuellen Strategien zu spüren war, die etwas angehören, das ich heute als den “verdrängten” Moment bezeichne. Eines der Probleme bestand darin, dass die Leute eine Zeitlang sehr damit beschäftigt waren, Theorie wortwörtlich in ihrer Kunst umzusetzen, so dass damals jeder dachte, man könne zu einer Arbeit konzeptuell keinen Zugang haben, solange man nicht imstande war, auf all diese möglichen Betrachtungsweisen zurück zu greifen. Ich glaube nicht, dass ich irgendeine meiner Arbeiten gemacht haben könnte, hätte es nicht davor einige andere Arbeiten gegeben – ohne Mary Kelly, Victor Burgin, Laura Mulvey und einer Reihe von Personen, die diesem Umfeld, dieser Art der Auseinandersetzung angehörten. Meiner Ansicht nach gab es in den 90ern bis ins Jahr 2000 hinein keine Produktionen, keine Arbeiten, die diesen Ansatz hätten vernachlässigen können – dies ist der politische, ‚trockene‘ Aspekt, aber diese Konzepte sind in der Zwischenzeit auch wieder überprüft worden …

CR: Also geht es nicht um die Repräsentation von Politik?

IJ: … aber es geht um die Politik der Repräsentation…

CR: Du bist ein Filmemacher zwischen allen möglichen Genres; zwischen Autorenfilm, Dokumentarfilm, Spielfilm … jemand, der immer Konventionen gegeneinander ausspielt, auch durch eine spezielle Konstruktion der visuellen Ästhetik in deiner Arbeit …

IJ: Mein Ziel ist es, all diese Positionen und Genres zu verunreinigen … Wenn ich versuche, über die visuelle Ästhetik der Arbeit zu sprechen, beginnt der Teil, in dem die Fragen des Bildausschnitts, die Verwendung von Farbe, Schnitt, Montage, das Tempo, der Einsatz von schauspielerischen Elementen in einem Dokumentarfilm, oder die Verwendung von vérité in einem Spielfilm ins Spiel kommen. In dem Film über Frantz Fanon (1996) beispielsweise habe ich versucht, Schönheit ‚furchterregend‘ darzustellen, sie sozusagen in einen Albtraum zu verwandeln. Und seltsamerweise glaube ich, dass Paradise/Omeros (2002) letzendlich auch zu einer Art von Strategie geworden ist. Man kann etwas machen, das sehr schön ist, aber vielleicht auch beunruhigend - nicht in einem didaktischen Sinne, sondern so, dass es die Überreste von Trauma enthält; in dieser Hinsicht war es interessant, Paradise/Omeros zu machen – eine Arbeit, die von diesen ästhetischen Strategien durchdrungen ist.

CR: Der Film Paradise/Omeros wurde erstmals im Rahmen der documenta 11 präsentiert. Die Dreharbeiten fanden in Saint Lucia statt. Deine Eltern haben Saint Lucia in den 50er Jahren verlassen, um in London zu leben, wo du aufgewachsen bist …

IJ: Das ist wirklich eines der wichtigsten Themen des Films: der Gebrauch der kreolischen Sprache; die Sprache, mit der ich aufgewachsen bin. Der Film beruht auf einem Text von Derek Walcott aus dem Jahr 1992. Er versucht, entlang dieser Grenzen zu navigieren, er versucht, diese Räume in einem geografischen Sinn zu überschreiten. Ich sehe also die zwei Hauptdarsteller, den amerikanischen Touristen und den kreolischen Rasta und den Buren, ich sehe sie mehr als eine einzige Figur … Für mich kommen viele dieser Fragen im Gebrauch der Sprache zustande, durch den Gebrauch des Kreolischen. Einer der wichtigen Aspekte bei der Herstellung des Films war, die Unterdrückung des Frankophonen innerhalb des Anglophonen zu thematisieren. Das Wissen darum ist verdrängt worden, sogar in den Cultural und Postcolonial Studies. Das war keine Frage, die wirklich angesprochen wurde. Und die Frage der Sprache, und die Frage nach dem Aufbau der kreolischen Sprache entstammt dem Raum der Sklaverei. Und zur gleichen Zeit kristallisiert sie sich sowohl in einer Art von Schönheit, und auch in der Geschichte dieses Raums und stellt so eine gewisse allegorische Beziehung her. Es geht also nicht so sehr darum, zu den Wurzeln zurückzukehren, es geht nicht so sehr darum, diesen Raum wieder aufzusuchen, weil man seinen Stammbaum zurückverfolgen will. Es geht eher um den Versuch, zu zeigen, wie diese Erfahrung ist, von einer Insel im Süden, in der Dritten Welt, in die Erste Welt zu gehen und dann wieder zurückzukehren. Es sind diese Bewegungen im Film, dieses Oszillieren, und welche Art von Subjekt es ist, das daraus entsteht … Daran bin ich interessiert: Was ist dieses Subjekt?

