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Titel: Die Okkupation des bürgerlichen Genres - Anmerkungen zu der Sendereihe
Acht Stunden sind kein Tag
Autor: Peter Märthesheimer, 1974
Anmerkungen zu der Sendereihe Acht Stunden sind kein Tag
aus Fernseh und Bildung, no.13, 1974
Die Okkupation des bürgerlichen Genres
Peter Märthesheimer
Die Familienserie neuen Stils Acht Stunden sind kein Tag, von Rainer
Werner Fassbinder ist nach fünf Folgen beendet worden. Der Fernsehspielchef
des WDR, Günther Rohrbach, erklärte dazu, die Serie habe zuwenig
Realität gezeigt. In den drei neuen Drehbüchern seien zum Teil endlose
Diskussionen über Gewerkschaftsfragen enthalten gewesen, die der Serie
wesentliche Spannungsmomente und den eigentlichen Unterhaltungscharakter genommen
hatten. Demgegenüber vertritt der verantwortliche Redakteur der Reihe,
Peter Märthesheimer, die Ansicht, man habe nicht zuletzt wegen der Reaktion
von Arbeitern auf die ersten Folgen in die geplanten Fortsetzungen ein spürbares
Mehr an Realitätsbezug zur Arbeitswelt aufgenommen. Dies betreffe vor
allem Probleme des Betriebsrats, der Gewerkschaften und des Betriebsverfassungsgesetzes.
Im folgenden Beitrag erläutert Märthesheimer die Konzeption der
fünf Folgen, die von Oktober 1972 bis März 1973 ausgestrahlt wurden.
Seine Ausführungen kreisen dabei speziell um die schwierige und strittige
Frage der Realität. Der Beitrag war bereits geschrieben worden, bevor
die Entscheidung über das Schicksal der Reihe fiel. Fernsehen und Bildung,
bat Günther Rohrbach gebeten, in einem weiteren Aufsatz die aktuelle
Thematik und Problematik zu vertiefen.
Seit geraumer Zeit schon macht sich im Fernsehen deutlich der Hang der Kulturindustrie
zur Standardisierung und Serialisierung tendenziell aller Produktionen bemerkbar,
selbst jener noch, die sich als autonomes Kunstwerk verstehen, als Programm
jedoch sich am liebsten von einer Serienrubrik 'Das autonome Kunstwerk' beschützen,
ließen. Ihren Anfang nahm diese Entwicklung mit dem Import populärer
Serien für das Vorabend- und bald auch das Hauptabendprogramm aus den
fortgeschrittenen Fernsehländern USA und England; aber bald hatte man
auch hierzulande gelernt, eigene Serien zu produzieren oder selbst inhaltlich
und formal denkbar disparate Programme durch ein gemeinsames Markenzeichen
('Kamerafilm', 'Studiofilm', 'Das Fernsehspiel am Montag', auch beispielsweise
Tatort) einigermaßen gewaltsam zu verklammern. Die Gründe
hierfür liegen nur zum Teil auf der Produktionsseite, in der relativen
Ökonomie der Serienproduktion gegenüber der Stückproduktion.
