WWW.HAUSSITE.NET > SCRIPT SECTION
Titel: Der Bann wird gebrochen:
Siliziumhirne,
Roboter mit Bewusstsein und fremde Geister
Autor: John R. Searle
Auszug aus: Die Wiederentdeckung des Geistes. Suhrkamp:
München, 1996
Der Bann wird gebrochen:
Siliziumhirne,
Roboter mit Bewusstsein und fremde Geister
John R. Searle
Dass die Welt vollständig objektiv
sei, ist eine Auffassung, die uns mit grosser Macht gefangen hält, obwohl
sie mit den offenkundigsten Tatsachen unseres Erlebens unvereinbar ist. Dies Bild
ist falsch, und darum sollte es uns möglich sein, seinen Bann zu brechen.
Ich kenne keinen einfachen Weg, der dahin führt. Jedoch ist es eines der
vielen Ziele dieses Buchs, diese Aufgabe in Angriff zu nehmen. In diesem Kapitel
möchte ich einige Gedankenexperimente vorstellen, die dagegen sprechen, dass
dies ein akkurates Bild ist. Anfangs wird es in den Gedankenexperimenten darum
gehen, diejenige Konzeption des Geistigen in Frage zu stellen, derzufolge es in
einer wichtigen inneren Beziehung zum Verhalten steht.
Zu Beginn der Unterminierung
der Grundlagen dieser gesamten Denkweise möchte ich einige Beziehungen zwischen
Bewusstsein, Verhalten und dem Hirn betrachten. Bei dieser Erörterung wird
es zumeist um bewusste geistige Phänomene geben, aber die Ausserachtlassung
des Unbewussten an dieser Stelle ist keine so grosse Beschränkung, denn wir
haben - wie ich im 7. Kapitel ausführen werde - keine Vorstellung von einem
unbewussten Geisteszustand, der nicht von bewussten Zuständen abgeleitet
wäre. Zur Eröffnung der Argumentation möchte ich ein früheres
Gedankenexperiment verwenden (Searle 1981). Dieses Gedankenexperiment ist so etwas
wie eine olle Kamelle in der Philosophie, und ich weiss nicht, wer es als erster
angestellt hat. In meinen Vorlesungen habe ich seit Jahren davon Gebrauch gemacht,
und vermutlich kann man es beim Nachdenken über diese Themen kaum vermeiden,
dass man schliesslich auf solche Ideen kommt.
1. Siliziumhirne
Das
geht folgendermassen. Man stelle sich vor, dass das eigene Hirn sich in einer
Weise zu verändern beginnt, die zu einer allmählichen Erblindung führt.
Die auf Linderung bedachten Ärzte versuchen alles, um die Sehkraft wiederherzustellen.
Als äusserste Massnahme versuchen sie es damit, Silizium-Chips in den visuellen
Cortex einzupflanzen. Man stelle sich nun vor, dass dies zur allgemeinen Verwunderung
auch gelingt: die Silizium-Chips stellen die Sehkraft wieder im normalen Masse
her. Nun stelle man sich des weiteren vor, dass der Zustand des eigenen Hirns
sich betrüblicherweise immer weiter verschlechtert und dass die Ärzte
weitere Silizium-Chips implantieren. Man kann schon jetzt sehen, worauf das Gedankenexperiment
hinausläuft: Am Ende so stellen wir uns vor - ist das gesamte eigene Hirn
durch Silizium Chips ersetzt; wenn man den Kopf schüttelt, kann man die Chips
im eigenen Schädel rappeln hören. In einer derartigen Situation gäbe
es verschiedene Möglichkeiten. Eine logische Möglichkeit, die sich mit
apriorischen Gründen allein nicht ausschliessen lässt, ist sicherlich
folgende: Man hat auch weiterhin all die Arten von Gedanken, Erlebnissen, Erinnerungen
usw., die man zuvor hatte; der Ablauf des eigenen geistigen Lebens bleibt derselbe.
In diesem Fall stellen wir uns also vor, dass die Silizium-Chips nicht nur ein
Duplikat der Input-Output-Funktionen eines Menschen herstellen können, sondern
auch eines derjenigen geistigen Phänomene (ob nun bewusst oder nicht), die
normalerweise für die Input-Output-Bedingungen verantwortlich sind.
Ich
möchte sofort hinzufügen, dass ich keine Sekunde lang glaube, so etwas
sei auch nur im entferntesten empirisch möglich. Meines Erachtens ist die
Annahme empirisch absurd, wir könnten ein Duplikat der Kausalkräfte
von Neuronen vollständig mit Silizium herstellen. Doch das ist eine empirische
Behauptung, die ich aufstelle. Das liesse sich nicht a priori beweisen. Mithin
bleibt das Gedankenexperiment - als eine Feststellung darüber, was logisch
oder begrifflich möglich ist - gültig.
Doch stellen wir uns nun
ein paar Variationen des Gedankenexperiments vor. Eine zweite Möglichkeit,
die sich ebenfalls nicht mit apriorischen Gründen ausschliessen lässt,
ist folgende: Während immer mehr Silizium in Ihr schwindendes Hirn implantier
wird, bemerken Sie, dass der Bereich Ihres bewussten Erlebens immer kleiner wird,
dass dies aber keinen Einfluss auf Ihr äusseres Verhalten hat. Zu Ihrer totalen
Verblüffung merken Sie, dass Sie in der Tat die Kontrolle über Ihr äusseres
Verhalten verlieren. Sie merken beispielsweise, wie die Ärzte bei einem Sehtest
zu Ihnen sagen: "Wir halten jetzt vor Ihnen einen roten Gegenstand hoch;
sagen Sie uns bitte, was Sie sehen." Sie möchten schreien: "Ich
kann überhaupt nichts sehen; ich bin total blind." Aber Sie hören
Ihre Stimme sagen, ohne dass Sie auch nur Einfluss auf die Tonlage nehmen könnten:
Ach sehe vor mir einen roten Gegenstand." Wenn wir dieses Gedankenexperiment
auf die Spitze treiben, kommen wir zu einem noch traurigeren Ergebnis als beim
vorigen Mal. Wir stellen uns dann vor, dass unser bewusstes Erleben allmählich
zu nichts zusammenschrumpft, während unser äusserlich beobachtbares
Verhalten gleich bleibt.
