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NICHT löschbares Feuer

04 / 11 / 01 - 14 / 12 / 01
Ausstellung / Screening / Diskussion

NICHT löschbares Feuer
kuratiert von Constanze Ruhm

Über Jill Godmilow:
Warum ich Farocki wiederholte...
Korrespondenz zwischen Jill Godmilow und Harun Farocki über NICHT löschbares Feuer (Inextinguishable Fire)
Farockis Strategien. Technik und Struktur von NICHT löschbares Feuer
Filme von Jill Godmilow

Tom Gunning on What Farocki taught
Filmsynopsen im Video Plug-In
Das Gespräch zwischen Anna und Robert


English


Das Gespräch zwischen Anna und Robert

aus: Etwas wird sichtbar, Harun Farocki 1980 - 1982.[1]

Robert : Ein interessantes Bild. Der amerikanische Soldat hat ein Hörrohr, um zu hören, ob Tunnel in der Erde sind, durch die sich der Vietcong bewegt. Wie ein Arzt. Das Bild sagt: Der Vietcong, das ist die Krankheit, die Vietnam befallen hat. Der amerikanische Soldat ist der Arzt, der das Land wieder gesund macht. Und das Bild sagt etwas zweites: Der Vietcong ist das Blut, das in den Adern Vietnams fließt. Der Herzschlag.

Anna : Wie unerlaubt das aussieht. Ein Bild von uns zwischen den Bildern vom Krieg.

Robert : Wie in einem Kriegsfilm. Eine erregende Liebesgeschichte vor dem Hintergrund von Krieg und Völkermord.

Anna : Es sieht so obszön aus, weil wir unverletzt sind. Die Opfer auf diesen Bildern, die sind blutig, die Täter sind alle unverletzt.

Robert :Warum ist das so ? Wenn man sich umarmt, dann schweigt man. Wenn man anfängt zu denken und zu sprechen, löst man die Umarmung. Oder noch schlimmer: zwei Liebende sprechen zusammen, auf einmal haben sie keine Idee mehr. Da umarmen sie einander. Aber die Liebe und die Politik zu verbinden, das hieße doch, beides zu tun, gleichzeitig.

Anna : Nein, so ist es nicht richtig. Zwei Liebende können einander stumm umarmen, und es ist wie ein Gespräch. Oder sie stehen weit voneinander weg und sprechen, und es ist wie eine Umarmung.

Robert :Ich bin ein Student der Arbeitswissenschaften, aber natürlich nicht richtig. Die Geschichte der Arbeit als Geschichte der Ideen. Vor 10 000 Jahren wuchs der Weizen wild. Dann gab es die zielbewusste Aussaat, zunächst ohne Rodung der anderen Pflanzen und auf unebenem Gelände. Dann die Felder. Ein Feld ist schon beinahe ein Fließband, Sä- und andere Apparate können da langfahren. Aber was noch fehlt, das ist die Analyse. Bis in das 19. Jahrhundert war die Kunst, Getreide anzubauen, in jedem Land, in jeder Region eine eigene Kunst. Heute, da die Labors die Fruchtfolge, Düngung, die Wachstumsbedingungen erforscht haben, gibt es keinen regionalen Weizen mehr. Heißt das nun, das die Ideen über der Erde schweben wie ein Geist ? Oder gibt es amerikanische Ideen und vietnamesische Ideen, gilt eine Idee überall oder nur, wo sie gewachsen ist?

Anna : Sprechen wir von diesen Bildern. Mit diesen Bildern hat es angefangen. Von 1965 erschienen solche Bilder, zuerst in den USA, Schweden, Frankreich, später auch hier. "Folter im Namen der Freiheit" oder "Amerikas schmutziger Krieg" stand darunter.

Robert : Warum gab es so viele Bilder aus diesem Krieg?

Anna : Diese Bilder waren für mich Enthüllungsbilder. Sie enthüllten etwas von den USA, was bisher verborgen war. Die USA, das war bis dahin: das Gesetz. Ich hatte über die USA nicht nachgedacht. Dass die Menschen sterben müssen, dass die Kinder nachts schlafen müssen, dass man arbeiten geht, wenn die Schule zu Ende ist, das alles war das Gesetz. Als Kind, da habe ich mich einmal unter dem Tisch versteckt und ich sah zu, wie meine Mutter mit einem Mann aus der Nachbarschaft vögelte, auf der Couch. Dass die US-Amerikaner folterten, hat mich zunächst nur in Erstaunen versetzt. Als ich die Bilder sah, wollte ich, dass jeder sie sieht. Ich wollte sie öffentlich machen, so wie man eine Frage herausschreit.

