Illicit Form of Meditation

20 / 10 / - 20 / 11 / 2000
Ausstellung / Vortrag

Illicit Form of Meditation


Splitting, (1973)
Gordon Matta-Clark (USA 1943 - 78)

Halcion Sleep, (1994)
Rodney Graham (C *1949)

Evidence, (2000)
Constanze Ruhm (A *1949)

"Circles of Confusion"
Vortrag, Constanze Ruhm


2nd floor installation view

english

"Ich glaube, dass der Voyeurismus eine gute Methode ist, die man von Zeit zu Zeit anwenden sollte. In letzter Zeit habe ich diese Methode nicht so oft benützt, da man immer sehr viel Hingabe und Geduld aufwenden muss. Wie bei einem Ready Made arbeitet man daran, die Leerstellen aufzufüllen, die stummen, unvollständigen Handlungen, die hinter den Begrenzungen der Fenster stattfinden. Man muss dabei genau aufpassen, es ist fast wie eine unzulässige Form von Meditation. Ein scharfer Blick, und ein akutes Gefühl für Veränderungen: man muss eben den richtigen Ort zur richtigen Zeit wählen, sonst ist alles vorbei."
Gordon Matta-Clark, Interview 1974

"Illicit Form of Meditation" stellt drei zeitbezogene Erzählungen vor, deren visuelle Texte sich als Projektionen in den Ausstellungsraum einschreiben: Splitting (1974) Gordon Matta Clark; Halcion Sleep (1994), Rodney Graham; und EVIDENCE (2000), Constanze Ruhm. Die drei Arbeiten - alle ohne Ton - werden innerhalb dieser Anordnung insofern als Meditationen im Sinne von Matta-Clarks Zitat aufgefasst, als sie die Dominanz des Mediums über den Blick thematisieren. Auf diese Art erlauben die Werke eine Sicht auf alltägliche soziale Strukturen und Architekturen, auf kollektive Bildwelten und Erinnerungsformen, die verdeutlichen, wie das Bild des Vertrauten plötzlich seine potentiell unheimliche Konstruktion durchscheinen lässt.

Der Titel "Illicit Form of Meditation" weist auf die Idee gegensätzlicher Kräfte hin, die in verschiedene Richtungen weisen. Der Begriff "illicit" (unzulässig, verboten, illegal) deutet immer auf den Bruch einer Konvention hin, auf die Verletzung eines Tabus, auf die Möglichkeit des bewussten Überschreitens der Grenzen einer sozialen Übereinkunft, die immer auch mit dem Anderen in Verbindung steht. Der Akt der Meditation hingegen verweist auf Techniken von Kontemplation und Vertiefung der Wahrnehmung: es geht nicht so sehr um die Möglichkeit einer Überschreitung nach außen, sondern um die Loslösung des Selbst von einem gegebenen Kontext.

Ob dies nun in Form eines physischen Aktes geschieht, innerhalb dessen eine konventionelle architektonische Struktur regelrecht auseinandergeschnitten wird, ob es sich um einen künstlichen, durch Drogen herbeigeführten Schlaf handelt, der so tief ist, dass er an Bewusstlosigkeit grenzt, oder ob es sich um eine verunsichernde, ziellose Reise durch eine Landschaft handelt, die ein plötzliches Erinnerungsbild sein könnte, oder Teil eines Traumes innerhalb einer unbekannten Form von Halbschlafs: es geht immer um eine Bewegung, die auf einen traumatischen und unaufgelösten Moment ausgerichtet ist, und die durch physische und psychische Verschiebungen von Gedächtnis und Erinnerung ausgelöst werden. Diese Arbeiten verbinden ihre Erzählungen mit einem bestimmten medialen Format und schaffen so eine irritierende Form von Identität, die vor allem aus der Transformation der Topologie der Medien im Zusammenhang mit dem Unbewussten und dem Imaginären entsteht.

Alle drei Werke untersuchen die Syntax des Alltäglichen, wie es sich innerhalb der vertrauten Strukturen einer zeitgenössischen Gegenwart darstellt. Die Zeitkurve führt von der Erzählung über die strukturalistischen Antwort der 70er Jahre auf den Romantizismus der Moderne, von der psychoanalytischen Dekonstruktion des medialen Komplexes, die sich als Gegensatz zur Ideologie Neuer Medien-Kunst der späten 80er und frühen 90er entwickelte, über die Postmoderne an einen Punkt, an dem die Techniken des Informationszeitalters unterschiedlichste Scripts, Plots und Codes des Social Imaginery miteinander vernetzen.

