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Spuren der Inszenierung

04 / 11 / 01 - 14 / 12 / 01
Exhibition

Spuren der Inszenierung (Traces of a Staging )
kuratiert von Constanze Ruhm

... in der gesellschaftlichen Wirklichkeit nach Spuren der Inszenierung suchen ...
Harun Farocki, Olaf Metzel, Wendelien van Oldenborgh


Olaf Metzel beim Aufbau im Württembergischen Kunstverein (1984)
(Bild- und Titelmontage 2002 für die Ausstellung Spuren der Inszenierung)

English

Drei Arbeiten, eine Konstellation besonderer Momente, die auf symptomatische Weise eine Art Umriss des zeitgenössischen öffentlichen Raumes wiedergeben, werden innerhalb dieser Ausstellung so angeordnet, dass ihr Verhältnis zu verschiedenen möglichen Formen von Besetzung, Aneignung und Abgrenzung deutlich werden kann. Die Grenzlinien dieser Räume werden zumeist von den Überwachungssystemen gezogen, die den urbanen. öffentlichen Raum dominieren. Diese Systeme zeichnen fragmentarische Gesten und unvorhersehbare Bewegungen von Körpern auf, sie evozieren vergangene und zukünftige potentielle Transgressionen, die zum Material künstlerischer Forschungsarbeit werden.

Jede Arbeit beinhaltet performative Aspekte, beschäftigt sich mit Beobachtung und Überwachung und auch mit der Architektur als System, das institutionelle Strategien der Einschränkung inkorporiert, um den potenziellen Einflussradius der Subjekte definieren und limitieren zu können. In einem unvorherge-sehenen Moment des Austausches wird die Ökonomie dieses Systems unterbrochen: ein Satzzeichen im Raum, eine Markierung, durch welche ein subversives Potenzial sich schließlich freisetzt.

Das Gefängnis:
Harun Farocki

Ich glaubte Gefangene zu sehen (2000)
Die Maschinen tun ihre Arbeit nicht länger blind
(2001)


Harun Farocki: (oben) 4. Etage, haus.0 Video- und Print Plug-Ins, DVD Zusammenstellung von Farocki-Filmen, Ausgaben der Filmkritik aus den 70er und 80er Jahren (unten) Installationsansichten, 2.Etage

"Bilder aus dem Maximum Security Gefängis in Corcoran, Kalifornien. Die Überwachungskamera zeigt einen tortenstückförmigen Ausschnitt, den betongedeckten Hof, auf dem die Gefangenen in kurzen Hosen und meist ohne Hemd eine halbe Stunde am Tag verbringen können. Ein Häftling greift einen anderen an, worauf die Unbeteiligten sich sofort flach auf den Boden legen, die Arme über dem Kopf. Sie wissen, was jetzt kommt: Der Wärter wird eine Warnung rufen und danach Gummimunition abfeuern. Hören die Häftlinge mit dem Kampf jetzt nicht auf, schießt der Wärter scharf. Die Bilder sind stumm, vom Schuss zieht der Pulverrauch durch das Bild.

Die Kamera und das Gewehr sind gleich nebeneinander. Blickfeld und Schussfeld fallen zusammen ...

Die Sträflinge sind fast nackt (sie trainieren ständig ihre Muskeln) und haben nichts außer ihrer Clanzugehörigkeit." (Harun Farocki)

Ein Aspekt, der erst in den späteren Arbeiten sichtbar wird ( Schnittstelle von 1995 ist die erste Installation Farockis) ist jener der graduellen Bewegung aus dem Bildraum hinaus in den realen Raum, in welchem Farocki durch den Einsatz analytischer Montageverfahren und anderer 'syntaktischer' Methoden die Bilder im realen architektonischen Raum sprechen lässt. Die installativen Arbeiten stehen in direkter Verbindung mit seiner medialen Praxis, und untersuchen das Verhältnis von architektonischem Raum und Fragen der Kontrolle und Überwachung. Exemplarisch dafür steht die Installation Ich glaubte Gefangene zu sehen (2000), die hier als Single Channel Version gezeigt wird. Der Titel bezieht sich auf Roberto Rossellinis Film Europa 51. Die Figur der Irene beschreibt ihre Begegnung mit Arbeitern, die eine Fabrik verlassen, mit dem Satz: "Ich glaubte, Verurteilte zu sehen ... ".