Bei diesen Gedankenexperimenten ist wichtig, dass
man sie sich immer vom Standpunkt der ersten Person durchdenkt. Man sollte sich
fragen: "Wie wäre das für mich?" und man wird sehen, dass
man es sich durchaus vorstellen kann, wie das eigene äussere Verhalten gleich
bleibt, obwohl die bewussten Gedankenvorgänge, die sich in einem selbst innerlich
abspielen, allmählich auf Null schrumpfen. Von aussen scheint es den Beobachtern
so, als ginge es einem prima, aber von innen stirbt man allmählich ab. In
diesem Fall stellen wir uns also eine Situation vor, in der man selbst überhaupt
kein bewusstes geistiges Leben hat, obwohl das eigene äusserlich beobachtbare
Verhalten gleich bleibt.
Bei diesen Gedankenexperimenten ist ebenfalls
wichtig, unsere Festsetzung im Auge zu behalten, dass man zwar das Bewusstsein
verliert, aber dennoch dasselbe Verhalten beibehält. Wer sich verwundert
fragt, wie so etwas möglich sei, der sei an folgendes erinnert: Soweit wir
wissen, befindet sich die Basis des Bewusstseins in gewissen genau angebbaren
Bereichen des Hirns (z.B. vielleicht in der Formati reticularis). Und wir können
in diesem Fall annehmen, dass es mit diesen Hirnbereichen allmählich bis
zu dem Punkt abwärts geht, an dem dann gar kein Bewusstsein mehr im System
ist. Doch wir nehmen des weiteren an, dass die Silizum-Chips ein Duplikat der
Input-Output-Funktionen des gesamten Zentralnervensystems sein können, obwohl
in den Überresten des Systems kein Bewusstsein mehr ist.
Betrachten
wir nun eine dritte Variation. In diesem Fall stellen wir uns vor, dass die fortschreitende
Implantierung der Silizium-Chips zwar keine Veränderung in Ihrem geistigen
Leben verursacht, dass Sie aber zunehmend unfähiger werden, Ihre Gedanken,
Gefühle und Absichten in Handlungen umzusetzen. In diesem Fall - so stellen
wir uns vor - bleiben Ihre Gedanken, Gefühle, Erlebnisse, Erinnerungen intakt,
während an die Stelle Ihres beobachtbaren äusseren Verhaltens allmählich
eine vollständige Lähmung tritt. Am Ende leiden Sie an einer Totalparalyse
obwohl Ihr geistiges Leben unverändert ist. In diesem Fall könnten Sie
die Ärzte sagen hören:
Die Silizium-Chips sind in der Lage, den
Herzschlag, die Atmung und andere Lebensvorgänge in Gang zu halten, aber
der Patient ist offensichtlich hirntot. Wir könnten ruhig die Versorgung
des Systems abbrechen, denn der Patient hat ja überhaupt kein geistiges Leben
mehr.
In diesem Fall wüssten Sie, dass die Ärzte sich völlig
irren. Das heisst, Sie würden am liebsten laut schreien:
Nein, ich
bin immer noch bei Bewusstsein! Ich nehme alles wahr, was um mich herum geschieht.
Ich kann mich nur nicht bewegen. Ich bin völlig gelähmt.
Der
Witz dieser drei Variationen des Gedankenexperiments ist es, die kausalen
Beziehungen zu veranschaulichen, die zwischen Hirnvorgängen, geistigen Vorgängen
und äusserlich wahrnehmbarem Verhalten bestehen. Im ersten Fall haben wir
uns vorgestellt, dass die Silizium-Chips Kausalkräfte hätten, die denen
des Hirns gleichwertig sind, und somit diejenigen Geisteszustände und Verhaltensweisen
verursachen würden, die normalerweise von Hirnvorgängen verursacht werden.
Im Normalfall vermitteln solche Geisteszustände die Beziehung zwischen Reizen
auf der Eingabeseite und Verhalten auf der Ausgabeseite.
Im zweiten Fall
haben wir uns vorgestellt, dass die Vermittlung zwischen dem Geist und den Verhaltensmustern
unterbrochen wäre. In diesem Fall wären die Silizium-Chips keine Duplikate
der Kausalkräfte des Hirns, dank welchen es bewusste Geisteszustände
erzeugt; sie wären nur Duplikate gewisser Input-Output-Funktionen des Hirns.
Das zugrundeliegende geistige Leben war ausgelassen worden.
Im dritten
Fall haben wir uns eine Situation vorgestellt, in der die betreffende Person zwar
dasselbe geistige Leben hätte wie zuvor, die geistigen Phänomene aber
keinen Ausdruck im Verhalten mehr hätten. Eigentlich hätten wir uns
in diesem Fall die Silizum-Chips ersparen können. Es wäre ganz leicht
gewesen, sich eine Person vorzustellen, deren motorische Nerven so beschädigt
wurden, dass sie völlig gelähmt ist, obwohl das Bewusstsein und andere
geistige Phänomene davon unberührt geblieben sind In der klinischen
Wirklichkeit gibt es Fälle wie diese. Patienten mit dem Guillain/Barr&Syndrom
sind völlig gelähmt, aber zugleich völlig bei Bewusstsein.
Welche
philosophische Bedeutung haben diese drei Gedankenexperimente? Mir scheint, dass
wir daraus einiges lernen können. Am wichtigsten ist, dass sie etwas über
die Beziehung zwischen Geist und Verhalten veranschaulichen. Was genau ist die
Wichtigkeit des Verhaltens für den Begriff des Geistes? Ontologisch gesehen
sind Verhalten, funktionale Rolle und Kausalbeziebungen irrelevant für die
Existenz bewusster geistiger Phänomene. Erkenntnistbeoretisch gesehen
erfahren wir tatsächlich zum Teil aus dem Verhalten der Menschen etwas über
ihre bewussten Geisteszustände. Was die Kausalität angeht, so
dient das Bewusstsein zur Vermittlung der Kausalbeziehungen zwischen Reizen auf
der Inputseite und Verhalten auf der Outputseite; und von einem evolutionären
Standpunkt betrachtet ist es die Kausalfunktion des bewussten Geistes, Verhalten
zu steuern. Aber ontologisch gesehen können die in Frage stehenden
Phänomene mitsamt all ihren wesentlichen Eigenschaften in vollständiger
Unabhängigkeit von jedwedem Verhalten auf der Outputseite existieren.
Die
meisten Philosophen, die ich kritisiert habe, würden die beiden folgenden
Aussagen akzeptieren:
1. Das Hirn verursacht bewusste geistige Phänomene.
2.
Es gibt irgendeine Art logischer oder begrifflicher Verknüpfung zwischen
bewussten Geistesphänomenen und äusserem Verhalten.
Die Gedankenexperimente
verdeutlichen jedoch, dass diese beiden sich nicht mit der folgenden Aussage vertragen:
3.Das
Vermögen des Hirns, Bewusstsein zu verursachen, ist begrifflich unterschieden
von seinem Vermögen, motorisches Verhalten zu verursachen. Ein System könnte
Bewusstsein ohne Verhalten und Verhalten ohne Bewusstsein haben.