CR: Du hast erwähnt, dass die Muttersprache deiner Eltern das Kreolische ist und dass du als Heranwachsender, der in England lebte, ständig zwischen Kreolisch und Englisch hin und her übersetzen musstest; ein dauerndes Umschalten zwischen zwei Sprachen. Diese Übersetzungsmodi, die du als Kind erfahren hast, haben auf eine Art später deine Praxis als Künstler beeinflusst.

IJ: Es gab da diese Frage nach der Übersetzung ins Visuelle, die nicht illustrierte Theorie bedeutet, sondern eine Form der kulturellen Produktion und einer Praxis des Filmemachens selbst, die einen Teil eben jenes Kerns darstellen, der theoretisches Wissen ermöglicht. Und manchmal kommt auch die Frage von “Nicht-Übersetzung” auf, die wichtig ist; dass manchmal das Nicht-Übersetzbare auch einen Teil der Anerkennung der Differenz ausmacht. Man kann die Differenz, das Anderssein nicht immer kennen. Man kann nicht immer wissen, was man tut, wenn man ein Kunstwerk schafft, wenn man einen Film macht. Es gibt kein theoretisches Modell oder irgendwelche Formen analytischer Aufzeichnungen. So wie in der Filmtheorie – das ist etwas, das ich aus meiner Beschäftigung mit Cultural Studies, Psychoanalyse und all diesen anderen Dingen gelernt habe – ist nicht alles übersetzbar, noch braucht es übersetzt zu werden…

CR: Du warst auch damit befasst, Theorie in eine Praxis der Produktion zu “übersetzen”. So gründen sich zum Beispiel in deinem Film über Frantz Fanon eine ganze Reihe von Aspekten auf Fanons Theorien, auf psychoanalytische und auf postkoloniale Diskurse …

IJ: Ich habe diese hybride Annäherungsweise oft eingesetzt, diese Verunreinigung, das Interdisziplinäre, die Intertextualität – all diese Dinge. Im Zentrum all dessen steht die Frage nach der Kreolisierung: nach der Kreolisierung von Theorie, oder die Kreolisierung einer Praxis innerhalb der bildenden Kunst … das ist eine Übersetzung in diese verschiedenen Formen. Man könnte Filme machen oder Fotos, man könnte sozusagen die eine Sprache sprechen und eine andere verstehen… Ich denke, all diese Lücken und all diese Leerzeichen sind ein Teil dessen, wie man arbeitet und produziert – sie sind das Wichtigste überhaupt.

CR: Diese Übersetzungsräume beruhen also auf einer zeitgenössischen Vorstellung von Identität und Migration; sie beleuchten und reflektieren Erzählungen und Routen der Diaspora.

IJ: Ja, genau, man könnte auch sagen, dass wir im Zeitalter der Globalisierung alle zu solchen migratorischen Subjekten werden.