Parallel dazu präsentiert Farocki eine neue Arbeit mit dem Titel Die Maschinen tun die Arbeit nicht länger blind (2001), die entlang der gedanklichen Linie des Gesamtprojektes entwickelt wurde. "Operativkönnte man die Bilder aus Überwachungskameras nennen, auch die zur Kontrolle der Produktion und Materialprüfung. Schön, dass man eine Prüfung mit Sensoren "zerstörungsfrei" nennt, Blicke machen nicht kaputt." (H.F.) Diese Arbeit verbindet sich auf methodologischer Ebene mit dem Konzept des Künstlerhauses, und stellt repräsentatives Zusammenspiel wie auch Aufschlüsselung von Farockis jüngsten Untersuchungen dar, indem sie Rohmaterial aus den gegenwärtigen Produktionen des Künstlers benützt. "Es geht um intelligente Maschinen und ebensolche Waffen, um die Reklame, die die einen für das andere machen und umgekehrt." In diesem Zusammenhang wird die Beschäftigung mit der Transformation des sozialen Gefüges von Disziplinar- zu Kontroll- und Überwachungsgesellschaft als konstitutiver Faktor innerhalb des Werks von Harun Farockis sichtbar.

Das Museum:
Olaf Metzel

Stammheim Dokumente (1984/2001)


Sieben Szenen: Olaf Metzel, Stammheim-Dokumentation
des für die Ausstellung produzierten Videos.

Olaf Metzels Arbeit Stammheim Dokumentestellt Paraphrase wie auch Fußnote zu seiner Stammheim Skulptur dar, die er 1984 im Württembergischen Kunstverein installierte. Als der Künstler eingeladen wurde, eine Arbeit im öffentlichen Raum zu realisieren, waren die Nachwirkungen der Stammheim-Prozesse gegen die Mitglieder der Roten Armee Fraktion noch deutlich spürbar. Die Verurteilten der RAF wurden nach den Prozessen in das neue Hochsicherheitsgefängnis Stammheim in Stuttgart verlegt. Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe hatten Selbstmord begangen (oder waren, wie viele glaubten, umgebracht worden), weitere Prozesse gegen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt standen bevor. Die Spuren, die der Konflikt zwischen der Roten Armee Fraktion und dem Staat im Deutschland der Siebziger- und Achtzigerjahre hinterlassen hatte, waren tief ins kollektive Gedächtnis der Nation eingeprägt, und der Staat hatte sich als Kontrollinstanz und Überwachungsapparat konsolidiert. Parallel dazu verlief ein Prozess, der die Verflechtungen der Repräsentationspolitik mit der Kultur tiefgreifend veränderte. Dies wurde von einer ganzen Generation als Destabilisierung kultureller Normen, Konventionen und damit zusammenhängender Wertsysteme wahrgenommen, die sich im restaurativen Klima der Nachkriegsjahre aufgebaut hatten. Geschichte zeigte sich als andauernder, akuter Konflikt innerhalb gegenwärtiger Wirklichkeit, der eine Wiederherstellung des engagierten, politisch bewussten Subjekts einforderte.

Metzels Stammheim Skulptur reflektiert auch den Prozess des Übergangs aus den Siebzigern ins Deutschland der Achtzigerjahre. Die Skulptur selbst besteht aus einem drei Meter hohen, drei Tonnen schweren Kranz, der an der Wand des Kunstvereins lehnt. Auf der Wand ist, in weißer Graffitischrift, das Wort STAMMHEIM zu lesen. Der Kranz ist aus Beton gegossen, aus einem industriellen Werkstoff, der im Widerspruch zu den konventionellen Materialien (Bronze, Marmor) der Gedenk- und Erinnerungsstätten steht. So wird auch der architektonische Aspekt betont, der sich auf ein Deutschland bezieht, das sich hauptsächlich als Industrielandschaft aus Beton zeigt: Monumente des Alltäglichen, Satelliten- und Schlafstädte, Autobahnen, regionale Metaphern, mit Zeitgeschichte beladen. Neben dem Kranz, einer buchstäblichen Manifestation heutiger deutscher Wirklichkeit, das Wort STAMMHEIM: singuläre und individuelle Geste, ein Wort, das mit allen möglichen Andeutungen und Konnotationen aufgeladen ist. Ein einfaches Graffiti unterläuft die Konventionen offizieller Erinnerungsrituale, die sich vor allem an Stammheim bestimmt nicht erinnern mögen. Durch eine Geste wird ein Moment aus der Zeit und der Geschichte wieder hervorgerufen: ein Ort und ein Name in Deutschland, die Gründung der RAF, die Toten, ein Hochsicherheitsgefängnis in Stuttgart.

