WWW.HAUSSITE.NET

 

The Melrose Plays

01 / 01 / 1999
Vortrag

Part I: Das Drama und das Netz
von Rainer Kirberg

The Melrose Plays

Mit den "Melrose Plays" startet haus.0 unter Leitung des Autors und Regisseurs Rainer Kirberg eine lose Reihe von Veranstaltungen zur Bestandsaufnahme narrativer Systeme in der Alltagskultur - Fernsehen, Film, Internet - wie auch in den mit Kommunikation befassten Wissenschaften. Diese Veranstaltungen bewegen sich zwischen Vortrag, Workshop, Performance und Videoinszenierung. Sie werden in das Internet-Projekt P's Memory münden, das im nahen Jahr 2000 ins Netz geht.

Part I
Das Drama und das Netz


Chronologisches und simultanes Denken Jeder Text ist eine chronologische Reihung von Informationen, gehorcht also - selbst in rudimentärer oder dekonstruktiver Form - der linearen Struktur des Narrativen. Diese Eigenart macht den Text auf den ersten Blick inkompatibel mit der geflechtartigen Struktur des digitalen Netzes, deren Gestalt er im Hypertext annimmt.

Von Hypertext sprechen wir im Zusammenhang mit der simultanen Existenzform der Texte im Netz. Hypertext bezeichnet das virtuelle Textarsenal, das sich aus der technologischen Koexistenz von Informationen in ihrer unendlichen Kombinierbarkeit ergibt. Daß diese Simultaneität von Textereignissen eigentlich ein Paradox ist, zeigt sich in der spezifischen Produktivkraft des Users, die ihn nutzbar macht: an der Schnittstelle zwischen Netz und Gehirn wird der Text den Gesetzen des Linearen, Chronologischen anverwandelt.

Der Theorie der Narration zufolge ist die Verarbeitung von Informationen nach Maßgabe chronologischer Erlebbarkeit ein Basisakt des menschlichen Gehirns, der in der Auseinandersetzung mit Wirklichkeit gleichsam automatisch vollzogen wird. Das Simultane, allumfassend Gegenwärtige aber, das dem User in der digitalen Welt entgegentritt, fordert die Mittel heraus, die seinem Denkapparat zur Verfügung stehen, um komplexe Zusammenhänge "mit einem Blick" zu erfassen: er muß mit intuitiver Intelligenz und seinem visuellen Gedächtnis operieren.

Auch wenn der User also nie auf das chronologische Denken wird verzichten können, steht doch der Moment an, der Aufgabe der simultanen Wahrnehmung der Welt ein adäquates mentales Instrumentarium zur Seite zu stellen. In ihrem Resultat zumindest ist dieses gar nicht so weit entfernt von dem Ideal der Narratologen: die Welt an der Linearität der Erzählung entlang als simultanes Gebilde - eine Art innere Skulptur - zu repräsentieren.

Kognitives und dramatisches Handeln

Schon in der Basistätigkeit des "Surfens" oder Navigierens im Netz ist Chronos als Strukturprinzip inhärent: der User begibt sich auf eine Reise, ausgehend von einem Punkt steuert er ein Ziel an, er initiiert einen Vorgang mit Anfang und Ende. Auch wenn dieser Akt, der Struktur des Netzes entsprechend, minder intentional ist (die Reise mag sogar - Prinzip des Nomaden - ihren Sinn in sich selbst haben), folgt der User doch immer der Neugier auf das im Netz gespeicherte Wissen. Das Bedürfnis, das ihn antreibt, ist also zunächst ein kognitives.

Das Bild der Reise ins Unbekannte weckt aber auch Gedanken an Abenteuer, Gefahren, unvorhergesehene Ereignisse - kurz: dramatische Vorstellungen. Nicht zufällig ist einer der frühesten Helden in der Geschichte des Erzählens ein "Navigator": Odysseus. Zum eigentlichen Abenteuer aber wird das Surfen im Netz erst, wenn dieses nicht nur passive Folie der Neugier des Users ist, sondern aktiv an der Reise teilnimmt. Anders gesagt: Drama entsteht dort, wo der User die Benutzeroberfläche für einen Kommunikationsakt nutzt.

Wie das chronologische und das simultane Denken verhalten sich auch kognitives und dramatisches Bedürfnis komplementär zueinander. Entspricht dem indifferenten Wesen des Netzes einerseits die kühle Neugier des kognitiv Forschenden, so ist eben diese Gleichgültigkeit - das Netz ist reine Form, reine Struktur - zugleich idealer Nährboden für dramatische, unzensierte, nicht selten die Grenzen der Legalität und Moral sprengende Leidenschaft.