CR: Eine der entscheidenden Szenen in Paradise/Omeros ist eine Partyszene, die ziemlich verschlüsselt ist … man sieht unter anderem einen Mann auf dem Bett, der von jemandem zusammengeschlagen wird, während die Anderen sich unterhalten und nichts zu bemerken scheinen …

IJ: In dieser Szene wird Musik eingesetzt, “The Tide is High”, und dann die Art, wie sie tanzen … und in genau diesem Raum kommt auch dieses Flashback des Hauptdarstellers vor, das davon handelt, wie sein Vater ihn schlägt, um ihn dazu zu bringen, Englisch zu sprechen. Es geht hier auch sehr um eine Metapher für Assimilation und darum, was auf dieser Reise von einem Ort zum anderen verloren geht. Das ist offensichtlich eine der wichtigsten Szenen – weil die Gewalttätigkeit der Kreolisierung in ihr zusammengefasst wird …

CR: Diese “Gewalttätigkeit der Kreolisierung” scheint innerhalb der Gesellschaft so konventionalisiert zu sein, dass sie überhaupt nicht bemerkt wird …

IJ: Vielleicht ist es die Gewalttätigkeit des Anglophonen … ich denke, für mich war dieser Teil wichtig, zu versuchen, diese Beziehungen gleichzeitig zu rekonstruieren und zu dekonstruieren: es gibt da diesen alten Mann, diesen männlichen Touristen, den männlichen Rasta; das ist alles genau durchdacht, auch was Fragen der Maskulinität betrifft.

CR: Paradise/Omeros ist wie ein hermetischer Raum aufgebaut, in dem bestimmte historische Muster in dualistischer Form wieder erscheinen, die in die ganze diasporische Erzählung eingebettet sind…

IJ: Es gibt da diese jüdisch-christlichen Aspekte des Films, Zitate aus The Night of the Hunter, über Liebe und Hass. Und natürlich geht es auch um dieses Verhältnis von Xenophilie und Xenophobie – es scheint immer so, als könnte man keine dritte Position einnehmen. Das tritt ganz unverhüllt in der schwarzen amerikanischen Kultur zutage, in der Musik, auf der Tanzfläche – da gibt es eine Art Xenophobie, den Hass auf das Andere. Eine ganze Debatte hat sich dieser Themen angenommen, das wurde von Leuten wie Derrida, oder von Julia Kristeva aufgegriffen. Die Frage der kulturellen Differenz, die “Unhöflichkeit” des Unübersetzbaren, diese Stille, die nicht übersetzt werden kann – all diese Dinge stehen im Zentrum von Paradise/Omeros.

CR: Die visuelle Konstruktion des filmischen Raums von Paradise/Omeros ist auf eine Projektion mit drei Screens ausgedehnt…

IJ: Ich habe durch den Einsatz der drei Screens die Frage des Raums verhandelt - das reicht von Cinemascope über ein dreigeteiltes Bild über – in einigen Momenten – den Gebrauch einer einzigen Leinwand in der Mitte. Auf diese Art fluktuiert man zwischen verschiedenen Sehweisen. Diese Funktion der Architektur ist für mich ziemlich wichtig, die Benützung verschiedener Winkel und verschiedener Perspektiven, … diese unterschiedlichen Möglichkeiten des Bildausschnitts... darüber nachzudenken, wie das Subjekt positioniert wird, der Gebrauch der Kamera und der Aufbau der Szene... Bei den Szenen in London ist der Aufbau fast minimalistisch. Es gibt eine Kombination dieses eher minimalistischen oder videokunstartigen Zugangs mit der Landschaft von St. Lucia, die fast barock anmutet. Was mir wichtig ist, ist eine Art Übersetzung dieser Räume und die Auswirkungen, die dies auf den Protagonisten hat; die ihn am Ende dazu bringen, zu sagen: “Ich wusste nicht, wer ich bin und warum ich hier war.” – Das ist offensichtlich eine existentielle Frage. Und natürlich geht es auch um eine Politik des Blicks, um die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt … Aber ich muss gestehen, dass ich auch am Nicht-Sichtbaren interessiert war, so wie die Dinge beispielsweise durch die Verwendung des Tons noch mal zusammengefasst werden. Darüber zu sprechen ist am schwierigsten – in dieser Arbeit konstruiert die Beziehung zum Ton auf eine Art auch unseren Blick und umrahmt diesen Blick sozusagen.

CR: In einem Essay über deine Arbeit schrieb Okwui Enwezor, dass deine Filme immer auf einer zweifachen Trope eines kritischen und eines visuellen Vergnügens beruhen.

