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Transaction

10 / 10 / - 24 / 11 / 2000
Ausstellung / Präsentation

Transaction
Nomeda und Gediminas Urbonas (LT)

Frauen

Transaction
Session
Frauen
Filmauswahl
Filmliste + Synopsis

english

Das Projekt Transaction betrachtet die Psychiatrie als ein Mediums, das in der Lage ist, zwischen Individuum und dem gesellschaftlichen Kollektiv eine kommunikative Verbindung herzustellen. In der Sowjet-Ära wurde die Psychiatrie - gelinde gesagt - mit repressiven Formen staatlicher Kontrolle, und psychiatrische ‚Methoden’ – oder zumindest das, was man darunter verstand – mit Folterwerkzeugen gleichgesetzt.
Psychiatrische ‚Behandlungen’ wurden durchgeführt, um so genannte ‚Staatsfeinde’ zu isolieren und ‚unschädlich’ zu machen. Inzwischen wurde die Disziplin der Psychiatrie rehabilitiert und als Instrument der Reformierung des sozialen Feldes wieder in gesellschaftliche Prozesse eingegliedert. So verwandelte sich ein Werkzeug der Unterdrückung in ein Mittel, das positive gesellschaftliche Entwicklungen in Gang setzen kann.
In einem erst kürzlich veröffentlichten Artikel schreibt der Psychiater Raimundas Milasiunas, Leiter der psychiatrischen Klinik in Vilnius, dass 'Litauen gerade die Rolle des Opfers durchlebt'. Dr. Milasiunas praktiziert die Methode der Transaktionsanalyse, einer Form des analytischen Gesprächs, innerhalb dessen die Patienten eine spezielle Art von Selbstwahrnehmung entwickeln sollen. Man geht davon aus, dass eine Art von ‚script’ existiert, das auf frühkindlichen Erfahrungen der Patienten beruht, und deren Persönlichkeitsstruktur bis in die Gegenwart prägt. PatientInnen und TherapeutInnen versuchen gemeinsam, dieses ‚script’ zu entziffern, um die Traumata lokalisieren, und deren operativen Mechanismen analysieren zu können.

Die Transaktionsanalyse besteht aus einer dreiteiligen Therapieform, die wie ein Spiel angeordnet ist. Der Therapeut/die Therapeutin analysiert die Situation anhand eines ‚Dramadreiecks’, das aus drei möglichen Rollen besteht : Opfer, Retter und Verfolger. Diese Methode lässt jedoch nicht zu, dass sich die TeilnehmerInnen auf nur eine der Rollen festlegen können. Man wechselt kontinuierlich zwischen den Charakteren. Milasiunas betrachtet die Technik der Transaktionsanalyse als eine Möglichkeit, nicht nur mit dem einzelnen Individuum, sondern mit der gesamten 'Nation' über ein 'Kollektivscript' zu kommunizieren, um so durch die Entzifferung der Metaphern, Metonymien und Codes dieses Scripts die gemeinsamen gesellschaftlichen Probleme bewältigen zu lernen. Milasiunas geht davon aus, dass Litauen sich als Nation im Gesamten in diesem Moment seiner Geschichte in der Rolle des 'Opfers' gefällt, daraus zieht er den Schluss, das Litauer offenbar „gerne geprügelt werden".

Heute befindet sich die litauische Gesellschaft in einem schwierigen und labilen Übergangszustand. Das kommunistische Regime sowjetischer Prägung machte nach 1989 einer demokratischen, kapitalistischen Staatsform Platz, deren Strukturen nach wie vor instabil sind. So wird nun die vorher beschriebene Form des ‚Dramadreiecks’ deutlich sichtbar : die Gesellschaft ist voller Opfer, Retter oder Verfolger. Es kommt selten vor, dass die ‚Darsteller’ in die Lage versetzt werden, ihre tatsächliche Situation zu verstehen. Die zahlreichen Brüche im Kontinuum der jüngeren litauischen Geschichte in Verbindung mit den politischen und gesellschaftlichen Vakuen, die daraus entstanden, verhinderten die Möglichkeit der Wahrnehmung größerer politischer Zusammenhänge. Wenn eine Gesellschaft das Wesen der Veränderungen, denen sie unterliegt, nicht begreift, verfällt sie oftmals in stereotype Verhaltensmuster, um sich ihren Zustand und die Dynamiken, denen sie unterliegt, verständlich und plausibel zu machen. Solche Verhaltens- und Rollenspiele beginnen im privaten Bereich, in Küche und Schlafzimmer, und enden auf der Straße und im Parlament.