Das Abbild dieser methodischen Untersuchungen wird zu einer Struktur umgewandelt deren Grundriss auf das institutionelle Format von haus.0 projiziert wird. So findet eine kontinuierliche Reflexion über die Identität des Programms statt, das sich in einer weiteren Form von "Illicit Meditation" verwirklicht. Das Vorstellung einer soliden Architektur des Raumes wird nicht aufrechterhalten, vielmehr wird dieser von Innen nach Außen gekehrt und sozusagen institutionell invertiert, zu einem Ausstellungsort verwandelt, wo vertraute Anordnungen den Erinnerungen eines Computergedächtnisses begegnen, und in dem Signale, Verbindungen, Bewegungen unsichtbarer Kamerapfade und projizierte Schichtungen als das sonst unsichtbarer Innere virtueller Konstruktionen sichtbar werden.


Gordon Matta-Clark
Interview 1974 (Auszüge)


Still from Splitting (1973) Gordon Matta Clark

In der Arbeit Splitting (1973), untersucht Gordon Matta-Clark, was das Wesen eines Hauses ausmacht, indem er dieses im wörtlichen Sinn in zwei Teile teilt. Auf diese Weise wird der architektonische Container von seiner sozialen Einheit getrennt. Wie bei so vielen von Matta-Clarks Arbeiten handelt es sich um einen Akt der Enthüllung, eingebettet in den Handlungsraum einer Performance: eine architektonische Intervention als Erzählung, auf Film dokumentiert. Das Ergebnis, hier in Form eines Videos präsentiert, wird nicht nur von der Idee der Enthüllung eines Innenraumes in einem visuellen Format aufgeladen. Das Format des Mediums ist in Bezug auf die Erzählung selbst präsent: durch Zwischentitel und durch die Nähe zu Stummfilm wie auch zu wissenschaftlicher Dokumentation. Im Gedächtnis bleibt einem das einzige Wort, das außerhalb der Zwischentitel auftaucht: die Marke der Säge als Aufdruck auf der Werkzeugkiste: "sawzall", ein Wortspiel, das im Englischen den Begriff des Sägens (sawing) mit dem des Sehens (to see ... all) verbindet.


Book edition, Gordon Matta-Clark, Wallpaper, Buffalo Press (1973)
on display as part of haus.0 Print Plug-In

"Die Dinge, mit denen wir uns damals während unseres Studiums beschäftigten, hatten immer etwas mit einem sehr oberflächlichen Formalismus zu tun, ich konnte nie die Ambiguität, die Mehrdeutigkeit einer Struktur oder eines Ortes spüren, aber genau das ist es, was ich in meiner Arbeit als Eigenschaft, als Qualität erzeugen möchte. Auf gewisse Weise ist dies der Aspekt, den ich für skulptural halte: ein grundlegender Transformationsprozess, der das Gegebene neu definiert. Im Fall des Gebäudes in der Humphrey Street bestand dies im Akt des Schneidens.

Etwas an diesem Haus ist, vor allem in Hinblick auf die Umgebung, innerhalb derer es existiert, sehr substanziell. Es ist so, als würde man mit einer Syntax spielen, oder als würde man eine festgelegte Sequenz von Teilen auflösen. In diesem besonderen Fall besteht die Arbeit aus der Methode, mit der man eine Präsenz, eine Idee schafft. Es ist wie eine Methode der Disorientierung, zu der man gelangt, indem man ein klares und vorgegebenes System benützt.

Die eigentliche Methode, die ich anwende, besteht darin, dass ich mich mit den Materialien des Raumes beschäftige, aber ich denke, dass die Implikationen, die Art und Weise, wie ich mich damit befasse, nichts mit Neugier in Bezug auf die Materialien zu tun hat, oder aus einer Analyse der Teile besteht. Ich interessiere mich mehr für ein Art von psychischer Veränderung."


Rodney Graham


Videostill, Halcion Sleep, (1994)

Auszug aus dem Text des Künstlers "Siting Vexation Island", aus Island Thought .
Dieser wurde als Teil seiner Arbeit im kanadischen Pavillion der Biennale von Venedig 1997 veröffentlicht

"Vor langer Zeit fand ich unter meiner Erinnerungen ein ganz persönliches Substrat von Screen Memories: James Stewart am Schandpfahl des Gefängnisses in Carbine Williams, Stewart Granger, der in Scaramouche beinahe von einem herabfallenden Kronleuchter aufgespießt wird und nur knapp seinem Tod entgeht, Schlangen und Insekten, die in Northwest Passage von hungernden Forschern aus einer schwarzen Pfütze gefischt und verschlungen werden, der leere Scheinwerfer aus The Red Shoes, die Puppen in Lili."