IJ: Wenn man einer gewissen Ästhetisierung verpflichtet ist, die gleichzeitig kritische Aspekte beinhaltet, wird das nicht immer richtig verstanden. Eine kritische Haltung einzunehmen bedeutet, dass das ästhetische Vergnügen sublimiert wird; es kann eine Art Ästhetik vorhanden sein, aber diese wird für den Intellekt sublimiert. Ich denke, dass Intellektualität und das Visuelle, die sich gegenseitig verunreinigen, beide zugleich existieren, eins sind. Im Kino ist das etwas, an dem man sich lange abgearbeitet hat: Fassbinder, zum Beispiel, oder Leute wie Joris Ivens und Chantal Akerman; in der Kinopraxis war das schon lange Bestandteil des Vokabulars. Aber die Kunstwelt steht diesen Strategien sehr ignorant gegenüber.

CR: Erzählungen strukturieren Filme, und auch die Identität einer Gesellschaft, einer Kultur… Es zeigen sich interessante Übereinstimmungen zwischen filmischen und sozialen Strukturen … die einander wechselseitig reflektieren und überlagern … da liegt auch ein solcher Übersetzungsraum dazwischen …

IJ: Das ist, glaube ich, wirklich interessant, was das Hollywood-Kino im allgemeinen angeht, da taucht diese Frage nach der Erzählung im Verhältnis zu diesem männlichen Triumphiergehabe auf; es wird sogar noch interessanter, wo die Filme sich sozusagen eines verletzten Subjekts annehmen, einer Art verletzter Männlichkeit. Für mich ist in diesem Zusammenhang das Zitieren aus Filmen in meiner eigenen Arbeit wichtig; es ist ein bewusster Versuch, diese Identifikationssysteme aufzulösen und mit ihnen zu spielen, dabei aber die Differenz zum Subjekt zu verringern. Ich bin sehr daran interessiert, neue Subjektpositionen zu schaffen, mit denen die Leute sich identifizieren können. Doch das kann nur auf suggestive Art geschehen.

CR: In Bezug auf diese Identifikationsprozesse möchte ich die Unterschiede zwischen der Repräsentationspolitik innerhalb der schwarzen Kultur in Großbritannien und der in den USA erwähnen …

IJ: Nun, wenn ich an einen Film wie The Darker Side of Black (1994) denke, glaube ich, dass der – neben meinem neuen Film Baadasssss Cinema (2001) – aus dieser schwarzen politischen britischen Perspektive der Cultural Studies kommt. The Darker Side of Black geht sehr kritisch auf manche Beschränkungen der schwarzen Populärkulturen ein, wie sie an ihren verschiedenen Schauplätzen produziert werden – Dancehall in Jamaica, Hip Hop in New York oder Los Angeles. Es ist also auch ein Versuch, diesen Filmen regelrecht einzuschreiben, was diese Musik in der Öffentlichkeit bewirkt und auslöst. Und ich glaube, dass Spike Lee in Bamboozled vielleicht Recht hat, wenn er sagt, dass es die schwarze Musik ist, um die es ging. Man sieht also, dass die Frage der Radikalität hier nicht mehr vorkommt, sie ist zum Allgemeingut geworden, zu einem Teil des amerikanischen Kapitalismus. Das Problem dabei ist dann die Dämonisierung der Popkultur, was ziemlich problematisch wird, denn dann ist der einzige Raum, der “un-dämonisiert” bleiben kann, der Raum der Hochkultur. Hier habe ich in meiner eigenen Praxis immer versucht, an beidem festzuhalten. Meiner Meinung nach sind, alles in allem, die Versprechungen der schwarzen Populärkultur aus dem späteren 20sten Jahrhundert im Moment ziemlich entleert. Es gibt dieses Gefühl der Hoffnung auf utopische Möglichkeiten einer Erneuerung nicht mehr. Ich stehe der schwarzen Popkultur nicht nostalgisch gegenüber, aber ich denke, das kommt daher, dass ich mich in einer queeren Position befinde, in einer Position des Nicht-dazu-passens. Leute mögen es, wenn solche Positionen Platzhalter für irgendwelche radikale Versprechungen darstellen… Ich sehe sie eher als Vergnügungsräume, die wichtig sind …

CR: Kann man davon sprechen, dass Du eine queere Praxis des Filmemachen betreibst?