Doch angesichts
der Wahrheit von 1 und 3 müssen wir 2 aufgeben. Das erste, was wir demnach
aus unseren Gedankenexperimenten ableiten können, ist etwas, das wir vielleicht
"das Prinzip der Unabhängigkeit von Bewusstsein und Verhalten"
nennen könnten. Im zweiten Gedankenexperiment hatten wir uns die Lage vorgestellt,
in der das Verhalten gleich blieb, obwohl die geistigen Phänomene verschwunden
waren - mithin ist Verhalten keine hinreichende Bedingung für geistige Phänomene.
Und schliesslich hatten wir uns Umstände vorgestellt, in denen zwar geistige
Phänomene gegeben waren, das Verhalten hingegen verschwunden war - mithin
ist Verhalten auch keine notwendige Bedingung für das Vorhandensein des Geistigen.
Zweierlei
wird ausserdem noch durch die Gedankenexperimente veranschaulicht. Erstens, die
Ontologie des Geistigen ist wesentlich eine Ontologie der ersten Person. Das ist
nichts weiter als eine geschwollene Formulierung dafür, dass jeder Geisteszustand
jemandes Geisteszustand sein muss. Geisteszustände existieren nur als
subjektive Erste-Person-Phänomene. Der zweite Punkt hängt mit dem ersten
zusammen und besagt: Der Standpunkt der ersten Person ist, erkenntnistheoretisch
gesehen, etwas völlig anderes als der Standpunkt der dritten Person. Es bereitet
nicht die geringsten Schwierigkeiten, sich Fälle vorzustellen, in denen jemand
vom Standpunkt der dritten Person aus nicht in der Lage sein könnte zu beurteilen,
ob ich überhaupt irgendwelche Geisteszustände habe. Er könnte sogar
denken, dass ich nicht bei Bewusstsein bin, obwohl ich völlig bei Bewusstsein
bin. Vom Standpunkt der ersten Person aus steht es ausser Frage, dass ich bei
Bewusstsein bin, selbst wenn es sich herausstellte, dass keine Dritte-Person-Tests
anwendbar sind.
2. Roboter mit Bewusstsein
Ich möchte die Ergebnisse
des ersten Gedankenexperiments mit Hilfe eines zweiten stützen. Wiederum
ist es das Ziel, mit Hilfe unserer Intuitionen einen Keil zwischen Geisteszustände
und Verhalten zu treiben. Stellen wir uns vor, wir entwürfen Roboter' die
am Fliessband arbeiten sollen. Unsere Roboter wären ziemlich primitiv und
würden bei den etwas differenzierteren Aufgaben meist ein Durcheinander veranstalten.
Aber stellen wir uns weiterhin vor, wir wüssten genug über die elektrochemischen
Eigenschaften des menschlichen Bewusstseins, um zu wissen, wie man Roboter bauen
kann, die ein ziemlich niedriges Bewusstseinsniveau haben, und so könnten
wir Roboter mit Bewusstsein entwerfen und herstellen. Und nun stellen wir uns
auch noch vor, diese Roboter mit Bewusstsein könnten Dinge voneinander unterscheiden,
die von Robotern ohne Bewusstsein nicht unterschieden werden könnten; deshalb
wären sie als Arbeiter am Fliessband besser. Ist daran irgend etwas inkohärent?
Ich muss sagen, dass dies im Lichte meiner "Intuitionen" vollkommen
kohärent ist. Gewiss, das ist Science fiction, aber das trifft dann auf viele
der wichtigsten Gedankenexperimente in der Philosophie und der Wissenschaft zu.
Doch
nun stelle man sich vor, dass unsere Roboter mit Bewusstsein unglücklicherweise
eine weitere Eigenschaft haben: Sie fühlen sich hundeelend. Wir können
wiederum annehmen, unsere Neurophysiologie sei inzwischen weit genug entwickelt,
um nachzuweisen, dass sie extrem unglücklich sind. Stellen wir uns nun vor,
wir stellten unserer Roboter-Forschungsgruppe folgende Aufgabe: Entwerfen Sie
einen Roboter ganz ohne Bewusstsein mit derselben Diskriminationsfähigkeit
wie die Roboter mit Bewusstsein. Wir können dann die unglücklichen Roboter
in einen lustvolleren Lebensabend entlassen. Dies scheint mir ein wohlumrissenes
Forschungsprojekt zu sein, und wir können uns die Vorgehensweise unserer
Wissenschaftler vielleicht folgendermassen vorstellen: Sie versuchen einen Roboter
mit einer "Hardware" zu entwerfen, von der sie wissen, dass sie kein Bewusstsein
bewirkt oder aufrechterhält, wobei der fertige Roboter dann allerdings trotzdem
dieselben Input-Output-Funktionen hat wie der Roboter, dessen "Hardware"
Bewusstsein verursacht und erhält. Wir könnten annehmen, dass ihnen
das gelingt, dass sie einen Roboter ganz ohne Bewusstsein bauen, der Verhaltensfähigkeiten
und -fertigkeiten hat, die mit denen desjenigen Roboters absolut identisch sind,
der Bewusstsein hat.
Der Witz dieses Gedankenexperiments ist es zu zeigen,
dass Verhalten unerheblich ist, wenn es um die Ontologie des Bewusstseins geht.
Wir könnten zwei Systeme mit identischem Verhalten haben, von denen
eines Bewusstsein hat und das andere nicht.
3. Der Empirismus und das "Problem
des Fremdpsychischen"
Vielen Philosophen mit einem Hang zum Empirischen
werden diese beiden Gedankenexperimente nicht behagen, insbesondere das erste.
Ihnen wird es so vorkommen, als unterstellte ich hinsichtlich der Geisteszustände
eines Systems die Existenz empirischer Tatsachen, die sich aber nicht durch irgendwelche
empirischen Mittel nachweisen lassen. Ihre Konzeption vom empirischen Nachweis
der Existenz geistiger Tatsachen beruht völlig auf der Voraussetzung, es
müsse sich um Verhaltensbeleg handeln. Sie glauben, das Verhalten eines anderen
Systems sei der einzige Anhaltspunkt, den wir haben, um diesem System Geisteszustände
zuzuschreiben.