Metzels Arbeit ist ein Un-, ein Nicht-Denkmal. Nicht die Namen von Menschen werden einem historischen Augenblick in Form einer räumlichen Verkörperung eingeschrieben, sondern der Name einer städtischen Institution (des Gefängnisses) wird einer anderen Architektur (der des 'Museums' ) aufgeprägt. Durch die Anordnung innerhalb eines öffentlichen Raums, dessen Grenzen prekär und instabil sind, suggeriert das Werk die Verbindung zweier anderer Räume - jenem des Gefängnisses, und dem des Museums - durch eine spontane Geste, durch eine plötzliche, ungeplante Handlung. Die Geste des Schreibens selbst stellte für Metzel eine spontane performative Handlung dar, die Realisierung eines "synthetischen Fragments" [1], das Zeitgeschichte und deren Wahrnehmung als Teil des Materials auffaßt.

Metzel selbst bestand immer darauf, dass diese Arbeit nicht als Denkmal wahrzunehmen sei, sondern als Skulptur im öffentlichen Raum. Ihr Charakter suggeriert durch die 'Sprache' der Kunst einen abgeschlossenen Prozess, einen Zustand formaler Balance und Auflösung, doch gleichzeitig vermittelt die Arbeit auch eine deutlich sichtbare Unaufgelöstheit - den Zustand der Öffentlichkeit, des 'Körpers' einer sozialen Gemeinschaft, der auch der Künstler angehört.


installationsansicht, Künstlerhaus Stuttgart

Sechzehn Jahre später, im Jahr 2001, rückte die Arbeit wieder in den Blickpunkt der Medienöffentlichkeit, da sie entfernt werden sollte - wie ein Vertreter des zuständigen Ministeriums feststellte, "nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil das Gebäude renoviert werden soll." Ein Kritiker bemerkte, "Es ist immer eine dubiose Angelegenheit, wenn Politiker beginnen, sich mit den Inhalten einer Kunstinstitution zu beschäftigen." In diesem Kontext wurde Olaf Metzel eingeladen, im Künstlerhaus eine Zusammen-stellung von Materialen, die sich auf die Skulptur beziehen, als aktualisierte Version des 'synthetischen Fragments' von 1984 in Form einer Installation neu anzuordnen. Die Arbeit Stammheim Dokumente verbindet Video, Zeichnungen, Skizzen, und verschiedene andere Materialien, um so die Wahrnehmung eines spezifischen Moments in der Zeit in Form einer Dokumentation und als Paraphrase zugleich zu ermöglichen.

Der performative Akt des "Schreibens auf der Wand" hinterläßt als Spur eine fragile Inschrift, die Schwerkraft und auch das Gewicht eines einzelnen Wortes alleine, das sich gegen die Objektwelt der Schreine und Monumente wendet. Auf gewisse Weise könnte man sagen, dass die Buchstaben vielleicht sogar noch sichtbarer würden: durch die Bedeutung, durch die Schwere von etwas, das eigentlich kein Gewicht hat (das Wort im Gegensatz zum Kranz), durch den Namen, vielleicht eine Verwünschung, eine Montage aus unsichtbaren Materialien. Manchmal scheint es auch heute noch, als hätte das Wort sich über Nacht einfach von selbst materialisiert. Vielleicht würde es das auch weiterhin tun: das Verdrängte, das doch immer zurückkehrt, als Spur eines einzigen Wortes.

Das Stadion:
Wendelien van Oldenborgh

It´s full of holes, it´s full of holes (1999/2001)

"Your body is a boat to lay aside when you reach the far shore.
Or sell it if you can find a fool, it´s full of holes, it´s full of holes."

William Burroughs, The Western Land


Installationsansicht, Künstlerhaus Stuttgart, "It's full of holes. It's full of holes", Künstlerhaus Stuttgart

Die Szene, die in der doppelten Diaprojektion dargestellt wird, beschäftigt sich mit dem entscheidenden Augenblick, in welchem eine bestimmte Art von Kontakt zwischen Individuen hergestellt wird, und eine Art von körperlicher Intimität die Konventionen überschreitet, die im öffentlichen Raum und in der Sphäre des Sozialen zugelassen sind. So verweist dieser Moment auf die Möglichkeit eines potentiellen Verlusts von Kontrolle.

