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Title: Haunting Humanism
Author: Hito Steyerl, 2000



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Haunting Humanism

Hito Steyerl

 

Ethnizität, Humanitarismus, Neoimperialismus
Als der Science-Fiction Autor William Burroughs den sogenannten Nova Mob auf der Erde einmarschieren lässt, konstatiert er schlicht: "The entire planet is being developed into terminal identity and complete surrender".

Derzeit ist der Nova Mob zweifellos unterwegs; in Gestalt einer "globalen Klasse", (1) die wie Marx und Engels voraussagten, "durch die rasche Verbesserung der Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen, alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation" reisst. Der Nova Mob erobert multinationale Märkte, oder bombardiert die chinesische Botschaft in Belgrad. Sein Charakter ist heiter, mobil, ironisch, masslos und destruktiv. "Die globale Klasse zieht ihren Gewinn aus den lokalen Differenzen. Sie betreibt einen eklektizistischen Imperialismus", schreibt Anil Jain. (2)

Demgegenüber stehen die Unterlegenen, die Besiegten, abgeschnitten vom globalen Raum, in Permanenz kapitulierend, im Lokalen gefesselt, im Stereotyp fixiert. Im Gegensatz zur globalen Klasse wirkt das globale Proletariat erdverhaftet, materiell, erbärmlich, stumm. Der Hohn der Aufklärung ist auf sie niedergegangen und so sind sie als Alt-Menschen zurückgeblieben, die den Anschluss verpasst haben. Die sehnsüchtig erwartete Revolution ist lächerlich fern, ihre Geschichte ein Trümmerhaufen aus Verlust und Verrat. (3)

Terminal Identity - complete surrender. Geschichte eines Machtgefälles.Was sagen diese zwei Bilder von heiteren Nova Mobstern und vor ihnen bedingungslos kapitulierenden Altmenschen? Und wie setzen sie sich in Bezug zur Realität eines globalen Neoimperialismus? Schon immer lautete die Frage: wer darf Mensch sein und wer nicht? Klassen, Rassen und Geschlechter wurden anhand dieser Differenzierung verkörpert. Wichtiger noch war der Umstand, dass mit dem konzeptuellen Instrument des Menschenbildes Hierarchien zwischen vollendeten und unvollendeten Menschen installiert werden konnte. Der Mensch als weisses männliches souveränes Subjekt galt als Krone der Schöpfung. Wer diesem Ideal nicht entsprach, und mit animalischen Monstern, hysterischen Megären oder artifiziellen Maschinen identifiziert wurde, durfte diskriminiert, diszipliniert, erzogen und ausgebeutet werden. Die Stelle des ehemaligen Ideals wird jetzt jedoch zunehmend von der Terminal Identity final entgrenzter Netznomaden besetzt. Ein ideales Subjekt wird als fluid, flexibel und rekombinierbar imaginiert. Wer diesem Ideal nicht entspricht, gehört zum humanitär zu behandelnden Ausschuss.

Die klassischen humanistischen Bestimmungen von Mensch und Subjekt mit ihren stabilen festgefügten Begrenzungen und Identitäten haben für die globale Bourgeoisie als Vorbild ausgedient. Für die Besiegten sind sie noch gut genug. In Bezug auf aktuelle hegemoniale Begriffsbilder findet somit eine Umwertung aller Werte (4) statt, und bislang verfemte Eigenschaften gereichen jetzt zur Zierde der neuen globalen Elite. Dies gilt vor allem für Eigenschaften, die bislang Zweitklassigkeit zu begründen halfen, nämlich sogenannter Differenz, Mobilität, Abstraktheit und Künstlichkeit, also Kategorien, die traditionell rassistisch und antisemitisch genutzt und mit antihumanistischen Anschauungen in Verbindung gebracht wurden.