In diesem Abschnitt möchte ich damit fortfahren, das
Problem des Fremdpsychischen zu erörtern, dem wir schon im ersten Kapitel
begegnet sind. Eines meiner Ziele ist es zu zeigen, dass die beiden soeben geschilderten
Gedankenexperimente keinerlei inkohärente oder anstössige erkenntnistheoretisch
Implikationen haben. Vornehmlich kommt es mir jedoch darauf an zu entwickeln,
welche "empirische" Basis wir für die Annahme haben, dass andere
Menschen und höhere Tiere bewusste geistige Phänomene etwa so wie wir
haben.
Zu Beginn dieser Erörterung muss hervorgehoben werden, dass
es in der Geschichte der empiristischen Philosophie und der Philosophie des Geistes
eine systematische Mehrdeutigkeit im Gebrauch des Wortes "empirisch"
gibt. Denn es gibt einen ontologischen und einen erkenntnistheoretischen Sinn
dieses Worts. Wird von empirischen Tatsachen gesprochen, dann sind damit manchmal
kontingente Tatsachen in der Welt gemeint im Gegensatz beispielsweise zu Tatsachen
der Mathematik oder Tatsachen der Logik. Doch manchmal, wenn von empirischen Tatsachen
gesprochen wird, dann sind damit Tatsachen gemeint, die sich vom Standpunkt der
dritten Person nachweisen lassen, Anders gesagt: mit "empirischen Tatsachen"
oder "empirischen Methoden" sind Tatsachen bzw. Methoden gemeint, die
allen kompetenten Beobachtern zugänglich sind. Diese systematische Mehrdeutigkeit
im Gebrauch des Wortes "empirisch" legt nun allerdings etwas nahe, das sicherlich
falsch ist: Alle empirischen Tatsachen (im ontologischen Sinn von "Tatsache-in-der-Welt")
seien - was ihre Erkennbarkeit angeht - allen kompetenten Beobachtern gleichermassen
zugänglich. Wir wissen aber, dass dies nicht stimmt. Es gibt jede Menge empirische
Tatsachen, die nicht allen kompetenten Beobachtern gleichermassen zugänglich
sind. Der vorige Abschnitt enthielt einige Gedankenexperimente die dies zeigen
sollten, aber wir haben sogar empirische Daten, aus denen sich genau dasselbe
ergibt.
Betrachten wir folgendes Beispiel. (1) Mit einiger Mühe können
wir uns vorstellen, wie es wäre, ein fliegender Vogel zu sein. Ich sage "mit
einiger Mühe", weil man natürlich immer versucht ist, sich vorzustellen,
wie es für uns wäre, wenn wir flögen, und nicht eigentlich,
wie es für einen Vogel ist, zu fliegen. Nun wissen wir aber dank neuerer
Forschungen, dass manche Vögel durch Wahrnehmung des Magnetfelds der Erde
navigieren Nehmen wir einmal an, dass der Vogel ein bewusstes Erlebnis davon hat,
wie der Magnetismus durch seinen Körper wogt, genau so, wie er ja auch seinen
Flügelschlag und den gegen seinen Körper wehenden Wind bewusst erlebt.
Nun, wie ist es, eine Woge von Magnetismus zu fühlen? In diesem Fall muss
ich sagen, dass ich nicht die blasseste Ahnung habe, wie es sich für einen
Vogel (oder auch für einen Menschen) anfühlt, eine Woge von Erdmagnetismus
zu spüren. Es ist, so unterstelle ich, eine Frage der empirischen Tatsachen,
ob Vögel, die mittels ihrer Wahrnehmung des Magnetfelds navigieren, wirklich
ein bewusstes Erlebnis der Wahrnehmung des Magnetfelds haben oder nicht. Doch
der genaue qualitative Charakter dieser empirischen Tatsache ist den Standardformen
empirischer Tests nicht zugänglich. Und warum sollte er das eigentlich sein?
Warum sollten wir annehmen, dass alle Tatsachen in der Welt objektiven Tests aus
der Perspektive der dritten Person gleichermassen zugänglich sind? Wenn man
darüber nachdenkt, erweist sich diese Annahme als offenkundig falsch.
Ich
hatte gesagt, dass dieses Ergebnis nicht so betrüblich ist, wie es vielleicht
scheint. Und der Grund dafür ist einfach. Obwohl wir in einigen Fällen
zu gewissen empirischen Tatsachen ihrer intrinsischen Subjektivität wegen
nicht den gleichen Zugang haben, so haben wir doch im allgemeinen indirekte Methoden,
um zu denselben empirischen Tatsachen zu gelangen. Betrachten wir folgendes Beispiel.
Ich bin völlig überzeugt, dass mein Hund - wie auch andere höhere
Lebewesen - bewusste Geisteszustände hat, so z. B. visuelle Erlebnisse, Schmerzempfindungen,
Empfindungen des Dursts und Hungers, von Kälte und Wärme. Warum bin
ich denn so fest davon überzeugt? Die Standardantwort besagt: Aus dem Verhalten
des Hundes (bzw. aus meiner Beobachtung seines Verhaltens) ziehe ich den Schluss,
dass er Geisteszustände hat so wie ich. Diese Antwort ist meines Erachtens
falsch. Den Schluss ziehe ich nicht nur, weil der Hund sich so benimmt, wie es
passend ist, wenn er bewusste Geisteszustände hat; ich ziehe ihn auch deshalb,
weil ich sehen kann, dass die kausale Basis des Verhaltens in der Physiologie
des Hundes der meinigen erheblich gleicht. Es liegt also nicht allein daran, dass
der Hund eine ähnliche Struktur hat wie ich und dass sein Verhalten sich
so interpretieren lässt, dass Analogien dazu bestehen, wie ich mein eigenes
Verhalten interpretiere. Vielmehr liegt es an der Kombination dieser beiden Tatsachen:
ich kann sehen, dass das Verhalten passend ist und dass es in der zugrundeliegenden
Physiologie passend verursacht ist. Ich kann z. B. sehen, dass dies die
Ohren des Hundes sind, dass dies sein Fell ist, dass dies seine Augen sind; dass
sich - wenn man sein Fell streichelt - Verhalten einstellt, das zum Streicheln
von Fell passt; dass sich - wenn man ihm ins Ohr brüllt - Verhalten einstellt,
das dazu passt, dass in ein Ohr gebrüllt wurde.
Es ist wichtig zu
betonen, dass ich keine tolle oder hochentwickelte anatomische und physiologische
Theorie der Hundestruktur zu haben brauche, sondern nur sozusagen "Alltagsanatomie"
und "Alltagsphysiologie", d. h. die Fähigkeit, die Struktur von
Haut, Augen, Zähnen, Haar, Nase usw. zu erkennen, und die Fähigkeit,
die Annahme zu machen, dass all dies in seinen Erlebnissen eine kausale Rolle
spielt, die der kausalen Rolle dieser Sachen in den eigenen Erlebnissen relevantermassen
gleicht. Allein der Umstand, dass gewisse Strukturen als "Augen" oder
"Ohren" beschrieben werden, impliziert, dass wir ihnen Funktionen und
Kausalkräfte zuschreiben, die denen unserer eigenen Augen und Ohren ähneln.