In erster Linie hat die Serie - sei es der nur in geringfügigen Abweichungen
variierende Westernfilm, sei es die anspruchsvolle Taschenbuchedition, sei
es die mehrteilige Fernsehserie - ihren Vorteil auf der Distributionsseite:
selbst das preisgünstigste und beste Produkt und das relevanteste und
interessanteste Fernsehprogramm müssen sich erst bekannt machen, wenn
sie überhaupt zur Kenntnis genommen werden wollen. Sie können sich
um so leichter durchsetzen, je auffälliger sie sich dem Publikum als
längst Vertrautes annoncieren - als Genrewestern, als anspruchsvolle
Taschenbuchedition, als Fernsehserie, deren erste fünf Folgen man schon
gesehen hat und deren nächste acht Folgen man deshalb auch noch sehen
wird. Sein undomestiziertes Potential phantasievoller und kreativer Unverwechselbarkeit
und Einmaligkeit zeigt das Fernsehen noch am häufigsten in seinen dem
Markt abgewandten Dritten Programmen. Im Hauptprogramm hat das Fernsehen seine
Unschuld längst verloren und sich dem Mechanismus eines Marktes angepaßt,
der spätestens seit dem Tag sein Recht forderte, als zwei Kanäle
gegeneinander um die Zuschauer zu konkurrieren begannen. Folgerichtig war
diese Anpassung insofern, als das Fernsehen von vornherein als Massenmedium
angetreten war und seine technisch begründete totale Reichweite in aller
Regel mit dem Anspruch verband, möglichst alle verfügbaren Zuschauer
zu erreichen. Bei seinem Bemühen, sich die Zuschauer verfügbar zu
machen, hat es das Fernsehen freilich mit einer immanenten Eigentümlichkelt
zu tun, die es qualitativ von anderen Kommunikationsmedien unterscheidet.
Einen Kinofilm etwa kann man sich auch noch drei Tage nach der Premiere ansehen,
einen Roman kann man sich noch drei Jahre nach seinem Erscheinen kaufen. Das
Fernsehen hingegen lebt durch die zeitliche Einmaligkeit seiner Programme,
die nur für die kurze Dauer ihrer Ausstrahlung existieren, prinzipiell
unwiederholbar sind und, falls sie doch wiederholt werden, schon wie gestrig
aussehen. Mehr als andere Medien ist das Fernsehen also gezwungen, seinen
punktuellen, jeweils neuen Hervorbringungen den Schein des Kontinuums zu verleihen
und sie als solches dem Publikum vorab vertraut zu machen, wenn es das Publikum
auf seiner Seite haben will. Auf seine Seite bringt man die Leute leichter,
wenn sie meinen, dort werde ihre Sache vertreten: dort tritt ihr, Show-master
oder ihr 'Star'auf; dort wird eine Quizsendung gezeigt, in der vermutlich
die immergleichen Fragen auf die immergleiche Weise gestellt und beantwortet
werden; dort wird eine Krimiserie gesendet, deren Held zwar wechselnde Verbrecher
mit wechselnden Kniffen zur Strecke bringt, aber insgeheim doch behaglich
ahnen läßt, daß es im Grunde dieselben wie beim letzten Mal
waren; dort gibt es schließlich eine Familienserie, mit deren Personen
man schon nach der ersten Folge so gut befreundet ist, daß man nicht
nur ihre Probleme kennt, sondern auch die Art und Weise, in der sie sie schließlich
lösen werden.
Das Kalkül von Sendungen, die sich eigentlich den Zuschauer verfügbar
machen wollen, wendet sich damit aber zwangsläufig gegen sich selbst.
Wo es einem Programm gelingt, sich dem Zuschauer vertraut zu machen, wird
es prompt von den Zuschauern in Besitz genommen als ihr eigenes; über
das in Wahrheit sie verfügen - das sich ihnen zu fügen hat. Als
Massenmedium ist das Fernsehen ohnehin der ständigen Versuchung ausgesetzt,
sein Programm dem Gesetz der großen Zahl zu unterwerfen und es auf jenen
Nenner einzuebnen, von dem zu erwarten ist, daß auf ihn sich alle einigen
können. Wenn man als Grenzzuschauer, denjenigen Zuschauer definiert,
den man gerade noch erreichen kann, ohne auf ein bestimmtes Qualitätsniveau
des Programms zu verzichten, so stellt sich umgekehrt immer auch die Frage,
ob nicht das Qualitätsniveau gesenkt werden sollte, um noch den letzten
möglichen Zuschauer zu erreichen, dessen Rezeptionsniveau dann das Programm
deter-minieren würde. Die Serialisierung der Programme ist nur ein Teil
dieser Anstrengung, ein möglichst großes Publikum zu erreichen.
