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halluzinationer

26 / 06 / - 29 / 06 2001
Talks / Workshop

halluzinationer
Eine dreitägige Veranstaltung mit Vorträgen und Filmpräsentationen

The Electronic Baroque Out of the Termite Stricken Collapse of the Cold War
Norman Klein (USA)

Serbien und der Soziale Raum in den Neunziger Jahren
Zoran Eric (YU)

Das Allegorische Puzzle Belgrads
Stevan Vukovic (YU)

Filme von Peter Weiss
Auswahl früher Avantgardefilme 1952 - 57
Marat/Sade (1967) D. Peter Brook


english

Die Vorträge und Filmpräsentationen beschäftigen sich mit den "Technologien der Macht", mit urbanen Strukturen als Projektionsflächen für Social Imaginaries und mit der Konstruktion von Fiktionen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung der Rolle der Kunst innerhalb postrevolutionärer Gesellschaften, und ihrer Funktion als Medium der Fortsetzung unvollendeter historischer Dialoge.

"Halluzinationer" ist eine Veranstaltungsreihe, die unter anderem die Funktion des Künstlerhauses in Bezug auf die spezifische Interessen einer Gemeinschaft betont: das bedeutet heute sowohl eine Fokussierung auf das "Lokale", wie auch die Herstellung eines Verhältnisses zu Informationsfluss und Formen des Austausches, die traditionelle Definitionen von Grenzen, Bedingungen und Öffentlichkeiten überschreitet. Die haus.0 Programm-Website, die aus einer Kombination von Essays, Links und Informationen zum Programm besteht, wird monatlich ca. 35.000 Mal besucht (das entspricht einem mittelgroßen Universitätsdepartment).

Diese Zusammenstellung von Gesprächen, Vorträgen und Filmpräsentationen beabsichtigt, die besondere Qualität informeller Diskussionen hervorzuheben, die sich innerhalb der Programmstruktur von haus.0 zu einer Erzählung erweitern.

Die Veranstaltung versucht, die Anordnung der Orientierungslinien zu verdichten, die aus dem Programm der ersten beiden Jahre hervorgehen, und über den Verlauf dieser Linien die Gestalt zukünftiger Produktionen erkennbar zu machen. Verschiedene KünstlerInnen und TheoretikerInnen, die im Laufe der letzten drei Jahre mit Beiträgen und Arbeiten im Programm von haus.0 bereits vertreten waren, werden während der Vorträge und Diskussionen anwesend sein und eine parallele Arbeitsgruppe bilden. Darunter befinden sich Nomeda und Gediminas Urbonas, Rainer Kirberg, Constanze Ruhm, sowie auch Norman Klein.

Norman Klein
"The Electronic Baroque Out of the Termite Stricken Collapse of the Cold War"

In seiner Präsentation spricht Norman Klein über Themen, mit denen er sich bereits in seiner haus.0-Produktion 'Scripted Spaces' vom Sommer 1999 beschäftigte. Klein kehrt an den Ort zurück, der immer noch Spuren und Überreste dieses früheren Projekts zeigt - das langsam verblassende Abbild des Labyrinths von Versailles -, um einen Überblick über seine neueren Untersuchungen zu geben, in deren Zentrum der Begriff des "elektronischen Barock" steht. Indem er die 'barocke' Grammatik der Special Effects analysiert, entwickelt Norman Klein die Konzepte vom sozialen und historischen "Imaginären" unter Miteinbeziehung gesellschaftlicher, perspektivischer Verschiebungen ("Perspective Awry"), die zu einer politischen Allianz zwischen Feudalismus und Merkantilismus führten.