Kurz, obwohl ich zum Bewusstsein des Hundes keinen direkten Zugang habe, scheint
es mir dennoch eine wohlbestätigte empirische Tatsache zu sein, dass Hunde
Bewusstsein haben, und sie scheint mir durch Anhaltspunkte bestätigt zu sein,
die völlig zwingend sind. Wenn es sich um Lebewesen handelt, die auf der
phylogenetischen Stufenleiter viel weiter unten angesiedelt sind, dann ist meine
Sicherheit nicht annähernd so gross. Ich habe keine Ahnung, ob Fliegen, Grashüpfer,
Krebse oder Schnecken Bewusstsein haben. Mir scheint, solche Fragen kann ich vernünftigerweise
den Neurophysiologen überlassen. Aber nach was für Anhaltspunkten würde
der Neurophysiologe denn Ausschau halten? Hier hilft uns, so scheint mir, ein
anderes Gedankenexperiment weiter, das wir uns gut vorstellen können.
Angenommen,
wir hätten eine Theorie über die neurophysiologische Grundlage des Bewusstseins
bei Menschen. Angenommen, es gäbe ganz präzise, neurophysiologisch isolierbare
Ursachen des Bewusstseins in Menschen, und zwar in der Weise, (lass das Vorliegen
der relevanten neurophysiologische Phänomene sowohl notwendig als auch hinreichend
für Bewusstsein wäre. Wer die hätte, hätte Bewusstsein; wer
sie nicht mehr hätte, hätte sein Bewusstsein verloren. Stellen wir uns
nun vor, dass einige Lebewesen diese Phänomene - die wir der Kürze halber
zusammengenommen als x bezeichnen wollen - haben und andere nicht. Angenommen,
es stellte sich heraus, dass x bei all den Lebewesen (z. B. bei uns selbst, den
Affen, Hunden usw.) auftritt, bei denen wir uns schon aufgrund ihrer Grob-Physiologie
ziemlich sicher waren, dass sie Bewusstsein haben, und dass x bei solchen
Lebewesen (Amöben z. B.) völlig fehlt, denen wir nicht geneigt waren,
Bewusstsein zuzuschreiben. Des weiteren wollen wir annehmen, dass der Wegfall
von x bei jedem den Verlust des Bewusstseins hervorriefe und dass der Wiedergewinn
von x auch wieder zu Bewusstsein führte. In einem derartigen Fall,
so scheint mir, könnte man vernünftigerweise annehmen, dass das Vorhandensein
von x eine entscheidende kausale Rolle bei der Hervorbringung von Bewusstsein
spielt, und diese Entdeckung würde uns in die Lage versetzen, Zweifelsfälle
zu entscheiden (hat dieses Lebewesen Bewusstsein oder nicht?). Wenn Schnecken
x hätten, Milben hingegen nicht, dann könnten wir vernünftigerweise
den Schluss ziehen, dass Milben mit einfachen Tropismen funktionieren und dass
Schnecken Bewusstsein haben genau wie wir, wie die Hunde und die Paviane.
Nicht
einen Augenblick lang nehme ich an, dass die Neurophysiologie des Bewusstseins
sich als derartig einfach erweisen wird. Es scheint mir entschieden wahrscheinlicher
zu sein, dass wir eine grosse Vielfalt an Neurophysiologien des Bewusstseins finden
werden und dass wir in jeder tatsächlichen Experiment-Situation unabhängige
Anhaltspunkte dafür suchen müssten, dass quasimechanische Tropismen
vorliegen, mit denen sich das anscheinend zielorientierte Verhalten von Organismen
ohne Bewusstsein erklären liesse. In diesem Beispiel kommt es einfach nur
darauf an zu zeigen, dass wir über indirekte Mittel objektiver, empirischer
Art verfügen können, um zu empirischen Phänomenen zu gelangen,
die intrinsisch subjektiv und deshalb direkten Dritte-Person-Tests unzugänglich
sind.
Dennoch sollte man die empirischen Dritte-Person-Methoden zur Entdeckung
jener subjektiven, empirischen Erste-Person-Tatsachen nicht für irgendwie
zweitklassig oder unvollkommen halten. Diese Methoden beruhen auf einem über
den Daumen gepeilten Prinzip, das wir auch sonst in Wissenschaft und Alltagsleben
verwenden: dieselben Ursachen - dieselben Wirkungen und ähnliche Ursachen
- ähnliche Wirkungen. Im Falle anderer Menschen können wir leicht
sehen, dass die kausalen Grundlagen ihrer Erlebnisse so gut wie identisch sind
mit denen unserer eigenen Erlebnisse. Aus genau diesem Grund gibt es im wirklichen
Leben kein "Problem des Fremdpsychischen". Tiere liefern einen guten
Testfall für dieses Prinzip, denn sie sind zwar natürlich nicht physiologisch
identisch mit uns, aber sie gleichen uns doch in gewissen wichtigen Hinsichten.
Sie haben Augen, Ohren, Nase, Mund und so weiter. Aus diesem Grunde bezweifeln
wir in Wirklichkeit nicht, dass sie auch die Erlebnisse haben, die mit solcherlei
Art von Ausstattung einhergehen. Bis hierhin sind all unsere Betrachtungen vor-wissenschaftlich.
Doch nehmen wir an, wir könnten für den Fall des Menschen genaue Ursachen
des Bewusstseins eindeutig ausmachen und exakt dieselben Ursachen in anderen Lebewesen
entdecken. Dann, so scheint mir, hätten wir ziemlich schlüssig nachgewiesen,
dass bei einer (oder mehreren) anderen Spezies genau dieselbe Art von Bewusstsein
gegeben ist wie bei uns, denn wir können annehmen, dass dieselben Ursachen
dieselben Wirkungen hervorrufen. Das wäre nicht einfach eine wilde Spekulation,
denn wir hätten ja sehr guten Grund zu der Annahme,dass jene Ursachen in
anderen Spezies dieselben Wirkungen hervorrufen.
Genauso verfährt
man in der Praxis. Lehrbücher der Neuro-Physiologie berichten ohne jedes
Aufheben zum Beispiel darüber, wie die Farbwahrnehmung der Katze derjenigen
des Menschen - und sogar der anderer Tiere - gleicht bzw. wie sie sich
von ihr unterscheidet. Was für eine atemberaubende Unverantwortlichkeit!