Die ‚Opferrolle’ besitzt in der litauischen Gesellschaft eine historische Tradition. Alle möglichen Varianten dieses Selbstbilds tauchen in den unterschiedlichsten Zusammenhängen auf. Dr. Milasiunas beschäftigte sich besonders mit der Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit dieser Rolle . Dieser Aspekt ist für die Entwicklung eines neuen weiblichen Selbstverständnisses besonders wichtig, da die litauischen Frauen sich traditionellerweise in der Rolle der Opfer befinden. Auch nach den politischen Umwälzungen 1989 hat sich ihre Situation in keiner Weise verbessert .
Durch das erste Gespräch mit Dr. Milasiunas wurde klar, dass wir uns auf die Untersuchung der Rolle der Frauen in der heutigen litauischen Gesellschaft konzentrieren würden. Dr. Milasiunas bezog auch seine Kollegin, die Psychotherapeutin Ruta Baciulyte in das Projekt mit ein. Baciulyte ist leitende Bibliothekarin der Gesellschaft für Transaktionsanalyse. Sie hat auf dem Gebiet der Transaktionsanalyse bereits große Erfahrung gesammelt. Das Gespräch mit Dr. Baciulyte war hilfreich für die Entwicklung des Rahmenkonzepts des Projekts, das vor allem auf Modelle der weiblichen Repräsentation in den zeitgenössischen litauischen Medien aufbaut, und beschäftigt sich mit Formen der weiblichen Selbstwahrnehmung in einer von Männern dominierten Gesellschaft . Die Frauen, die für Transaction interviewt wurden, haben sich vom gesellschaftlich sanktionierten Skript und auch von der überlieferten Opferrolle befreit, indem sie ihre Lebensbedingungen reflektieren und über die Wahrnehmung gesellschaftlicher Wirklichkeiten neue Konstruktionen weiblicher Identität schaffen.

Die Interviews mit den Frauen stellten eine ausgezeichnete Gelegenheit dar, über ein transaktionsanalytisches Verfahren ein script zu erschließen. Die Frauen berichteten anhand von Filmsequenzen über persönliche Erlebnisse und subjektive Wahrnehmungen. Die Filmszenen fungierten - im übertragenen Sinn - als Schlüsselszenen, als plot points ihrer eigenen Erinnerungen. Wir haben versucht, die Filme, auf die sie sich beziehen, in Form einer Auswahl zusammenzustellen, und - soweit möglich - auf Video zu kopieren.

Der nächste Schritt bestand darin, dass diese Interviews und auch die Filmausschnitte von einer zu diesem Zweck eingeladenen Gruppe von PsychiaterInnen aus verschiedenen Kliniken in Vilnius analysiert wurden. Dr. Milasiunas hatte die Auswahl der TeilnehmerInnen der Analytikergruppe getroffen, die aus vier Männern und einer Frau bestand. Paradoxerweise entspricht diese Zahl genau der prozentualen Aufteilung der Rollen zwischen Männern und Frauen im litauischen Film. Auf vier männliche Darsteller kommt im Allgemeinen nur eine einzige Frau. Die TherapeutInnen analysierten die Filme, Rollen und Darstellungsweisen der weiblichen Figuren und fügten diesen ausführlichen Kommentare hinzu. Das Projekt stellt eine Art von interaktivem Spiel dar, indem diese Gruppe selbst wieder von einer Kamera beobachtet wird.

Gesprächsprotokoll.

RM - Raimundas Milasiunas
ES - Eugenijus Sarovas
RB - Ruta Baciulyte
DP - Dainius Puras
RA - Raimundas Alekna