Aber gerade mit seinen Serien hat das Fernsehen sich bislang immer einen zusätzlichen
Niveauverlust eingehandelt, der auffällig genug ist, als daß er
nur durch die pure Quantität der Zuschauer zu erklären wäre,
sondern der auch einen qualitativen Grund im Genre selbst hat: ein Genre,
das sich seinem Publikum so extrem gemein machen muß wie die Serie (und
erst recht die sogenannte 'Familienserie'!), kann sich seiner Liebhaber allenfalls
zeitweilig erwehren; über kurz oder lang, so scheint es, muß es
doch ihrer Umarmung erliegen.
Die von Rainer Werner Fassbinder gemeinsam mit dem WDR konzipierte Serie Acht
Stunden sind kein Tag, hat sich, der serienimmanenten Dialektik eingedenk,
von vornherein spröde gegeben wie nur irgendein 'junges Mädchen.
Freilich wollte auch sie nicht ganz ungeliebt bleiben, wollte kokettieren
um die Gunst der Leute, wollte sich zwar nicht hingeben, aber wiederum doch
begehrt werden. Dieser Zwiespalt drückte sich deutlich in einigen Randfiguren
aus, beispielsweise in Tante Klara, dem Stereotyp der komischen alten Jungfer,
oder in Herrn Meier, dem Stereotyp des subalternen Beamten, aber auch in zentralen
Figuren wie Oma und Gregor, die in ihrer patenten Kuriosität keinen Zweifel
daran liegen, daß sie geradewegs einem Schwank entlaufen waren und sich
durch nichts davon abbringen lassen würden, dessen Mittel und Methoden
auch in die seriöse Welt einer Arbeiterfamilie einzubringen. Gerade am
outriert und extravagant erscheinenden Verhalten von Oma und Gregor läßt
sich die dramaturgische Strategie der Serie selbst am deutlichsten erkennen.
Im Genre des bürgerlichen Schwanks oder der Komödie, deren Mittel
sie so drastisch ausbeuten, wären Oma und Gregor vergleichsweise unauffällig
geblieben. Zum Eklat wurden sie nur, weil Ausdrucksformen, die bislang Eigentum
bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Milieus waren, in Acht Stunden
erstmals in ein proletarisches Milieu eingeführt und mit diesen Formen
Geschichten erzählt wurden, die bislang jedenfalls auf völlig andere
Weise erzählt worden waren. Diese Transplantation hatte zweierlei Vorteile
- einen wirkungästhetischen: die auf dem vorgegebenen Hintergrund 'verfremdet'erscheinenden
Verhaltensweisen der Figuren wurden dadurch überaus kenntlich; einen
ideologischen: der scheinbar unbegrenzte Verhaltens- und Handlungsspielraum,
den die bürgerliche Kultur - der Roman, das Theater und noch die dem
Eklektizismus und Privatismus verfallene Familienserie - ihren Helden läßt,
bot einen wirkungsvollen Hebel, um das normierte, reglementierte, unfreie
Arbeitermilieu zu problematisieren.
Die Arbeiterfilme, die das Fernsehen bisher hervorgebracht hat, zeichneten
sich - bei aller Unterschiedlichkeit der Inhalte und der jeweiligen Form der
Darstellung - immer durch eine gemeinsame ideologische Haltung gegenüber
ihrem Milieu und ihren Figuren aus. Das Milieu wurde beschrieben als grau,
trist und freudlos, speziell die Situation am Arbeitsplatz als eigentlich
unerträglich und unmenschlich - aber im Grunde unverhinderbar. Die Figuren
schließlich waren Teil dieser Vogelperspektive, die sich als mitleidend
und mitfühlend ver-stand und in Wirklichkeit aus der Sicht der Betroffenen
gelegentlich hochmütig erscheinen mußte: depravierte und resignierte
Menschen, Objekt und Opfer eines gesellschaftlichen Zustands, der sich in
der ihm unterstellten Statik eher wie ein Naturzustand präsentierte,
gegen den aufzumucken von vornherein aussichtslos schien. Und wer in diesen
Filmen, sei es aus schierer Tollkühnheit, doch aufzumucken wagte, dem
war das Scheitern so prompt gewiß, als könnte es für einen
Arbeiter gar nicht anders sein.