Durch die Versuchung des maximalen Zugriffs, den das Netz ihm zur Verfügung stellt, wächst dem User darüberhinaus ein Privileg zu, das ihm in den traditionellen dramatischen Künsten nicht geboten wird. Er ist zugleich Konsument und Hersteller des Produkts, das er per Mausklick gekauft hat. Er wandelt sich vom Zuschauer zum Protagonisten der Geschichte, die er am Computer selbst generiert.

Das Drama ist der Rezeption also nicht länger als fertiges Produkt vorausgesetzt, es stellt sich im Prozeß des Konsums überhaupt erst her. Diese Auslagerung in den Kommunikationsakt des Konsumenten mit dem Produkt hat für die Narration eine entscheidende Konsequenz: der User wird Bestandteil des Plots, sein Motiv bestimmt den Verlauf der Geschichte.

Melrose Plays Teaser für Part II + III

19 / 01/ 2000
Workshop / 2.Teil Vortrag


Am 19. Januar 2000 präsentiert Rainer Kirberg im 2. Teil seines Vortrags über narrative Systeme erste Arbeitsergebnisse des Melrose PlaysWorkshops. Weiterer Schwerpunkt des Vortrags ist die Dramaturgie interaktiver Prozesse. Über eine Strukturanalyse klassischer Genres wie Adventure, Strategiespiel, Rollenspiel hinaus wird Rainer Kirberg zwei Modelle interaktiver dramatischer Maschinen vorstellen.


The Melrose Plays Part II
Script Workshop

Für Februar 2000 plant haus.0 die Produktion der "Melrose Plays" - einer Reihe von Video-Kurzspielfilmen, in deren Zentrum die Bar des GALA Committees aus der Serie Melrose Place steht. In Gestalt locker miteinander verknüpfter Episoden variieren die "Melrose Plays" das Thema "Bar" als soziales Interface, als Bühne gegensätzlicher Charaktere, die sie zum idealen Nukleus von Filmgeschichten macht. Die Arbeit an einem solchen Stoff wird jedem Interessierten dazu dienen, sein Wissen über dramatisches Erzählen zu erweitern und seine Fähigkeiten am praktischen Resultat - bis hin zum fertigen Film - zu erproben.

The Melrose Plays Part III

Das Drama und das Netz, Part II

Parallel und ergänzend zur Arbeit des Workshops setzt Rainer Kirberg seinen Vortrag über narrative Systeme am 19. Januar 2000 fort. Im Zentrum des 2. Teils steht die Dramaturgie interaktiver Prozesse bei Computerspielen und Internet-MUDs (Multi-User-Dimensions). Es soll aber nicht bei der bloßen Rezeption bleiben. Über eine Strukturanalyse klassischer Genres wie Adventure, Strategiespiel, Rollenspiel hinaus wird Rainer Kirberg zwei Prototypen interaktiver Dialogmaschinen vorstellen, die derzeit in der Entwicklung sind. haus.0 arbeitet darauf hin, einen dieser Prototypen eines narrativen Generators in der zweiten Arbeitsphase des Script Workshops zur Entwicklung der Dialoge für die "Melrose Plays" experimentell einzusetzen.



Rainer Kirberg
ist Drehbuchautor, Regisseur und dramaturgischer Berater. Seine Arbeit umfasst verschiedenste filmische Genres. Er inszenierte Musik- und Werbeclips ebenso wie Kurzfilme, Kurzspielfilme und drei abendfüllende Spielfilme. Daneben arbeitet er mit Installationen und Performances im Grenzbereich der Kunst. Seit Beginn der 90er Jahre hat sich Rainer Kirberg aufs Schreiben für den Film konzentriert. Als Drehbuchautor entwickelte er verschiedene heterogene Formate wie Independent-Spielfilme und Daily Soaps ("Gute Zeiten - Schlechte Zeiten", "Mallorca").

In näherer Zukunft soll wieder die Inszenierung eigener Stoffe im Vordergrund stehen. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Autor gilt Kirbergs Interesse speziell der Mathematik des Erzählens. Die dramatische Struktur von Geschichten ist für ihn nicht bloßes Hilfsmittel, um Erzählungen "unterhaltsamer" oder "spannender" zu machen - sie wird selbst zum Bestandteil der Arbeit. Diese selbstreferenzielle Methode unterscheidet seine Arbeit auf kontroverse Art vom Mainstream-Film. Seit Oktober erarbeitet Rainer Kirberg in den Räumen von haus.0 an der Realisierung der interaktiven Erzählung P's Memory. Die nach dem Prinzip eines digitalen Automaten funktionierende Erzählung wird den User in Kommunikation mit einem fiktiven Charakter von der Daily Soap in den Mystery Thriller entführen - und von der virtuellen Welt der Daten in eine heimtückisch inszenierte Realität.



Zurück