Wie können die Verfasser vorgeben, sie hätten das Problem der fremden
Katzenpsyche so mir nichts, dir nichts gelöst? Die Antwort lautet: Das Problem
ist im Hinblick auf die Gesichtswahrnehmung der Katze in dem Moment gelöst,
in dem wir wissen, inwiefern die visuelle Ausstattung der Katze unserer eigenen
und der anderer Spezies gleicht bzw. sich von ihnen unterscheidet. (2)
Wenn
wir erst einmal verstehen, auf welche kausale Grundlage wir uns berufen dürfen,
wenn wir anderen Lebewesen Geisteszustände zuschreiben, dann gibt es für
verschiedene traditionelle Skepsis-Probleme mit "dem Fremdpsychischen"
eine einfache Lösung. Betrachten wir das berühmte Problem mit den vertauschten
Spektren das ich im 2. Kapitel erwähnt habe. Man behauptet, es könnte
sehr wohl möglich sein, dass bei einem Teil der Menschheit eine Rot/Grün-Vertauschung
vorliege; jeder dieser Menschen mache zwar dieselben Verhaltensdiskriminationen
wie wir, aber das tatsächliche Erlebnis, das er beim Grünsehen hat und
das er "Grünsehen" nennt, würden wir - wenn wir es hätten
- als "Rotsehen" bezeichnen, und umgekehrt. Doch nun bedenke man dies:
Angenommen, wir fänden heraus, dass bei einigen Menschen die Rot- und die
Grün-Rezeptoren tatsächlich in einer derartigen Weise vertauscht und
mit dem restlichen Gesichtswahrnehmungssystem verknüpft sind, dass wir damit
überwältigende neurophysiologische Beweise dafür hätten, dass
sie - trotz gleicher Verhaltensdiskriminationen wie wir - andere zugrundeliegende
Erlebnisse haben. Das wäre kein philosophisches Problem, das zum Thema "Skeptizismus"
gehört, sondern eine wohldefinierte neurophysiologische Hypothese. Wenn es
jedoch andererseits keine solchen Menschen gibt, wenn also alle Menschen, die
nicht farbenblind sind, dieselben Rot/Grün-Wahrnehmungspfade haben, dann
haben wir einen handfesten empirischen Grund für die Annahme, dass Gegenstände
für die anderen Menschen so aussehen, wie sie das für uns tun. Eine
ganze Wolke skeptizistischer Philosophie kondensiert zu einem Tröpfchen Neurowissenschaft.
an beachte, dass diese Lösung des "Problems des Fremdpsychischen",
die wir in Wissenschaft und Alltagsleben verwenden, uns zwar hinreichende, aber
keine notwendigen Bedingungen dafür gibt, wann es korrekt ist, anderen Lebewesen
geistige Phänomene zuzuschreiben. Wie ich schon an früherer Stelle in
diesem Kapitel anklingen liess, bedürfte es einer neurobiologischen Theorie,
die viel reicher ist als alles, was wir uns derzeit vorstellen können, um
überhaupt nur zu der Annahme zu gelangen, wir könnten Bedingungen isolieren,
die für Bewusstsein notwendig sind. Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass
der Tisch hier vor mir, der täglich benutzte Computer, der Füller, mit
dem ich schreibe, und das Tonbandgerät, in das ich diktiere, völlig
ohne Bewusstsein sind, aber natürlich kann ich das nicht beweisen -
und das kann auch niemand anders.
4. Zusammenfassung
Bislang habe
ich in diesem Kapitel zwei Ziele verfolgt. Erstens habe ich versucht zu zeigen,
dass Verhalten einfach unerheblich ist, wenn es um die Ontologie des Geistes geht.
Natürlich ist im wirklichen Leben unser Verhalten entscheidend für unsere
Existenz; wenn wir jedoch die Existenz unserer Geisteszustände als Geisteszustände
untersuchen, dann ist das korrelierte Verhalten weder notwendig noch hinreichend
für deren Existenz. Zweitens habe ich versucht, damit anzufangen, den Bann
erkenntnistheoretischer Diskussionen zum "Problem des Fremdpsychischen"zu
brechen, die seit 300 Jahren geführt werden und denen zufolge Verhalten die
alleinige Grundlage unseres Wissens von der Exstenz des Fremdpsychischen (d. h.
eines anderen Geistes als unseres eigenen) ist. Das halte ich für offenkundig
falsch. Verhalten ist nur deswegen relevant für die Entdeckung von Geisteszuständen
anderer Lebewesen, weil es eine Verbindung zwischen Verhalten und der Kausalstruktur
anderer Organismen gibt.
Ein letzter Punkt ist genauso wichtig. Ausser
beim Philosophieren gibt es eigentlich kein "Problem" des Fremdpsychischen,
denn wir haben ja nicht die "Hypothese", "Überzeugung"
oder "Annahme", dass andere Menschen Bewusstsein haben und dass Stühle,
Tische, Computer und Autos keines haben. Vielmehr haben wir gewisse Hintergrundsverhaltensweisen
- gewisse Hintergrundfähigkeiten -, und diese konstituieren unsere Beziehungen
zum Bewusstsein anderer Menschen. Es ist typisch für die Philosophie, dass
oftmals Skepsis-Probleme dann entstehen, wenn Bestandteile des Hintergrunds so
behandelt werden, als seien sie Hypothesen, die gerechtfertigt werden müssen.
Ich stelle nicht die "Hypothese" auf, dass mein Hund oder der Dekan
meiner Fakultät Bewusstsein haben, und mithin stellt sich die Frage nicht
- es sei denn, in der philosophischen Auseinandersetzung.
5. Intrinsische
Intentionalität, Als-ob-Intentionalität und abgeleitete Intentionalität
Für
das Folgende muss ich ein paar einfache Unterscheidungen vorbringen, die in dem,
was ich bislang gesagt habe, implizit enthalten waren. Zu diesem Zwecke wollen
wir die Ähnlichkeiten und Unterschiede betrachten, die zwischen den verschiedenartigen
Wahrheitsbedingungen von Sätzen bestehen, mit denen wir intentionale Geistesphänomene
zuschreiben. Vergleichen wir einmal die folgenden:
1. Ich habe jetzt Durst,
richtigen Durst, weil ich heute den ganzen Tag noch nichts getrunken habe.
2.
Mein Rasen hat Durst, richtigen Durst, weil er seit einer Woche nicht gewässert
worden ist.
3. Im Französischen bedeutet "Jai grand soif":
"Ich habe grossen Durst."