Acht Stunden sind kein Tag hat von vornherein konsequent ein Gegenbild
zum wohlfeilen Einverständnis entwerfen wollen, demzufolge der Arbeiter
nicht nur der 'underdog', dieser Gesellschaft ist, sondern es unweigerlich
auch bleiben muß. Gewiß sind die Arbeiter die Neger, auf deren
Knochen sich diese Gesellschaft reproduziert; gewiß hat die offizielle
Nomenklatur recht, die die Arbeiter als Abhängige rubriziert, und gewiß
hat diese Abhängigkeit auch Folgen für das Bewußtsein der
Betroffenen, das gelegentlich so mies wird, wie es die Verhältnisse Sind,
unter denen es entsteht. Dennoch unterschlägt ein Ansatz, der sich darauf
beschränkt, das Vorgefundene zu reproduzieren und zu repetieren, die
Widersprüchlichkeit gesellschaftlicher Verhältnisse, die eben keine
Zustände, sondern Prozesse Sind, denen Menschen nicht nur unterworfen
werden, sondern die sie auch in Bewegung halten, sei es durch Widerstand oder
durch Initiative. Acht Stunden sind kein Tag hat deswegen seine Figuren
mit Eigenschaften ausgestattet, die der Konsens an proletarischen Figuren
bisher nicht wahrhaben wollte und die doch in Wahrheit eher bescheiden dimensioniert
sind: Selbstbewußtsein, Aktivität, Zähigkeit, Mut, Schlauheit,
List - Eigenschaften, die einer erst recht dann braucht und entwickeln muß,
wenn seine gesellschaftliche Lage schwierig ist. Darüber hinaus hat diese
Serie ihren Arbeitern Verhaltensweisen und Erlebnisse attestiert, die bislang
eher zum Verhaltens- und Erlebniskatalog anderer gesellschaftlicher Gruppen
zu gehören schienen. So interessieren sich die Arbeiter in Acht Stunden,
gelegentlich für ihre Arbeit, statt ihr nur Widerwillen entgegenzubringen
oder unter ihr zu leiden; sie haben Glülckserlebnisse; sie denken gelegentlich
über ihre Lebensbedingungen nach und darüber, wie man sie verbessern
könnte; sie versuchen gelegentlich einen Konflikt für sich zu entscheiden,
und manchmal gelingt ihnen das sogar oder es gelingt ihnen doch ein bißchen.
Acht Stunden sind kein Tag hat tatsächlich so getan, als wären
Arbeiter nicht nur Objekte der Geschichte, sondern könnten auch deren
Subjekte sein, als seien sie einem blinden Schicksal nicht ausgeliefert, sondern
könnten ihr eigenes Schicksal auch selbst in die Hand nehmen.
Als Subjekt der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft hatten sich
bisher freilich immer nur die Bürger selbst verstanden, und das hat sich
in der bürgerlichen Kultur denn auch konsequent niedergeschlagen, die
sich unermüdlich nur mit ihresgleichen beschäftigte in ihren Romanen,
Theaterstücken, Filmen und auch in ihren Fernsehserien. Die gelegentlich
unverhüllt-übermäßige Wut, mit der auf Acht Stunden
reagiert wurde, sich nur auf diesem Hintergrund. Offenbar hatten unsere Figuren
hier fremdes Terrain betreten: eine Spiel-wiese bürgerlicher Freiheiten,
die bislang dem bürgerlichen Individuum vorbehalten schienen, als hätte
der Anspruch dieser Gesellschaft nicht die individuelle Entfaltung aller vorgesehen.