R.M.: Sind das Drehbücher von Männern? Warum schauen die alle mit so wahnsinnigen Augen? Entmenschlicht ... dann sind die Männern und die Frauen entmenschlicht, dann sind alle Menschen entmenschlicht ...
E.S.: Dann ist das Problem der Kastrationsangst überhaupt nicht gelöst ... und bei der Frau? Wenn es da so etwas gibt, dann hat sie keine weibliche Form.
R.M.: Sie de-kastriert sich.
ES: Das ist es.
R.M.: Sie nimmt sich das wieder, was sie nicht hat.
E.S.: Aber diese Männer wagen viel, wenn sie sich nicht bedroht fühlen. Homosexuelle Filme ... es gibt keine vergleichbare Erotik.
R.M.: Diese Frauen versuchen, sich wiederzuholen, was sie nicht haben. Sie dekastrieren sich selbst, wir können das sagen, sie dekastrieren sich selbst ... es könnte ein Zeichen für eine Gleichheit zwischen ihnen und den Männern sein ...
E.S: Ja, sie sind geschlechtslos...
R.M.: Das stimmt. In diesen Filmen sind die Männer das Geschlecht, während die Frauen geschlechtslos sind.
R.B.: Sind die Männer in den Filmen geschlechtslos?
R.M.: Das ist ein Stadium, in dem Sex als Begriff noch nicht existiert.
R.B.: Hier sind Männer und Frauen geschlechtslos. Sexualität entsteht innerhalb einer Beziehung. Es gibt keine entsprechende Beziehung, und daher gibt eskeine Sexualität.
R.M.: ... Wenn wir über die Beziehung sprechen, ... da besteigt ein Ochse eine Kuh...Das bedeutet, dass Tiere eine Seele haben, und ein Verhältnis zwischen den Geschlechtern.
R.B.: Vergiss nicht, dass Sex in der Sowjetunion nicht existierte.
R.M.: Nein, es gab keinen Sex ... und wenn einer ein Held ist, dann ist er an sexuellen Dingen nicht interessiert.
R.B.: Während Sexualität das Vorrecht der Tiere ist.
R.M.: Die Welt der Instinkte. Fantastisch.
D.P.: Vielleicht ist das Teil unserer Geschichte, einer verfälschten Geschichte. Warum lachen wir? Nichts ist daran so lustig,es war nicht so, wir wurden auf eine bestimmte Art erzogen, und nun wissen wir, dass alles anders ist und dass das Durcheinander der gesellschaftlichen Identitäten in einem anderen Sinn sichtbar wird. Die Rolle einer Frau bestand darin, den gegenwärtigen Status Quo aufrechtzuerhalten, damit nichts Unvorhersehbares passiert, die Rolle der Frau ist es, Stabilität zu gewährleisten, und die des Mannes Entwicklung. Das ist mit ständigen Risiken verbunden.
R.A.: ... ich habe so eine Assoziation ... dass man beurteilt wurde, und entweder ein guter Bürger war oder ein kranker Mensch, je nachdem, worüber man sprach, es war nicht das Verhalten, und es hat überhaupt nichts mit einer anderen spirituellen Welt zu tun gehabt, es war wichtig zu zeigen, worüber man sprach, nicht, was für eine Art von Mensch man war. Es ist besser, einen ursprünglichen animalischen Instinkt zu zeigen, anstatt Gefühle offen zulegen.
R.M.: Es gibt hier einen Helden, aber er ist geschlechtslos. Die Frau ist die Heldin, die das Geheimnis bewahrt...
E.S.: Das überschneidet sich zufällig mit unserer Zeit, denn die Abhängigkeit ist das Charakteristikum eines Kindes. Es ist besser, in einem Abhängigkeitsverhältnis zu leben.
R.M.: Die Abhängigkeit besteht in dieser Trennung ... eine gewaltsame Unterscheidung...
R.M.: Was, Pornographie?