Dass jedoch im Denkbild des (In)humanen auch eine ganz andere Frage, nämlich die Frage nach politicsher Handlungsfähigkeit gebannt wird, beschreibt Karl Marx in seinen Feuerbachthesen. Das Wesen des Menschen ist laut Karl Marx nur eine abstrakte Verdichtung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Marx liest das Wesen des Menschen als ahistorisch-isoliertes Abstraktum an das ein Individuum angepasst werde. Politik wird somit nicht aufgrund einer essentiellen menschlichen Natur gemacht, sondern die Bilder von Menschen legitimieren umgekehrt bestimmte Formen von Politik. Wie Politik unter antihumanistischen Prämissen aussieht, zeigt der Diskurs des Humanitarismus. Während politische und ökonomische Grenzziehungen die Welt immer schroffer in Zentren und Peripherien teilen, formiert sich ein neuer hegemonialer Menschenrechtsdiskurs. Humanitäre Erwägungen gewinnen auf der Bühne internationaler Politik an Gewicht. Wie ehedem der Humanismus dient jetzt der Humanitarismus als ideologisches Instrument zur Herstellung globaler Klassenunterschiede. Rassistische, antisemitische und sexistische Ideologie wird vermittels dieser Bilder in Form globaler Ungleichheit realisiert. Wer früher nicht menschlich genug war, ist heute allzumenschlich. Der Humanitarismus konstituiert somit eine neue Kategorie zweitklassiger Menschen und neue Formen der Ungleichheit.Wie also mit den Bildern von Menschen, Monstern und Maschinen Politik gemacht wird, ist Focus dieses Textes.

Eine Ausnahmeerscheinung
"Bekanntlich soll es einen Automaten gegeben haben, der so konstruiert gewesen ist, dass er jeden Zug eines Schachspielers mit einem Gegenzuge erwidert habe, der ihm den Gewinn der Partie sicherte." Walter Benjamin

Der berühmteste Deutschtürke der Welt war ein Automat, nämlich der unbesiegbare Schachtürke des Baron von Keppelen. Man bezeichnete ihn explizit als den deutschen Türken. Als diese Apparatur gebaut wurde, waren Türken gerade ungemein modern. Im Gefolge der Aufklärung galten sie als nunmehr zu tolerierende Mitmenschen. An ihnen wurde bevorzugt die universale Gültigkeit menschlicher Vernunft bewiesen, und diese menschliche Vernunft wurde dabei mit westlicher Aufklärung verwechselt. Das ambivalente Interesse für die weisen Barbaren, wurde mit jener für animierte Automaten verschmolzen und so entstanden ganze Heerscharen mechanischer Orientalen. Fremdheit und Entfremdung verdichteten sich im türkischen Automaten zu einer Generalmetapher unheimlich überdeterminierter Künstlichkeit - die sich im Gegensatz zu einem Subjektverständnis befand, das sich auf die Annahme eines natürlichen Wesens des Menschen gründete. Diese Fundierung des Subjekts im Natürlichen und Eigenen setzte der Automat durch exotische Artifizialität aufs Spiel. Die seltsame Überblendung von ethnischen und technischen Elementen weist auf eine fundamentale Verunsicherung des auf Natur gebauten Selbstverständnisses hin. Im gleichen Moment, in dem das Subjekt sich mit Descartes als Denkendes absolut setzte und somit jeden Zweifel an seiner eigenen Selbstherrlichkeit beseitigte, schlichen sich diese Zweifel auch schon wieder ein, und zwar in Gestalt der Frage, ob diese Aufgabe nicht auch von Maschinen mit Denkvermögen erledigt werden könnte. Blankes Entsetzen ergreift den eben noch so selbstgewissen Descartes, als er aus dem Fenster blickt und plötzlich vom quälenden Argwohn befallen wird, ob es sich bei den auf der Strasse spazierenden Passanten nicht vielleicht um mit Hüten und Mänteln verhüllte Automaten handle (5). Gleich oder nicht gleich? lautete die Frage angesichts der ethnischen und technischen Doppelgänger, die den scheinbar so selbstgewissen neuzeitlich-westlichen Subjektentwurf heimsuchen.