Eine Polizistin nimmt an Frauen, die auf Einlass in ein Fussball-Stadion warten, Leibesvisitationen vor. Das Stadion selbst repräsentiert einen Ort zeitgenössischer ritualisierter Gewalt, und verweist auf Kontrollverlust ebenso wie auf die Fabrikation von Spektakel. Die Polizistin verkörpert das Gesetz, und deutet so auf die Grenzen erlaubten Verhaltens in der Öffentlichkeit. Sie steht für eine Grenzlinie, die auf keinen Fall überschritten werden soll. Trotzdem wird an der Art, wie sie die Körper der Frauen auf intime und sexuell aufgeladene Weise berührt, unentschlossen zwischen Unter- und Versuchung, Übertretung und Umarmung, sichtbar, dass sie selbst möglicherweise die festgeschriebenen Grenzen der Konvention und des Erlaubten ignorieren wird. Ihre Bewegungen sind routiniert und professionell, doch mit einem erotischen Unterton, und die Kameraeinstellung suggeriert manchmal eine forcierte Intimität zwischen der Polizistin und den von ihre durchsuchten Frauen. Es gibt kaum einen Hinweis darauf, wo diese Szene sich zuträgt: nur ein kleines Blechschild ist zu sehen, das an der Kette befestigt ist, welche die Wartenden von der restlichen Menge trennt. Darauf ist zu lesen: Nord Esplanade. Es bleibt unklar, wo diese Esplanade sich befinden soll, und es spielt auch keine Rolle, denn dies könnte sich überall zutragen.

Die Szene wurde auf Super-8 Film gedreht, daraus wurden einzelne Kader auf Dia belichtet, um projiziert werden zu können. Sie ziehen in einer stetigen Überblendung am Betrachter vorüber, eine Abfolge einzelner Stills im Halbdunkel des Raumes, und hinterlassen eine Spur, eine Erinnerung an ihre jeweiligen Vorgänger. Manchmal rufen die stummen, schwarzweißen Bilder die Anfangszeiten des Kinos ins Gedächtnis. Wir werden Zeugen einer tonlosen Inszenierung, die wir aus van Oldenburghs subjektiver Perspektive wahrnehmen. Geduldig beobachtet sie, was vor sich geht, und fügt dem Beobachteten keinerlei Kommentar hinzu, das ist ohnehin nicht notwendig. Im Gegenteil: um die Codes sozialer Hierarchien, des Erotischen, der Macht und Kontrolle entziffern zu können, die sich hier in einem einzigen kurzen Moment zu einem Abbild kondensieren, brauchen wir weder Untertitel noch eine Stimme, die etwas erklärt. Ein flackerndes Bild, als ob heimlich irgendjemandes Erinnerung abgefilmt worden wäre.

Die Verfahren der Fragmentierung und Isolation einzelner Einheiten von "Wirklichkeitsbildern" liegen van Oldenborghs Arbeit strategisch zugrunde; es geht um die Trennlinie zwischen Konvention und Übertretung innerhalb einer Gesellschaft. Für einen kurzen Moment lässt sie uns die symbolische Gewalt wahrnehmen, die den zeitgenössischen Riten und Ritualen angehört. Durch Wiederholung und Vereinzelung werden die scheinbar nebensächlichen Ereignisse, die von der Künstlerin eingefangen werden, mit der Zeit 'larger than life'. Man könnte diese Einheiten "rituelle Moleküle" nennen, in welchen sich das kollektive Unterbewusste ausdrückt.