Die Reaktion mußte um so heftiger ausfallen, als das Bürgertum
seine letzten Familiengeschichten, auf die es noch Stolz sein konnte, mit
den Buddenbrooks oder mit Soll und Haben, erzählt hatte
und seitdem mehr und mehr nur noch seinen Verfall und seine Unsicherheit reflektierte.
In den Familienserien hatte diese gesellschaftliche Desorientierung ihren
greifbarsten Ausdruck gefunden, war der einstige selbstbewußte Anspruch,
Herr der Geschichte zu sein, vollends heruntergekommen auf die hilflose und
ziellose Anstrengung, wenigstens noch Herr seiner kümmerlichen privaten
Geschicke inmitten einer undurchschaubaren und übermächtigen Welt
zu bleiben. Jochen und Marion und die anderen Arbeiterfiguren, die diese Spielwiese
mit der unvermittelten Naivität besetzten, als gehörte ihnen die
Welt, kopierten mit diesem Verhalten im Grunde nichts anderes als die stolze
Gebärde des früheren Bürgertums. Aber gerade deshalb, weil
jene Spielfläche von den Vorgängern in Wirklichkeit schon lange
geräumt war, bot sie eine vorzügliche Gelegenheit, in die alten
Gebärden zu schlüpfen und sie an einer neuen Welt zu erproben. Die
Welt, die mit Acht Stunden, in das Genre eingebracht wurde, war allerdings
eine, die zur Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit aufforderte, und nicht
die Welt der privaten Scheinkonflikte, die vorher das Genre beherrschten und
die im Grunde nur Ausdruck der gesellschaftlich diffusen Lage des Kleinbürgertums
und seines verunsicherten, unprofilierten und unengagierten Bewußtseins
waren.
Nicht zufällig haben unter den neueren Familienserien aus dem kleinbürgerlichen
Milieu nur 'jene sich als interessant erwiesen, in denen die Figuren sich
als Liberale entpuppten, die nicht mehr so sehr auf ihren eigenen privaten
Nabel starren als vielmehr auf gesellschaftlich relevante Probleme. Merkt
man jenen Serien gelegentlich noch die Anstrengung an, die es kostet, sich
gleichsam sozialhelferisch für die Sache anderer einzusetzen - weil eine
eigene angesichts der Heterogenität der gesellschaftlichen Gruppe nur
schwer zu definieren ist, so waren die Figuren von Acht Stunden, von
vornherein im Vorteil: war die Sache, für die sie eintraten, doch immer
die Sache von vielen und ihre eigene zugleich, konnten sie sich doch solidarisch,
verhalten, weil Solidarität, in ihrer Klasse kein Fremdwort ist, sondern
der grundsätzlich gemeinsamen Lage aller entspringt, die von vornherein
in hohem Maße als gemeinsame empfunden wird oder doch leicht als solche
problematisiert werden kann: Dies wiederum war in anderen Filmen, ähnlich
den traditionellen Arbeiterfilmen, sattsam beschrieben worden das Neue an
Acht Stunden, war, daß beides zusammengebracht wurde: das proletarische
Milieu zum einen und der bürgerliche Held zum anderen, eine soziologisch
exakt definierter gesellschaftliche Klasse und eine Kunstfigur, deren wesentliche
Verhaltensmerkmale bislang immer nur einer anderen Klasse zugeschrieben wurden.