D.P.: ... die Frau mit einem nationalen Symbol zu vergleichen. Ich würde nicht sagen, dass es den Frauen so missfiel. Wer kann schon beweisen, dass wir damals eine schwere Zeit hatten? Wir standen unter Druck, wurden physisch und psychisch gefoltert. Das war das Goldene Zeitalter, nun gibt keine Maschinerie mehr, die uns einsperrt und wo man uns dauernd verprügelt. Wir wurden freigelassen, man hat uns die Freiheit gegeben, alles zu tun. Und jeder ist wütend. Unglücklich. Jemand anderer könnte angeklagt werden. Es tauchte so ein schwarzer Humor auf, man wurde zynisch ...
R.M.: Bestimmte Dinge tauchen auf - warum erinnern wir uns immer noch an die Sowjetunion und sprechen darüber, wie gut alles damals war? Es ist angebracht, hier den Begriff kindlicher Ohnmacht zu verwenden. Aber jetzt gibt es wieder so etwas Kindisches: als könnte man die Vergangenheit kontrollieren, ich gehe zurück zu dieser sowjetischen Periode, zu den Zeiten, in denen alles beschränkt wurde, ich lenke meine Aufmerksamkeit auf diese Zeiten und kontrolliere sie, ich sehe mir den Film an und lache. Jetzt kann ich lachen. Ganz romantisch kann ich jetzt sein und sagen : Waren das Zeiten! Und wie gut das alles war!
D.P.: Es war deshalb so gut, weil man beaufsichtigt wurde. Zwang wird ja oft gleichzeitg mit Bevormundung ausgeübt. Sie sagt zB, "Er ist ein netter Typ, er schlägt mich nicht allzu sehr".
E.S.: Da ist so eine Angst davor, die Verantwortung für die eigenen Taten zu übernehmen. Es ist einfacher, von sich selber zu denken, dass man nicht unabhängig sein kann, als zu sagen "Ich kann mit dieser Welt umgehen." Und diese Art von Verantwortung heißt Reife. Die Tendenz, die Vergangenheit zu favorisieren wird so lange bestehen, so lange es keine Verantwortung gibt.
R.B.: In der Sowjetunion konnte eine Person kein individuelles Selbst haben. Um in dieser Gesellschaft überleben zu können, durfte man kein Individuum sein. Es gibt eine Möglichkeit, dieses Individuum zu werden, aber es ist sehr schwierig, man braucht ein starkes Selbstbewusstsein.
R.A.: Wir können davon ausgehen, dass er Schmerz spürt, dass er etwas sagen möchte. Er hat etwas zu sagen, aber er hat Angst vor Bestrafung.
R.M.: Er klärt gerade für sich, was ihm zu tun erlaubt sein wird.
D.P.: Warum braucht er all diese Komplikationen? Er würde aus der Perspektive eines Zensors sprechen, bevor er irgendetwas tut. Jetzt, da ich sagen kann, was ich will ... Wenn man jemanden fragt, "Und was denkst du?", sagt er dann nichts, weil er darüber nachdenkt, wie er es richtig sagen kann.
R.B.: Wie man Erwartungen erfüllt, indem man sagt, Ich möchte Erwartungen erfüllen ... Jetzt kenne ich den Grund dafür nicht, zuvor war das klarer, jetzt nicht mehr.
R.M.: Eine Auszeichnung bekommen, und Bestrafung vermeiden.
E.S.: Das ist ganz natürlich, jeder spürte so einen Druck, man konnte sogar zum Tode verurteilt werden.
R.M.: In einer demokratischen Gesellschaft versuchen wir natürlich zu akzeptieren, was unsere Eltern, die Umgebung uns geben. Aber in dieser Situation versuchte der Staat, den Status einer elterlichen Autorität anzunehmen, die repressiv funktionierte...
R.B.: ... Man sollte nicht vergessen, dass Litauen der 'Westen' der Sowjetunion war ... es gab ein wenig mehr Freiheiten als woanders. Menschen, die hier lebten, waren zwischen zwei Ideologien hin- und her gerissen: einerseits waren sie gezwungen, die russisch-sowjetische Ideologie anzunehmen, während sie sich andererseits auch westlich fühlten, und das machte die ganze Situation sehr kompliziert. Jetzt haben wir uns befreit und wir leben wie ein völlig freies westliches Volk, aber wir sind das eben nicht, und es gibt heutzutage keine Ideologie, es gibt kein väterliches Bild, das ist nur sehr schwer auszuhalten. Wir sind auch darüber desillusioniert, dass wir kein westliches Land sind, wir sind nicht weit genug entwickelt.