Die Liste dieser schönen, wenngleich auch ein wenig abgenützten filmischen Erinnerungen ist endlich, da sie alle aus einer Zeit stammen, in der ich vier Jahre alt war und mit meiner Familie in einem Holzfällercamp in Britisch Kolumbien lebte. Dort übte mein Vater gleichzeitig die Funktionen des Camp Managers, Kochs (während eines Streiks der Küchenbelegschaft), und Filmvorführers aus. Der letzteren Tätigkeit ging er allerdings nur an Sonntagen nach, wenn Filme im Küchenhaus gezeigt wurden. Ich besuchte diese Vorführungen, und befand mich so - Robert Linsley hat mich darauf hingewiesen - nicht nur im Einflussbereich väterlicher Autorität, sondern auch in einer gewissen Nähe zum kinematischen Apparatus selbst.

(...)

Ich hatte ursprünglich die Absicht, meine Performance Halcion Sleep (1994) filmisch zu dokumentieren, aber es stellte sich heraus, dass dies unpraktisch und letztendlich auch unpassend war. Schließlich entstand ein 26-minütiges Video, das aus einer einzelnen Echtzeit-Einstellung besteht, in der ich schlafend am Rücksitz eines Wagens zu sehen bin. Dieser Wagen bringt mich aus einem Motelzimmer am Stadtrand von Vancouver, wo ich eine doppelte Dosis des sedierenden Medikaments Halcion eingenommen hatte, zurück in meine Wohnung. Auf dieses Medikament fiel meine Wahl, da sein Name Erinnerungen an die Vergangenheit hervorrief: an den mythologischen Vogel Halcyon, der sein Nest im Meer baut. Während ich, nur mit einem Pyjama bekleidet, am Rücksitz des Autos schlafe, bin ich von Bildern einer urbanen Landschaft umgeben, die, auf funkelnde Lichter reduziert, wie das irreale Abbild einer Traumprojektion wirkt. Auf gewisse Weise wollte ich eine Regression ausleben, die auf einer meiner frühesten Erinnerungen gründet : ein kurzes, sehr kurzes Erwachen aus einem luxuriösen und tiefen Schlaf, in den ich auch sofort wieder versinke, auf dem Rücksitz des Autos meiner Eltern, während des Heimwegs von irgend einem Familienausflug."

(...)

Screen Memories, "Deckerinnerungen"

Freud beschrieb mit diesem Begriff Fiktionen, die das Unbewusste erzeugt, um andere, echte Erinnerungen oftmals traumatischer Natur zu verdecken. In der Analyse eines eigenen Traumes, nachzulesen in der Traumdeutung, beschreibt Freud in einer Fußnote das Konzept der "Deckerinnerung", der Screen Memory. Wie Recherchen später ergaben, war diese Fußnote eher eine Assoziation, da Freuds Essay mit dem Titel "Deckerinnerungen" eine eigene Traumerinnerung zitiert: in diesem Traum, der in einer alpinen Umgebung stattfindet, stiehlt Freud einem kleinen Mädchen einen Strauß gelber Blumen. Das Thema des Vergessens und der gewaltsamen Aneignung der Blumen spielen innerhalb des Traums eine wichtige Rolle. Jedoch werden auch noch andere Erinnerungen wachgerufen, nämlich jene an die völlige Zerstörung eines illustrierten Feuilletons über Persien, das der vierjährige Freud in Gegenwart seiner jüngeren Schwester - und unter den merkwürdigerweise wohlwollenden Blicken seines Vaters - zerriß (er erinnerte sich daran, das Buch wie eine Artischocke, Blatt für Blatt, auseinandergenommen zu haben). Wann auch immer ich versuche, mir diese Szene vorzustellen, sehe ich sie in grellem Technicolor vor mir.


Book editions on display as part of haus.0 Print Plug-In:

Rodney Graham, Freud et le cas Katharina, Brüssel: Yves Gevaert, 1991
Rodney Graham [La Véranda], Brüssel: Yves Gevaert, 1989
Herman Melville, La Véranda. Brüssel: Yves Gevaert, 1989
Ian Fleming, James Bond. Dr. No, General Paperbacks: Toronto, 1988
Rodney Graham, p. 56a. Dr. No, (Bookmark) New York: Christine Burgin Gallery, 1991
Alain Robbe-Grillet, La Jalousie, Reclam Verlag, Leipzig


Constanze Ruhm
Interview, Camera Austria

"Es gibt so eine Art kollektiver Erinnerung an Bilder, die jedem vertraut sind und authentische eigene Erfahrungen suggerieren. Diese Bilder entspringen einem allgemein zugänglichen Reservoir, das mich interessiert: das der technischen Bilder, die Fotografie, Kino und Fernsehen uns liefern - inklusive der davon geformten Erzählungen, mit denen ich aufgewachsen bin. Ich versuche, bestimmte Muster festzustellen und diese Strukturen individuell, gleichzeitig aber auch überindividuell zu fassen. Meine Bilder verstehe ich nicht als Aufnahmen eines bestimmten, subjektiven Erinnerungsapparates, sondern eher als als Trigger. Es geht auch um so etwas wie eine Synopsis von Dispositiven, die sich über visuelle Konstruktionen vermitteln können. Niemand kennt wirklich diese Orte, die ich beschreibe, außer mir selbst, trotzdem tritt aber so eine Art Vertrautheit ein."