Davon völlig ungerührt setzte der Schachtürke die grössten Herrscher seiner Zeit spielend schachmatt. "Die Maschine gewinnt zwar nicht immer, es ist schon genug, wenn sie allezeit nach der Regel spielt" heisst es in zeitgenössischen Quellen (6). Dass ein türkischer Cyborg solche Fähigkeiten entfalten konnte, wirkte verstörend. Er war zwar definitiv kein Mensch, sondern bloss ein humanoider Barbar, war echten Menschen aber auf dem Gebiet rationalistischer Leistungskriterien nicht nur ebenbürtig sondern sogar überlegen. Er war demnach zwar vielleicht gleichwertig aber nicht gleich. Der Automat entpuppte sich als das ideale Schreckgespenst des humanistischen Gleichheitsgedankens, der besagte, dass alle Menschen gleich seien und zwar kraft ihrer Eigenschaft als Menschen. Er wurde fast zeitgleich mit der französischen Revolution konstruiert, in der sich die Frage der Gleichheit bekanntlich auf anderer, nämlich auf politischer Ebene stellte. In der Deklaration der Menschenrechte 1789, in der alle Menschen als Freie und Gleiche ausgerufen wurden, fehlte bezeichnenderweise die Definition dessen, wer als Mensch zu verstehen sei. Diese wurde aber nur ein Jahr später nachgeliefert, indem das Parlament feststellte, dass die Menschenrechtserklärung keinen Einfluss auf die Sklaven in den französischen Kolonien habe. (7) Ebenso wie der türkische Automat wurden Sklaven und Kolonialisierte also als Humanoide konstruiert, die letztendlich doch nicht gleich genug waren, um gleichberechtigt zu werden. Im Moment der Ausrufung der Gleichheit aller Menschen wurde diese angeblich universale Gleichheit auch schon wieder partikularisiert und den hegemonialen Interessen untergeordnet. Selbst den verbannten Revolutionären der Pariser Commune fiel nichts besseres ein, als sich in Neukaledonien an der Niederschlagung eines Aufstands der dortigen Kanaken zu beteiligen. Für 100 Europär wurden 1500 Kanaken massakriert.

Das Gespenst der Gleichheit
Im Bezug auf diese Ereignisse wirkt der automatische Türke wie das abstrakte Gespenst politischer Gleichheit, schliesslich konnte man ihn immer noch ausschalten, falls er auf die Idee kam, Bürgerrechte zu verlangen. Überdies wurde das bedrohliche Problem politischer Gleichheit anhand des Schachtürken in die Bedrohung subjektiver oder kultureller Identität übersetzt. Denn, so Marx, ein abstrakt-isoliertes Menschenwesen vorauszusetzen, bedeutet im zweiten Schritt, dieses Wesen als Gattung zu naturalisieren, anstatt es als gesellschaftliches Produkt zu begreifen (8). Ungleichheit wurde somit als Differenz kulturalisiert bzw naturalisiert und aus dem Raum politischer Verhandlung enthoben. Die im Begriff der Ungleichheit befangenen Machtverhältnisse verschwanden im Begriff der Differenz zugunsten einer beliebigen Unterschiedlichkeit. An den Nicht-Gleichen übersetzten sich die Machtgefälle politischer Unterdrückung in natürliche oder kulturelle Gegensätze wie Innen und Aussen, eigen und fremd, sowie natürlich und künstlich. Lenin bezeichnete dieses Verfahren als den "ungeheuerlichsten Betrug". (9)

Schliesslich fand kein geringerer als Edgar Allen Pö heraus, dass es sich beim Schachtürken ebenfalls um einen plumpen Schwindel handelte. Die vorgebliche Maschine war nämlich nur eine Dekoration und verschiedene Assistenten wurden in verborgene Schubladen gezwängt, um den automatischen Türken fernzusteuern.