"Van Oldenborgh untersucht die unsichtbaren, geheimen Verbindungen, die von Scham und Verführung gleichermaßen diktiert werden - die Regeln, welche die Vernunft nicht kennt - zwischen Körper und Sprache, zwischen dem Physischen und dem Mentalen. Durch eben diese Auslassungen, diese Löcher innerhalb unserer Vorstellung und unseres Wissens von der Welt, verfolgt die Künstlerin die Mechanismen unbewusster Projektionen, die von unseren täglichen Ängsten geschürt werden." [2]



In den Installationen werden jeweils voneinander verschiedene Modelle von Beobachtung/Beobachterin zueinander, aber auch zur Vorstellung veränderlicher Perspektiven in Bezug gesetzt, die einer Welt der Fluktuationen, der Netzwerke und Diagramme angehören. Die KünstlerInnen und ihre Arbeiten werden zu Interfaces zwischen dem Subjektiven und Objektiven, und konzentrieren sich auf die Auswirkung performativer, grenzüberschreitender Handlungen auf eine Wirklichkeit, die entweder inszeniert erscheint, oder im Rahmen einer künstlerischen Praxis neu angeordnet wird. Gleichzeitig spielt das Prinzip der (filmischen) Montage eine wichtige Rolle, durch welche die Re-Kombination synthetischer Fragmente des Realen, des Erinnerten und des Technologischen ermöglicht wird.

Metzel setzt an den Beginn seiner Arbeit den performativen, ephemeren Akt des Schreibens, durch den er gleichzeitig erinnert und widerspricht. Van Oldenburghs Arbeit verwendet die radikal-subjektive Perspektive der Künstlerin/Voyeurin, die eine öffentlichen Inszenierung von Kontrolle und Überschreitung beobachtet und dokumentiert. Farocki ersetzt den Beobachter durch den scheinbar objektiven Blick der Überwachungskameras, die mit einer nur den technischen Apparaten eigenen scheinbaren Unschuld einfach bloß aufzeichnen, was passiert. Alle Arbeiten zirkulieren um Ereignisse und Handlungen, die zwischen dem Archaischen und dem Alltäglichen oszillieren, und werden so zu Metaphern für die Gewalttätigkeit institutioneller Beschränkung, die das Subjekt durch reale und virtuelle Architekturen gleichermaßen erfährt.

Innerhalb dieser Konfiguration wird sichtbar, wie Beobachtung, Überwachung und Spektakel sich zueinander verhalten; reale und virtuelle Architekturen werden auf ihre Eignung zu Kontrolle und Beschränkung untersucht. So verdeutlicht sich der Prozess, den Foucault als die Transformation der Gesellschaft von einer Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft beschreibt. Die Geschichten, die diese Arbeiten erzählen, können als Verräumlichungen der indexikalischen Anordnung von Materialien in der 4. Etage aufgefaßt werden. Nicht nur wird von Architektur und Subjekt wird gesprochen, sondern von den Zonen des Übergangs, von Eingangsbereichen, Wänden und Innenräumen: von den Unterbrechungen, von dem, was das Material der sozialen Kontrakte zwischen Individuen und den Institutionen des Staates löchrig und brüchig macht. Der performative Akt stellt einen Schlüsselmoment dar, der das Verhältnis zwischen Beobachter, Spektakel und Institution definiert. Man kann ihn als Auflösung verstehen, als Erlösung vom Unaufgelösten, gleichzeitig aber muss man auch fragen, wer die Performance, und wer das Spektakel bestimmt und inszeniert.

Auf den Begriff der body politics einer Gesellschaft, der die Angehörigen einer Nation, die Nation selbst als politische Einheit mit dem Staat als Kontrollfaktor meint, wird in jeder der Arbeiten durch eine einzige, stumme, transitorische Geste verwiesen: Strategien, die an das Rituelle grenzen, Übungen, die unter Einschränkungen ausgeführt werden, und die ganz deutlich die inneren und äußeren Grenzen der Repräsentation von Macht durch Architektur abbilden: Gefängnis, Museum, Stadion. Jede der Arbeiten deutet auf den Begriff der body politicsals eines fundamentalen, konstitutiven Moments der Konstruktion einer Gesellschaft. Die Schrift auf der Wand ist ein vorausahnender Hinweis, eine Verwünschung, und auch Versuch der Erinnerung. Sie spricht von den Auslassungen, vom Verschwinden, von den Subjekten einer Gesellschaft und ihren Praktiken der Überschreitung, sie erzählt von der Gewalttätigkeit der Sehnsucht, und der Herausforderung durch die Manifestationen der Architektur.

Text: Constanze Ruhm


[1] "Dann habe ich noch die Schrift rangeschrieben - ein ganz spontanes Moment, ein synthetisches Fragment, denn es sind ja keine Bronzebuchstaben." (aus einem Interview mit Olaf Metzel, Ursula Frohne 1985)

[2] Aus einem Text von Thomas Kocek, 1999.

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