Der erste Satz wird wörtlich verwendet,
um sich selbst einen wirklichen intentionalen Geisteszustand zuzuschreiben. Wenn
ich diesen Satz äussere und damit eine wahre Feststellung mache, dann gibt
es in mir ein bewusstes Durstgefühl, das diese Feststellung wahr macht. Dieses
Gefühl hat Intentionalität, denn zu ihm gehört der Wunsch zu trinken.
Mit dem zweiten Satz verhält es sich ganz anders. Satz 1 wird nur metaphorisch
(oder figurativ) verwendet, um meinem Rasen Durst zuzuschreiben. Wenn mein Rasen
Wasser braucht, dann ist er in einer Lage, in der ich Durst hätte, und so
beschreibe ich ihn figurativ, als ob er Durst hätte.Auch wenn ich
nicht einmal für einen Moment annehme, dass mein Rasen buchstäblich
Durst hat, ist es völlig harmlos, wenn ich ihn - in einer Analogie - durstig
nenne. Der dritte Satz gleicht dem ersten insofern, als er in wörtlicher
Verwendung Intentionalität zuschreibt: jedoch gleicht er dem zweiten (und
unterscheidet sich vom ersten), insofern die zugeschriebene Intentionalität
dem System nicht intrinsisch ist.
Mit der ersten Art von Zuschreibung wird
intrinsische Intentionalität zugeschrieben. Wenn eine derartige Feststellung
wahr ist, dann muss es wirklich einen intentionalen Zustand im Zschreibungsobjekt
geben. Mit dem zweiten Satz wird überhaupt keine Intentionalität
zugeschrieben; er wird nur dazu verwendet, figurativ oder metaphorisch zu reden.
Deshalb sage ich, dass die "Intentionalität" in der Zuschreibung
nur als ob und nicht intrinsisch ist. Damit hier keine Verwirrung entsteht,
ist es wichtig hervorzuheben, dass Als-ob-Intentionalität keine Intentionalität
einer besonderen oder überhaupt irgendeiner Art ist; vielmehr gilt: Ein System,
das Als-ob-Intentionalität hat, ist so, als ob es Intentionalität hätte.
Mit dem dritten Beispiel schreibe ich buchstäblich einem französischen
Satz Intentionalität zu, das heisst, der französische Satz bedeutet
buchstäblich, was ich ihm als seine Bedeutung zuschreibe. Die Intentionalität
des französischen Satzes ist diesem bestimmten Satz - wenn wir ihn als einen
syntaktischen Gegenstand auffassen - jedoch nicht intrinsisch. Genau dieser syntaktische
Gegenstand hätte etwas ganz anderes oder auch gar nichts bedeuten können.
Menschen, die Französisch sprechen, können ihn dazu verwenden, ihre
Intentionalität zum Ausdruck zu bringen. Sprachliche Bedeutung ist wirkliche
Intentionalität, aber keine intrinsische Intentionalität. Sie ist von
der intrinsischen Intentionalität der Sprachverwender abgeleitet.
Dies
lässt sich folgendermassen zusammenfassen: intrinsische Intentionalität
ist ein Phänomen, das zur biologischen Beschaffenheit von Menschen und gewissen
anderen Lebewesen gehört. Wie sie verwendet werden oder was sie über
sich selbst denken oder auf welche Weisen der Selbstbeschreibung sie verfallen
- daran liegt es nicht, ob sie Intentionalität haben. Es ist einfach eine
klare Tatsache, dass Tiere beispielsweise manchmal Hunger oder Durst bekommen,
dass sie Dinge sehen, fürchten und so weiter. Die kursiv gedruckten
Ausdrücke im vorangegangenen Satz bezeichnen allesamt intrinsische intentionale
Zustände. Es ist sehr bequem, im Jargon der Intentionalität über
Systeme zu reden, die gar keine haben, aber den Anschein erwecken, als hätten
sie welche. Von meinem Thermostaten sage ich, er nehme einen Temperaturwechsel
wahr; von meinem Vergaser sage ich, er wisse, wann das Gemisch angereichert
werden muss; und von meinem Computer sage ich, dass er schneller rechne
als der Computer, den ich im letzten Jahr hatte. All diese Zuschreibungen sind
vollkommen harmlos, und ohne Zweifel werden sich aus ihnen schliesslich neue wörtliche
Bedeutungen ergeben, sobald aus den Metaphern tote Metaphern geworden sein werden.
Doch es ist wichtig hervorzuheben, dass diese Zuschreibungen nichts mit Psychologie
zu tun haben, denn sie implizieren ja nicht das Vorhandensein irgendeines geistigen
Phänomens. In all diesen Fällen geht es um pure Als-ob-Intentionalität.
Fälle
vom dritten Typ werden dadurch interessant, dass wir häufig nicht-geistige
Phänomene in einem wörtlichen Sinn mit itentionalen Eigenschaften versehen.
Wenn wir sagen, dass gewisse Sätze gewisse Sachen bedeuten oder dass
gewisse Karten den Staat Kalifornien korrekt darstellen oder dass gewisse
Bilder Bilder von Winston Churchill sind, dann ist daran nichts metaphorisch
oder als ob. Diese Formen der Intentionalität sind wirklich, aber sie sind
von der Intentionalität handelnder Menschen abgeleitet.
Seit mehr
als einem Jahrzehnt verwende ich den Ausdruck "intrinsisch" (vgl. Searle
1980), aber es gibt da immer noch gewisse Missverständnisse. Im üblichen
Sprachgebrauch wird "intrinsisch" oft als Gegensatz zu "relational"
verwendet. So hat der Mond intrinsischerweise eine Masse, er ist aber nicht intrinsischerweise
ein Satellit. Ein Satellit ist er nur relativ zur Erde. In diesem Sinne von "intrinsisch"
wäre jedermann, der an intentionale Zustände mit "weitem Inhalt"
glaubt (d. h. Inhalt, der Beziehungen zu aussergeistigen Gegenständen wesentlich
umfasst), gezwungen zu bestreiten, dass solche intentionalen Zustände intrinsisch
sind, weil sie ja relational sind. Ich glaube nicht an die Existenz weiten Inhalts
(vgl. Searle 1983, Kap. 7), deshalb stellt sich mir dieses Problem nicht. Die
Unterscheidungen, die ich hier mache, sind vom Disput über weiten und engen
Inhalt unabhängig. Ich setze hier also einfach fest, dass ich mit "intrinsische
Intentionalität" echte Intentionalität meine - und zwar im Gegensatz
zum blossen Anschein von Intentionalität ("Als-ob-Intentionalität")
und im Gegensatz zu abgeleiteten Formen von Intentionalität wie z. B. Sätzen,
Bildern und so weiter. Man muss meine Einwände gegen weiten Inhalt nicht
akzeptieren, wenn man die Unterscheidungen akzeptiert, die ich hier zu machen
versuche.