construction still, EVIDENCE, (2000) Constanze Ruhm

EVIDENCE
Beschreibung von Constanze Ruhm

Ein Ort, eine virtuelle Szenerie in einer verlassenen nächtlichen Landschaft. Gebäude, entstanden aus der Rekombination kollektiver Erinnerungen. Rekonstruktionen erfundener Orte und medial vermittelter Erinnerungsbilder in zufälligen Anordnungen, deren Ursprung selbst wieder im Bereich der Fiktionen liegt. Es handelt sich nicht um Orte, die man tatsächlich besuchen kann. Hier wird versucht, Utopien zu rekonstruieren, die niemals eingelöst wurden, und deren Entzauberung in diesem Moment einsetzt, in dem man des Bildes ansichtig wird, das zuerst die Sprache erzeugt hat, die mutwillig ein Paradies verspricht, weil sie das kann, oder SNACK, HOT MEALS und möglicherweise auch eine Terrasse, eine TERRACE, die keine Aussicht bietet, dafür aber TERROR. Die EVIDENCE, an die ich denke, besteht höchstens in einem Beweis für den Umstand, dass es so etwas wie kollektive Erinnerungsreservoirs gibt. Filmkulissen, Sets und Matte Paintings, Kulissen in einer Landschaft, über die nicht plötzlich die Nacht hereingebrochen ist, sondern die eine artifizielle Dunkelheit ausstrahlt, die aus der völligen Abwesenheit von natürlichem Licht entsteht, ein Set für einen Film, der nie gedreht werden wird, weil es keine Geschichte gibt und keine Akteure, sondern eine andere Art von Narration. Die Architektur selbst wird zur Darstellerin und spiegelt eine Wirklichkeit wieder, die ihren Ursprung in der Kondensation von Geschichten zu Orten, Momenten, und Gesten hat, die , von den Erzählungen losgelöst, sich zu neuen Fiktionen anordnen: ein Rendez-Vous von Fiktionen in Form einer Grammatik, innerhalb derer kollektive Fantasien und narrative Anordnungen, Abbilder von kommunikativen Strukturen in das Gedächtnis eines Computers eingehen, wo sie zu einer anderen Art von Syntax rekonfiguriert werden.


still from EVIDENCE, (2000) Constanze Ruhm

Nach den Regeln dieser Grammatik dienen diese Konstruktionen als gegenseitige Spiegelflächen, sie spiegeln einander wider in der Fortsetzung der Erzählung, die auch eine Rekapitulation ist. An der Oberfläche der Modelle entfaltet sich eine transparente Struktur, innerhalb derer die Formen von Worten und Sprache überzogen werden und deren Bedeutung sich im Prozess von Rekapitulation und Austausch verändern. Die Bilder, Abbilder und Begriffe, die Topologien und Topoi, werden wie Screens und Sensoren aufeinander gerichtet, wie kommunizierende dreidimensionale semantische Flächen und Spiegel.

Die Landschaft bezieht sich vielleicht auf eine Geschichte von Kafka ("Der Bau"). SNACK, die leere Imbissbude, stammt aus einem französischen Film aus den 70er Jahren. Die Hütte nebenan ist die digitale Rekonstruktion einer Hütte in der Nähe von Lincoln, Montana, wo Ted Kaczinsky lebte, der als UNA Bomber kurzen Popstarruhm erlangte. Die ganze Hütte wurde vom FBI zu Beweismaterial erklärt und auf einem Lastwagen abtransportiert. Heute steht sie in einem Hangar irgendwo in Amerika, und sieht aus wie die Installation eines zeitgenössischen Künstlers. Das dritte Gebäude stammt aus einem anderen Kontext. TERROR bezieht sich auf die Fotografie eines Kinos in Los Angeles von Julius Shulman aus dem Jahr 1938, das TERRACE THEATER hieß. Ein flüchtiger Lesefehler macht TERRACE zu TERROR. So wird ein Fehler zur digitalen Bildwirklichkeit. Terrace in Terror verwandelt, die Filmtitel der Originale verschwunden. Stattdessen kündigt sich Wirklichkeit an: Terror, das Trauma, das Loch in der Realität. Eine Hütte, ein Zufluchtsort als Verkörperung existentieller Situationen; Projektionsflächen romantischer Delirien des Zivilisationsflüchtlings. In dieser Arbeit geht es um die Ränder der zivilisierten Welt, um die Kontur von Materie und Material, und wie diese sich innerhalb medialer Formate manifestiert.


Constanze Ruhm, presentation
Künsterhaus Stuttgart 10 / 2000

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