Norman Klein untersucht die Strukturen urbaner Räume, die aus diesen Prozessen hervorgingen, und welche die Konstitution eines "zivilen" Raums bürgerlicher Subjekte ermöglichen, der in unterschiedlichsten Formen sichtbar wird. Von der berühmten Crystal Palace Exhibition in London (1851) über Survival-TV-Serien, "multiple user sex links", Freud'schen Verdrängungsmythen bis zu revolutionären Demokratien reichen die Gegenstände von Kleins Analyse der Geschichte gesellschaftlicher Machtverhältnisse und deren Abbild in zeitgenössichen realen und virtuellen Architekturen. Heute, in der Ära des "elektronischen Barock", kann man feststellen, dass die Kultur des Spektakels und die Allianz des globalen Kapitalismus mit der Unterhaltungs- und Medienindustrie die Sprache der Demokratie ersetzt haben. Diese neobarocken Special Effects - Systeme verschleiern die Wirklichkeit heutiger Gesellschaften, und verdecken das Versagen einer Demokratie, die weder dem Neoliberalismus, noch dem freien Kräftespiel am Markt der Globalisierung etwas entgegenzusetzen hat.

Zoran Eric
"Serbien und der Soziale Raum in den Neunziger Jahren"

Stevan Vukovic
"Das Allegorische Puzzle Belgrads"

Durch zwei unterschiedliche theoretische Vorgangsweisen werden Aspekte städtischer und öffentlicher Räume beleuchtet, die von gesellschaftlichen und politischen Veränderungen Zeugnis ablegen. Beide Positionen vertreten die Auffassung, dass zeitgenössische Kunstpraxis ein kritisches Instrumentarium darstellt, durch welches die den öffentlichen, städtischen Räumen eingeschriebenen Erzählungen freigelegt und untersucht werden können. Zoran Eric bedient sich der Methode der "Spatioanalyse" im Rahmen eines räumlich-kulturellen Diskurses, der sich auf radikaldemokratische Theorien bezieht und Schnittpunkte unterschiedlichster urbaner Geographien untersucht. "Spatioanalyse" wird als "die Analyse libidinöser Schaltkreise der bourgeoisen Gesellschaft" definiert, die auf dem Konzept der Divergenz zwischen öffentlichem und privaten Raum basiert. Diese Anordnung beabsichtigt, das Recht auf Privateigentum zu schützen und die staatliche Kontrolle urbaner Räume zu legitimieren.

Der Theoretiker Craig Owens schreibt, dass "die Öffentlichkeit (...) eine diskursive Formation darstellt, die sich verschiedenste - faktisch entgegengesetzte - ideologische Interessen aneignen kann."

Andere Theorien besagen, dass die Vorstellung eines einheitlichen öffentlichen Raumes ohnehin eine Illusion sei. Da der öffentliche Raum immer auf dem Prinzip von Ausschluss basiert, kann er niemals eine Einheit bilden. Das Bild eines ungeteilten sozialen Raumes stellt eine Täuschung dar, die aus der Verleugnung von Vielfältigkeit und Konflikt hervorgeht.

Die Produktion des sozialen Raumes in Serbien während der Neunzigerjahre ist sichtbar das Ergebnis einer besonderen sozialpolitischen Situation im Kontext der ehemaligen VR Jugoslawien. Die sicherlich massivste Welle von Ethnonationalismus, die durch eine der bedeutendsten wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen Serbiens - der Serbischen Akademie der Künste und Wissenschaften mit dem programmatischen Text Memorandum aktueller sozialer Fragen - konzeptualisiert und in Gang gesetzt wurde, löste jene politischen Prozesse aus, die zur Disintegration des föderalistischen Staates und seiner öffentlichen Räume führten. Die folgenden Ereignisse, die Kriege in Kroatien und Bosnien, die UN-Sanktionen und die "Ökonomie der Zerstörung", der ökonomische Kollaps, die höchste Inflationsrate aller Zeiten: all dies führte zum Zusammenbruch der offiziellen Beziehungen zum Rest der Welt, und dadurch die neue VR Jugoslawien in die totale Isolation.

Im Zusammenhang mit Konzepten des öffentlichen, städtischen und bürgerlichen Raumes wird Stevan Vukovic das Wesen der idiomatischen Eigenschaften der Stadt Belgrad untersuchen. "Es handelt sich um einen Versuch, die lokalen Eigenheiten zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt zu zeigen. Dies wird durch die Methode simpler Kompression heterogener Bilder, Töne und Textextrakte erreicht. Als würde man vierzig Fernsehsender gleichzeitig sehen, im Grunde genommen eine triviale Anordnung. Kunst ist ein Teil davon. Eine Zurückweisung des Unterschiedes zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken."