Ein weiteres (für mich erstaunliches) Missverständnis
ist die Annahme, dass ich - indem ich Fälle echter Intentionalität "intrinsisch"
nenne - damit nahelege, sie seien irgendwie geheimnisvoll, unaussprechlich und
ausserhalb des Bereichs philosophischer Erklärung oder wissenschaftlicher
Untersuchung. Doch das ist Unsinn. Gerade in diesem Augenblick habe ich viele
intrinsisch intentionale Zustände, so z. B. den Drang, ins Badezimmer zu
gehen, den starken Wunsch, ein kaltes Bier zu trinken, und ein visuelles Erlebnis
vieler Boote auf dem See. Dies alles sind intrinsische intentionale Zustände
(in meinem Sinn dieses Ausdrucks), und das bedeutet einfach, dass sie echte Intentionalität
haben und nicht bloss etwas, das echter Intentionalität mehr oder weniger
gleicht (als ob), bzw. nicht bloss etwas, das daraus resultiert, dass jemand
anders etwas in gewisser Weise verwendet oder zu etwas bestimmte Einstellungen
hat (abgeleitet).(3)
Man hat versucht, diese Unterscheidungen in
Abrede zu stellen, aber es fällt sehr schwer, dergleichen ernstzunehmen.
Wer denkt, dass es da keine grundsätzlichen Unterschiede gibt, möge
folgende Passage aus der Fachzeitschrift Pharmacology sorgfältig ansehen:
Hat
die Nahrung erst einmal den Musculus cricopharyngeus passiert, ist ihre Bewegung
fast völlig unwillkürlich, ausser bei der endgültigen Ausscheidung
der Faeces während der Defäkation. Der Gastrointestinaltrakt
ist ein höchst intelligentes Organ, das nicht nur die Anwesenheit
von Nahrung im Lumen, sondern auch ihre chemische Zusammensetzung, Quantität
und Viskosität wahrnimmt und durch geeignete Kontraktionen eine passende
Geschwindigkeit des Propulsions- und Mischvorgangs bewirkt. Wegen ihrer hochentwickelten
Entscheidungsfähigkeit wird die Darmwand, die aus den glatten Muskelschichten,
den Nervenstrukturen und parakrin-endokrinen Zellen besteht, auch oft das Darmhirn
genannt (Sarna und Otterson 1988, Hervorhebungen von mir). (4)
Das ist
ganz deutlich ein Fall von Als-ob-Intentionalität im "Darmhirn".
Glaubt irgend jemand, es gebe keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen
dem "Darmhirn" und dem "Hirnhirn"? Ich habe gehört, wie
jemand sagte, dass es sich beide Male um Fälle derselben Art handle, es hänge
nur davon ab, ob man einem System gegenüber eine "intentionale Haltung"
einnehme oder nicht. Doch Gott bewahre uns davor, im wirklichen Leben anzunehmen,
dass die "Wahrnehmungen" und "Entscheidungen" des "Darmhirns"
sich nicht von denen des wirklichen Hirns unterscheiden!
Aus diesem Beispiel
geht unter anderem hervor, dass jeder Versuch, die Unterscheidung zwischen intrinsischer
und Als-ob-Intentionalität zu bestreiten, vor einer allgemeinen Reductio
ad absurdum steht. Wird die Unterscheidung geleugnet, dann ergibt sich, dass alles
im Universum Intentionalität hat. Alles im Universum folgt den Naturgesetzen,
mithin verhält sich alles mit einem gewissen Mass an Regelmässigkeit,
und mithin verhält sich alles im Universum so, als ob es einer Regel
folge, ein gewisses Vorhaben auszuführen trachte, im Einklang mit gewissen
Wünschen agiere, und so weiter. Angenommen zum Beispiel, ich lasse einen
Stein fallen. Der Stein versucht, zum Erdmittelpunkt zu gelangen, weil
er dorthin gelangen will, und dabei folgt er der Regel S = 1/2gt2 Kurz
gesagt, der Preis für die Leugnung der Unterscheidung zwischen intrinsischer
und Als-ob-Intentionalität ist eine Absurdität, denn dann wird
alles im Universum geistig.
Zweifelsohne gibt es Grenzfälle. Es kann
sein, dass wir beispielsweise bei Grashüpfern und Flöhen nicht so genau
wissen, was wir sagen sollen. Und zweifelsohne gibt es sogar Fälle, in denen
wir einem Menschen zwar Intentionalität zuschreiben, uns aber nicht im klaren
darüber sind, ob wir diese Zuschreibung wörtlich oder metaphorisch nehmen
sollten. Doch Grenzfälle ändern nichts an der Unterscheidung zwischen
Tatsachen, die den Zuschreibungen intrinsischer Intentionalität entsprechen,
und solchen Tatsachen, die metaphorischen Als-ob-Zuschreibungen von Intentionalität
entsprechen. Metaphorische Als-ob-Zuschreibungen sind weder schädlich
noch irreführend, und sie sind auch nicht philosophisch fehlerhaft. Der einzige
Fehler besteht darin, sie wörtlich zu nehmen.
Ich hoffe, dass die
von mir gemachten Unterscheidungen einleuchtend sind. Dennoch muss ich, sozusagen
von der Kriegsfront, berichten, dass die Missachtung dieser simplen Unterscheidungen
die Grundlage einiger der grössten Fehler im Geistesleben unserer Zeit sind.
Ein verbreiteter Fehler besteht in der Annahme, wir hätten die Natur der
Intentionalität auf die eine oder andere Weise schon damit entdeckt, dass
wir Systemen, die keine intrinsische Intentionalität haben, mit Hilfe von
Als-ob-Zuschreibungen Intentionalität zuschreiben können.
1.
In der Art von Thomas Nagels Artikel "What Is It Like to Be a Bat?"
2.
Ein Beispiel: "Wie zuerwarten fanden sich bei den verschiedenartigen Tieren
(darnter der Affe, das Backenhörnchen und einige Fische) Zellen mit Rezeptoren,
die eine besondere Farbkodierung haben. Diese Tiere besitzen, im Gegensatz
zur Katze, eine exzellente Farbwahrnehmung und einen komplizierten neuralen
Mechanismus zur Farbverarbeitung" (Kuffler/Nicholls 1976).
3. Ein Beispiel für dieses Missverständnis liefern P.M. und P.S. Churchland 1983.
4. Dan Rudermann hat mich dankenswerterweise auf diesen Artikel aufmerksam gemacht.