R.A.: Wir hatten nicht wirklich eine Ideologie, die Ideologie war notwendig, als Schutz. Der Grund für unsere Bestrafung war nicht klar ... vielleicht wurden die Gefühle unterdrückt, weil es Fälle unmotivierter Deportationen gab, Ermordungen, Vergeltungsschläge ... die Menschen betonten immer den ideologischen Aspekt, die Ideologie, ohne sie überhaupt zu verstehen. Nur um zu überleben. Während es in dieser Situation eine klare Zurückhaltung gibt. Das ist so, als hätte man einen geisteskranken Vater, der völlig unberechenbar ist - er verprügelt einen, und man kennt den Grund nicht. In so einem Land zu leben ist so, wie wenn man als Kind in einer Familie mit einem geistesgestörten Vater lebt.
R.M.: Die Menschen innerhalb der sowjetischen Gesellschaft zeigten keine Gefühle, und haben sich hinter der Ideologie versteckt, um dem Schmerz zu entkommen. Wir haben diese Gefühle selbst unterdrückt. Wir haben sie gar nicht empfunden, wir haben die repressive Staatsmaschinerie überhaupt nicht gebraucht, wir haben die Ideologie selbständig erfunden. Also, was soll sie heute sein?..
D.P.: Kinder können noch besser als Erwachsene lernen zu manipulieren. Vor allem, wenn es Probleme innerhalb der Familie gibt, in diesem Fall – innerhalb des Staates. Litauer und Georgier haben Moskau überlistet - wie kommt man an das Geld, und so weiter. Wir waren stolz darauf, und sind es noch immer, weil wir das perfekt gemacht haben. Aber um welchen Preis? Wir sollten das vergleichen: mit einem erfahrenen Gefangenen, der lernt, im Gefängnis ein erträgliches Leben zu führen, und er sagt sich selbst, Es geht mir gut hier, ich habe alles. Dann, plötzlich, wird er freigelassen, in den Dschungel, und etwas geht schief. Er sagt dann, im Gefängnis war es besser, weil hier kann man nicht manipulieren, sondern man muss kreativ werden und Verantwortung für die eigenen Handlungen übernehmen.
R.B.: ... während der Übergangszeit gab es so einen Zustand ... wir waren daran gewöhnt, Moskau zu manipulieren, wie einen Vater, aber plötzlich war Moskau verschwunden.
R.B.: Ist es nicht so, dass ein Mann, der einen dysfunktionalen Zustand seines Ichs erlebt - das ist eine tiefere Ebene, dass sich so jemand auf die Ebene des kindlichen Ichs begibt, während die Frau diejenige ist, die sich kümmert, das könnte man schon die zweite Ebene nennen. Während er eine schwache Person ist, die ihre Gefühle nicht kennt, übt er die Rolle des Vaters aus, der Verantwortung übernimmt, und dann können diese Beziehungen sehr kompliziert und schwierig sein. Und dann kann ein Mann nicht mehr länger ohne eine Frau existieren, so wie eine Frau nicht ohne Mann.
E.S.: Ein Mann denkt über Dinge nach. Dinge in einem symbolischen Sinn. "Ich muss mich um ein paar Sachen kümmern." Eine solche Verschiebung zu einer heterosexuellen Beziehung ist unmöglich, solange der Mann die Analphase durchlebt. Dass physische Dinge viel wichtiger wären als ein spiritueller Sinn, der von einer reifen Person erfahren wird. Er findet es sogar schwierig, Lust von außen zu erfahren, von dieser Frau. Er findet es leichter, diese Lust selbst herzustellen, so wie er auch alleine seinen Geschäften nachgeht.
R.M.: Aber ein Mann schaut auch in den Himmel. Er denkt gar nicht an irgendwelche Sachen.