IJ: Ich denke, es könnte so etwas geben wie „Queer Uncanny“ … etwas, das im Blaxploitation-Kino wunderbar gedeiht …

CR: Du hast dieses Thema sehr deutlich in The Darker Side of Black angesprochen, in dem es genau um diese homophoben Segmente innerhalb schwarzer Communities geht…

IJ: Meine Erfahrung damit war auf eine Art gespalten; man mag die Musik, aber man mag nicht, was sie ideologisch ausdrückt. Sie ist nicht vorgefertigt, sie ist kein gebrauchsfertiges Produkt , kein prêt-à-porter; vielleicht wäre die Populärkultur nicht an dieser Musik interessiert, wenn sie vorgefertigt wäre. Es geht um diesen widersprüchlichen Aspekt, der sie vielleicht zugleich interessant und ekelerregend macht. Aber man sollte nicht zu moralisch damit umgehen, denn mir scheint, dass das eins der Probleme war, unter denen diese Bereiche besonders zu leiden hatten. Und nichtsdestotrotz ist das Thriumphalistische an bestimmten Haltungen, die von dieser Musik beworben werden, etwas, das wirklich einschränkend wirkt. Es ist offensichtlich, dass in dort Liebe und Sex jegliche Idee einer politischen Transzendenz ersetzt haben … und sexuelle Akte wirken selbst wie eine Art Übertragung.

CR: Baadasssss Cinema ist eine deiner jüngsten Produktionen; ein Dokumentarfilm über das Blaxploitation-Genre, immer schon ein umstrittenes Thema …

IJ: Ein Film wie Baadasssss Cinema ist für mich stark mit The Long Road to Mazatlan (2000) verbunden. In all diesen Arbeiten habe ich mein Augenmerk auf die amerikanische Populärkultur gerichtet … auf weiße Latino-amerikanische Identität, und auf Artefakte der schwarzen amerikanischen Populärkultur. Es hat wirklich keinerlei substantielle Arbeit gegeben, die das Feld der Blaxploitation Movies untersucht hätte. Ich sehe Blaxploitation als ein Genre, das auf einzigartige Weise verdrängt wurde, und absolut keine kritische Aufmerksamkeit gefunden hat – in Baadasssss Cinema geht es also um die Geschichte von Hollywoods Ambivalenz gegenüber Rassenfragen; der Film beschäftigt sich mit den Lebensgeschichten und Erfahrungen der SchauspielerInnen, ProduzentInnen und RegisseurInnen. Es lohnt sich, über Hollywoods Verhältnis zu Rassenfragen in einem zeitgenössischeren aktuelleren Zusammenhang zu sprechen. Zugleich ist Baadasssss Cinema eine Art Untersuchung dieser populären Idiome und vor allem der Verwendung von Stereotypen, und stellt den Versuch dar, die Möglichkeit der Vermittlung innerhalb dieser stereotypen Darstellungen zu diskutieren. In anderen Worten geht es darum, wie diese Repräsentationsformen innerhalb der unbewussten Aspekte schwarzer Populärkultur fortleben … diese Arten der Darstellung finden sich in Videos, im Hip-Hop, sie gedeihen prächtig. Es geht also auch um Geschichte, und um die Erinnerung, um ihren Gebrauch…

CR: Du gehörst also einer Reihe von unterschiedlichen Ökonomien an; der Ökonomie des Marktes gegenüber den Ökonomien des Begehrens … den Sphären von Theorie und Praxis, der Film- und Kunstproduktion …

IJ: Ich glaube, es ist am besten, in mehreren Welten zu leben … von einer in die andere zu übersetzen, wenn das möglich ist. Wie auch immer, ich habe einmal gesagt, das Letzte, was ich jemals tun wollte, sei, in einer Galerie auszustellen. Aber das wirklich Fantastische und Befreiende daran ist, dass man nicht diesen formalen Forderungen gehorchen musst; sie stellen dort nicht die selben Fragen wie zum Beispiel, Wann wirst du deinen nächsten Spielfilm machen? Es geht mehr um Ideen. Es gibt immer noch die Frage nach den Ideen, die im Kino verschwunden ist. Und du musst der einen Ökonomie angehören oder der anderen. Das ist einfach eine der Tatsachen des Lebens.

Übersetzung: C. Ruhm



back