Die Präsentation von Stevan Vukovic beinhaltet eine große Anzahl von Bildmaterialien unterschiedlichsten Ursprungs, von Plänen über Karten, Zeichnungen der Stadt, über Dokumentaraufnahmen der jeweiligen Räume und Umgebungen, der Gebäude und Ereignisse, bis zu Werbung, Filmstills, Cartoons, Malerei und anderen künstlerischen Produktionen.

Peter Weiss
Filme von Peter Weiss (S) (1916-82)
Auswahl früher Avantgardefilme 1952 - 57
Marat/Sade (1967) A: Peter Weiss, D: Peter Brook

Im Rahmen dieser Filmpräsentation werden verschiedene dramaturgische Arbeiten aus einer über zehnjährigen Schaffensperiode des Künstlers, Autors und Regisseurs Peter Weiss gezeigt. Der Jude Peter Weiss flüchtete aus Hitler-Deutschland ins schwedische Exil. Er lebte und arbeitete in Stockholm, wo er 1982 - in jenem Jahr, in dem er mit dem Büchnerpreis ausgezeichnet wurde - verstarb.

Mit der Filmauswahl wird versucht, einen Bereich von Peter Weiss Werk zu erschließen, der von Konventionen des Avantgarde-Films der Nachkriegsjahre bis zu radikalen politischen Visionen und "Imaginaries" reicht, wie sie sich zum Beispiel in der Strömung des sogenannten "Deutschen Dokumentar-Theaters" verkörperten.

In seinen frühen Avantgardefilmen aus den Fünfzigerjahren beschäftigt Peter Weiss sich mit der Transformation verschiedenster Methoden künstlerischer Praxis, indem er sich beispielsweise von der Zeichnung zum Film bewegt. Der Experimentalfilm "Studie II (Halluzinationer)" basiert auf einer Serie von zwölf assoziativen Zeichnungen. In seinen eigenen Worten: "Selbst die Ordnung unter den verschiedenen Bildern wurde beibehalten, um die innere Kontinuität zu bewahren. Das Geschehen liegt vollständig auf einer emotionalen Ebene." Er vergleicht die von ihm verwendeten experimentellen Verfahren mit halluzinatorischen Erfahrungen. Weiss beschäftigte sich auch mit den Möglichkeiten neuer akustischer Methoden : "(Die "Studien") ... experimentieren auch mit den Möglichkeiten einer neuen akustischen Welt. Die Filme werden begleitet von kreischenden, kratzenden, klirrenden Halluzinationsgeräuschen."

Das Stück "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade" gehört zu den zentralen dramatischen Werken des 20. Jahrhunderts. Peter Brook führte 1967 bei der Verfilmung der Royal Shakespeare Company - Bühnenversion von "Marat/Sade" Regie. Dieses Theaterstück beschäftigt sich mit antagonistischen Motiven, die einander diametral gegenüberstehen: radikaler Individualismus versus Sozialutopie. Innerhalb dieser Versuchsanordnung werden Vorgänge und Veränderungen innerhalb von Gesellschaften untersucht, die Revolutionen und ähnlich radikale politische Transformationen durchmachen. In diesem Zusammenhang stellt Weiss auch die Frage nach der Rolle von Institutionen und der Position des bürgerlichen Subjekts in Zeiten der Umwandlung gesellschaftlicher Gefüge und Wertsysteme. Durch besondere dramaturgische Methoden schafft Weiss ein dialogisches System, das reale und fiktive Materialien zu einem neuen Format verknüpft, um so das Regime der "Auflösung" als bourgeoiser Katharsis außer Kraft zu setzen. Mit "Marat/Sade" versuchte Peter Weiss, die Natur der unvollendeten historischen Dialoge, die immer noch die Tauschstrukturen kapitalistischer Gesellschaften bestimmen, als eine "Rückkehr des Verdrängten in einem neo-feudalen Gewand zu beschreiben".


Übersetzung: Constanze Ruhm

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