Robert : Das Neue war: hier tötete der Amerikaner persönlich, wie ein Sadist, ein Raubmörder, ein rasender Eifersüchtiger. Im Zweiten Weltkrieg hatten sie getötet wie das Gesetz. Sie vollstreckten. Sie schossen mit der Artillerie zusammen, was vor ihnen lag, rückten motorisiert vor, schossen wieder zusammen. Wie eine Maschine. Vollstreckungsmaschine. In Vietnam kommt der Soldat dem Opfer so nahe, dass beide auf ein Bild passen.

Anna : Diese Bilder wollten wir verbreiten. Ich verteilte ein Flugblatt mit vielleicht diesem Bild hier vor dem U-Bahnhof Fehrbelliner Platz. Unter dem Bild war ein Text, der den Abzug der USA aus Vietnam forderte. Ich wurde angepöbelt. Von einer Frau, die aussah wie eine Arztfrau, wurde ich angespuckt, und von einem Mann mit Lederjacke und Schäferhund, wie es in Berlin so viele gibt, geschlagen. Ich hörte dann auf mit dem Flugblätterverteilen und fuhr nach Hause. In der U-Bahn lasen die Leute neben mir die "BZ". Und in der "BZ" war vielleicht dieses Bild. Unter diesem Bild stand vielleicht: Mit äußerster Grausamkeit gehen die Kommunisten in Vietnam vor. Diese Kinder haben gerade ihre Eltern verloren, als sie vom Markt in Pai Qu kamen. Die Bilder lagen so nah beieinander. Wir zeigten auf das eine und sagten, "Amerikaner raus", sie zeigten auf das andere und sagten "Vietcong raus". Das war wie Reklame. Es war ein Wettbewerb um die größte Grausamkeit. Das hat mich beschämt. Die Antwort ist, der Vietcong mag eine Bombe auf diese Kinder geworfen haben. Aber es ist nicht seine Politik, Bomben auf die Kinder zu werfen. Dieser US-Soldat folterte einen Bauern, und das ist die Politik der USA. Das war unsere Antwort. In unserer Gruppe - wir nannten uns Terrorgruppe Neuruppin - war ein sehr kluger Schüler. Er sagte: Nehmen wir an, unter diesem Bild steht: Dieser Mann wurde bei Ausübung seiner Pflicht von einem kriminellen und kommunistischen Mob zu Tode gelyncht. Das ist das in einem Sinne richtig, denn es ist das Bild von einem Wärter aus einem Konzentrationslager, der nach der Befreiung von den Häftlingen zu Tode gelyncht wurde. Der Text ist richtig, aber nicht wahr.

Robert : Es geht also nicht um das, was auf einem Bild ist, eher um das, was dahinter liegt. Aber dennoch zeigt man ein Bild zum Beweis von etwas, was es nicht beweisen kann.

Anna : Wir haben nach einem Bild gesucht, in das alles gefasst ist. Die ganze Geschichte des Krieges in einem Bild. Das kann es nicht geben. Mit diesen Bildern hat es angefangen. 1966, als ich Tippse war in einem Büro, habe ich diese Bilder gesehen und wollte mein Leben für sie ändern. Ich wollte eine Partisanin werden. Ich Büro versuchte ich, zuverlässig zu arbeiten und interessiert zuzuhören, dass sich später niemand an mein Gesicht würde erinnern können. Um vier Uhr nachmittags kam ich nach Hause und trank dann zwei Bier, um schlafen zu können. Ich schlief bis zehn Uhr abends, dann begann mein zweiter Arbeitstag. Ich fing meine Arbeit an mit einem französischen Buch über Vietnam, wobei ich, weil ich kein Französisch konnte, ein Wort las, es dann im Lexikon nachschlug, wieder ein Wort las und so fort. Am Morgen lernte ich die Wörter auswendig. So bin ich für mich zu einer Übersetzerin geworden. Heute kann ich ein französisches Buch lesen, aber indem ich das Französische ins Deutsche übersetze. Auch ein deutsches Buch übersetze ich, indem ich es lese. Ich bin von diesen zwei Arbeitstagen sehr müde geworden. In der Straßenbahn bin ich manchmal im Stehen eingeschlafen. Ich übte damals, die Tiefschlafphasen zu nutzen. In einer Nacht schläft man vielleicht acht Stunden, aber wichtig für die Entgiftung des Kopfes sind nur ein paar Augenblicke.

Robert : 1966 suchte ich nach den kurzen Augenblicken, die beim Wachsein wichtig sind. 1966 waren wir in das Wort Situationist verliebt. Der Situationist lebt nur hier und jetzt, nicht wie der Bourgeois, der in die Gegenwart Geld und Gefühle investiert, um von der Zukunft entlohnt zu werden.

Das Programm wurde von Constanze Ruhm zusammengestellt.
Texte und Übersetzungen (wenn nicht anders angegeben): Constanze Ruhm

Fußnoten

[1] Abgedruckt in: Der Ärger mit den Bildern. Die Filme von Harun Farocki.

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