R.B.: Eine Frau versucht, mit diesem Mann eine Beziehung einzugehen.
E.S.: Es gibt nicht so eine natürliche Anziehungskraft, die Anziehung, die eine Frau auf den Mann ausübt. Was ist Sex eigentlich überhaupt? Es sollte Erregung geben, und ein Verlangen.
D.P.: Litauen - eine leidenschaftliche Nation, fast wie die Norditaliener. Ich weiß nicht, bis zu welchem Grad das jetzt stimmt.
E.S.: Und hier findet die Ideologisierung statt. Eine Person beobachtet etwas, ist aber unfähig, eine Entsprechung für das, was sie sieht, zu entdecken, und hier beginnt die Spaltung in dieser Person. Ich bin so und so, es gibt verschiedene Zeichen, was ist die Wahrheit - ich weiß es nicht. Und ich muss dauernd ein Objekt suchen, an das ich mich klammere - entweder an die eigenen Gefühle, oder was ich von dem Screen bekomme.
E.S.: ...wenn wir eine selbständige Person betrachten, dann wird sich diese Person aussuchen, was sie will, und wie sie es empfindet. Aber in diesen Zeiten konnten sich Leute nichts aussuchen. Sie waren unreif ...
R.M.: Es ist wirklich die Wahl hier, die entscheidend ist. Auch in diesen Zeiten mussten wir das sehen, nicht etwas anderes. Wir konnten nicht umschalten.
D.P.: Gibt es keine umgekehrte Seite ? Weil die Massenmedien sich dem Geschmack der Gesellschaft anpassen?
R.M.: ... weil ich mich frage, ob diese Ideologie nicht schon früher von uns erfunden wurde. Und nun gibt es diese Bedrohung, dass wir heute eine andere Ideologie erschaffen könnten. Es ist besser, keine Gefühle zu haben, denn es könnte schmerzhaft sein, wenn man auf spezifische Probleme stösst. Und die Ideologie ist einfach besser, weil sie keine Gefühle kennt. Es existiert der gleiche Wunsch, in die Vergangenheit zurückzukehren, sie zu beherrschen und zu ordnen. Und wenn ich das in meiner Vorstellung geschafft habe, dann scheint es irgendwie positiv zu sein.
R.B.: Kaum. Wir wissen nicht, wie man wählt. Es muss wieder eine sehr starke Kraft sein, die diese Ideologie erschafft und einsetzt.
R.M.: Ja, wenn jemand auftaucht, der es schafft zu sagen, Seht mich an, ich gebe Euch etwas Besonderes, aber ich glaube nicht, dass das ein Staat sein wird ... es wird einer von uns sein.
R.B.: Ich glaube, das wichtigste Problem ist das der Authentizität. Ob wir es wagen, uns selbst zu betrachten, zu identifizieren, zu entdecken, nur dann werden wir fähig sein zu wählen. Und erst dann kann man ernsthaft über Demokratie diskutieren. Aber jetzt gibt es die wirkliche Bedrohung durch eine neue Ideologie.
D.P.: Wir haben genug unter Ideologien gelitten, so sehr, dass mich Ideologien wirklich krank machen, dass mir Worte wie 'Staat' und 'Bürger' völlig egal sind, und das wird in jedem Detail von allem bestätigt, was wir im Fernsehen zu sehen bekommen. Aber das ist auch eine Ideologie, dass für mich alles 'nichts Besonderes' ist, dass ich Bürger dieses Staates bin.
E.S.: Es muss etwas Gesundes in einer Gesellschaft geben, die Gesellschaft kann nicht immer nur krank und depressiv sein und keine Lösungen haben...
R.M.: Sogar ein Kind trifft bestimmte Entscheidungen, aber alles hängt von seinen weiteren Handlungen ab.
R.M.: Vielleicht gab es in diesen Zeiten zu viele, die so ernst waren, die wir heute als irgendwie seltsam und inakzeptabel betrachten, und das ist der Grund, warum wir uns diese Ironie wünschen, einen Sarkasmus, der möglicherweise ungesund ist...
R.B.: Ich glaube, dass ein solch defizitäres Phänomen die meisten gegenwärtigen Phänomene erzeugt. In der sowjetischen Ära herrschte zum Beispiel Mangel
an Schuhen, und heute machen dauernd neue Schuhläden auf, als ob der Appetit der Leute auf Schuhe nicht gestillt werden könnte. Das Gleiche gilt für Unterhaltungs-shows. Es gab keine Unterhaltung, kein Show business ... also können Menschen nicht mit etwas befriedigt werden, das sie vorher nicht hatten. Wenn wir über die Position eines Künstlers sprechen, der möglicherweise über wichtige Werte spricht, wenigstens für ihn selbst wichtig, dann gibt es diese Position eben auch, aber im Augenblick ginge es um die Art und Weise der Konfrontation, wobei die Konfrontation wichtig ist, um die eigenen Werte zu bewahren, nicht um sie zu beschädigen. Aber wie auch immer, es ist eine Verbindung, es ist ein Verhältnis zu der Gesellschaft, in der ich mich befinde.
ES: In Bezug auf Konfrontation - das ist natürlich, es ist natürlich und unvermeidlich, wenn es so etwas wie Wettbewerb gibt. Es muss einfach so sein. Ich kann mich selbst nur entdecken, indem ich mich mit anderen vergleiche. Wir führen soziale Existenzen. Es ist menschlich, sich zu unterhalten, sich mit anderen zu sozialisieren.
E.S.: Wenn ein Kind eine Stresssituation erlebt, und keine Zeit dafür da ist, diese zu verarbeiten, dann reagiert es später heftiger, wenn es geschlagen wird, wenn es Spannungen gibt ... Der Erwachsene will dann jede Erfahrung abschieben. Er reagiert graduell, und abhängig von der Intensität der Erfahrung, er wird soviel Zeit aufwenden, wie er braucht, um all dies loszuwerden. Er wird das Trauma in eine Argumentation verwandeln. Wir wurden gefoltert, und müssen das durch Assoziationen analysieren, indem wir in der Geschichte zurückgehen. Indem wir Schritt für Schritt zurückkehren...
R.M.: Ich habe so ein Gefühl, das sagt ... es ist höchste Zeit, aufzuhören.

Übersetzung: Constanze Ruhm

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