Der innere Widerspruch dieser Konzeption, den die Kritik recht genau mit dem
Begriff 'geschminkte Proleten' markierte, erwies sich zunächst als äußerst
produktiv (von ihren Grenzen wird gleich noch zu reden sein), was den zu vermutenden
Lerneffekt der Serie angeht. Über Fernsehen vermitteltes 'Lernen'ist
gewiß ein sehr komplexer und jedenfalls schwer meßbarer Vorgang,
besonders, wenn das Lernmaterial eine unterhaltsame Familien-serie ist. Vermuten
aber läßt sich, daß Verhaltensweisen, die an einer populären
und vertrauten Serienfigur festgemacht sind, von vornherein einen relativ
hohen Aufmerksamkeitswert für sich beanspruchen können. Vermuten
laßt sich weiter, daß diese Aufmerksam-keit um so höher sein
wird, je deutlicher sich das beobachtete Verhalten als 'abweichendes' unnormales,
unkonventionelles zu erkennen gibt, das gleichwohl zur Identifikation reizt
oder, mehr noch, zur Diskussion. Zur Diskussion bietet sich das an, was einen
Aspekt der eigenen Identifikation berührt (wie man selbst einmal sein
wollte und doch nicht war, wie man selbst sich gerne verhalten würde
und es doch nicht tut) und diese damit problematisiert und der Oberprüfung
aussetzt. Gerade der kritische Realitätsbezug in Acht Stunden
scheint das Interesse der Zuschauer konstituiert zu haben (die über fünf
Folgen hinweg der Serie auch bei attraktiven Gegenangeboten des ZDF stets
treu blieben), weil hier die Realität als eine - durch abweichendes,
unangepaßtes Verhalten der Figuren - veränderbare gezeigt und zum
Phantasieren über sie aufgefordert wurde, statt das Bestehende einmal
mehr in seiner ganzen scheinhaften Übermächtigkeit zu reproduzieren;
weil identisches Verhalten von Menschen in einer Welt vorgeführt wurde,
die eher auf die Verhinderung solchen Verhaltens, wenn nicht auf dessen Zerstörung
bedacht ist; weil hier die Verweigerung der ewigen Anpassung auch dann noch
gutgeheißen wurde, wenn einer - kurzfristig jedenfalls mit dem Realitätsprinzip
besser gefahren wäre; weil eine einmal als richtig erkannte Sache nicht
allein dadurch schon als falsch denunziert wurde, wenn sie sich als schwer
durchsetzbar erwies. Acht Stunden sind kein Tag, war ein erster Anfang,
eine Arbeiterserie im Fernsehen zu etablieren und bei einem Publikum durchzusetzen,
das der Konfrontation mit seinen eigenen Problemen ausweichen möchte
und ihrer Darstellung mit Desinteresse und Apathie begegnet, wofür die
Einschaltziffern einschlägiger Filme ein nur allzu deutliches Zeugnis
sind. Acht Stunden konnte diesen ersten Schritt nur tun, indem es gleichsam
die Flucht nach vorne antrat und die proletarischen Verhältnisse durch
den Mund einer im Grunde bürgerlichen Figur zum Reden brachte. Dieser
Kunstgriff, nötig angesichts der faktischen Sprachlosigkeit und Ohnmacht
der Arbeiter selbst, deren gesellschaftliche Lage den selbstbewußten
Helden nicht duldet, möglich gemacht durch das Angebot im Figurenarsenal
des Genres, bezeichnet zugleich auch die Grenzen einer solchen Konzeption.
Nicht ganz zu Unrecht ist ihr ja unter anderem vorgehalten worden, daß
der aufrechte Gang, ihrer Figuren gelegentlich auch Merkmale von 'einzelkämpferischem'
oder 'organisations-feindlichem'Verhalten aufweist - Merkmale eben, die sie
sich mit der Anleihe beim bürger-lichen Helden notwendig eingehandelt
hat und die ihr jetzt selbst im Wege stehen. Wenn es den ersten fünf
Folgen von Acht Stunden, trotzdem gelungen sein sollte, die Figur des
proletarischen Helden, im öffentlichen Bewußtsein plausibel zu
machen, wenn der Widerstand gegen eine Arbeiterserie mit diesem ersten Versuch
insgesamt ein wenig abgebaut worden ist, dann läßt sich in einem
neuen Ansatz vielleicht auch unbeschwerter darüber nachdenken, wie der
Prolet realistischer aus seinen eigenen Verhältnissen konzipiert werden
könnte.