"In Wahrheit sass ein buckliger Zwerg darin, der ein Meister im Schachspiel war und die Hand der Puppe an Schnüren lenkte.", (10)

schreibt Walter Benjamin, der das Bild des Schachtürken an den Beginn seiner Thesen über den Begriff der Geschichte gestellt hat. Der vorgeblich so subjektlose Schachtürke, der die Gleichheit der Völker vor der Vernunft versinnbildlichen sollte, war also gar nicht so subjektlos wie er aussah und führte keineswegs universale Weltgesetze aus, sondern die Launen eines Pariser Assistenten. Insofern kopierte er bis ins Detail die Strategien der Parlamente, die, wenn sie behaupteten universale Gleichheitsprinzipien zu verteidigen, doch vor allem ihre eigenen partikularen Interessen verfolgten. Der Universalismus stellte sich also als imperialer Anspruch auf Dominanz heraus.

Und jetzt trat ein weiterer Zug der aporetischen Eigenschaften des Automaten hervor: auch bei ihm wurde kulturelle Differenz auf spektakuläre Weise sichtbar gemacht, während der, der das Spiel eigentlich lenkte, im Bild abwesend war und unsichtbar gemacht wurde. Der mechanische Türke selbst war in die eigentliche Spielhandlung nur scheinbar integriert, als mechanisch-abstraktes Ornament, als verquere Kompromissvorstellung zwischen universalem Anspruch und dessen partikularer Besetzung. Seltsamerweise hatte der scheinbare Hauptprotagonist des Spieles keinerlei Anteil daran, und war somit der unbeteiligte Teil der gesamten Konstruktion. Das Schachspiel hingegen spielte sich quer durch ein kompliziertes System aus Spiegeln ab, das, so Benjamin die "Illusion erweckte, dass der Tisch durchsichtig sei", und fast scheint es, als bestehe das Schachspiel, das im grösseren Rahmen auch als der Aushandlungsraum des Politischen begriffen werden kann, exakt aus diesem komplexen Gefüge der exzessiven Sichtbarmachung kultureller Differenz bei gleichzeitiger Unsichtbarmachung ihrer politischen Bedingungen, aus einem Gewirr optischer Tricks, humanoider Blechteile, ein paar Fetzen orientalischer Seide, sowie der grossen und bangen Sehnsucht des Publikums nach dem sich ereignen mögenden Wunder.

Par(i)a-Mensch
Um abrupt in die Jetztzeit zu springen: derzeit darf sich der früher so hochgeschätzte Mensch ebensowenig blicken lassen, wie Benjamins ãbuckliger ZwergÒ im Inneren des Schachtürken. Er wurde zunehmend sowohl aus dem Zentrum des Universums wie auch aus seiner Eigenschaft als souveränes Subjekt verbannt und zur Eigenschaft bedrohter und entrechteter Randgruppen reduziert. Menschen als solche erscheinen am Ende des 20. Jahrhunderts als bedürftige, meist auch illegale Objekte der Verfügung, als beliebig zerlegbares Schlachtfeld, als Flüchtlinge, Entrechtete, Kriegsopfer. Schweizer Flüchtlinge dürfen sich etwa im Internet der Öffentlichkeit präsentieren, "in ihrer Musik, ihren Texten und als Menschen".

Es hat also gegenüber dem humanistischen Gleichheitsdiskurs ein verblüffender Rollenwechsel stattgefunden. Besonders die Rassifizierten, deren menschlicher Status äusserst umstritten war, werden jetzt geradezu penetrant als Menschen bezeichnet. Die globale Bourgeoisie versucht hingegen, diesem unerfreulichen Status zu entkommen und hat für sich lieber humanoide Bindestrichbegriffe entworfen. Als beliebtestes Beispiel sticht dabei der Begriff Human-Resource hervor, der gerne mit darwinistischem Vokabular charakterisiert wird: Anpassung, Wettbewerb, Innovation, Erfolg heissen die Reizworte. (11) Mit solchen Direktiven wird "die notwendige Erschliessung neuer Human-Potentiale" (12) angestrebt, ebenso wie im Schröder-Blairpapier:

"Neue Technologien ziehen radikale Veänderungen der Arbeit sowie eine Internationalisierung der Produktion nach sich. Daher besteht die wichtigste Aufgabe der Modernisierung darin, in Human-Kapital zu investieren, um sowohl den einzelnen als auch die Unternehmen auf die wissensgestützte Wirtschaft der Zukunft vorzubereiten." (13)

In diesen und anderen Formulierungen, taucht der humanoide Bindestrich-Mensch als Bestandteil der Ideologie Neuer Mitten wieder auf. Es handelt sich bei den Post-Menschen um fragmentarisch-kompatible Gestalten, welche mühelos Form und Gehalt nachfragegerecht anzupassen verstehen, Menschen mit einem Bonus-Bindestrich, der als eine Art Verbindung zu globalen Systemen taugt. Ist man dort angeschlossen, pflegt man sich dann als Human-Interface (14) zu bezeichnen und macht Human Money. (15) Gemeinsam ist all diesen zusammengesetzten Figuren, dass sie über den Status des Nur-Menschseins hinausgreifen. Die Krönung dieser Entwürfe ist dann die finale Evolution (16) Wechselweise zur Terminal Identity (17) die das Ende der Geschichte ins subjektlose Netzwerk verlegt, oder aber gleich zum God-Man. (18) Diese Innovation wird von der Cyberesoterikseite von Neo Tech Com empfohlen, um globalen Reichtum und Macht (19) anzuhäufen.

Und den globalen Reichtum investiert man schliesslich beim Human Banking der Tiroler Sparkasse, die im Internet mit der unglaublichen Werbedatei "Kanake.html"auffällt. (20)

"Sein handwerkliches Können, seine Art offen auf die Menschen zuzugehen und sein unerschütterlicher Optimismus sind sein Kapital. Gute Gründe für uns, ihn auch als Geschäftspartner vorurteilslos zu akzeptieren. Übrigens: Kanake ist hawaianisch. Das deutsche Wort dafür ist Mensch." (21)

Plumper Schwindel
Plötzlich ähnelt der Prototyp der neuen globalen Bourgeoisie auf erstaunliche Weise dem talentierten Schachtürken. Differenz statt Homogenität, Mobilität statt Sesshaftigkeit, Ambivalenz statt Eindeutigkeit, Artifizialität statt Organizität: all die humanoiden und damit aus damaliger Sicht minderwertigen Eigenschaften des Schachtürken, sind zu Attributen der globalen Klasse avanciert. Was früher ein fremdartiger Schachtürke war, ist heute ein ortspolygamer Global Player oder, wie Ulrich Beck so überzeugend über ein Mitglied der globalen Klasse zu formulieren versteht: " Sie amüsiert sich in Kenia mehr als in Tutzing." (22)

Der alte Mensch kehrt hingegen als depraviertes Stück Elend an den inneren und äusseren Grenzen der Imperien wieder. Sogenannte "Menschen" werden rassistisch diskriminiert, hausen in Lagern oder werden zum Objekt "humanitärer Katastrophen". Das subalterne Subjekt kann weder die realen Grenzen passieren, noch schafft es den Sprung in den virtuellen Raum. Aussen weich und verletzlich, ist es innen unauflöslich der Materie verhaftet, unflexibel, homogen, intransigent und identitätsbesessen. Kurz gesagt: es ähnelt auf verblüffende Weise dem alten, ausrangierten Subjektbegriff des Humanismus.

Und so ist es kein Zufall, dass gerade die Berater der Neuen Mitten wie Ulrich Beck, der den schlagenden Bindestrich-Begriff des "militärischen Humanismus" erfand, sich aufs Schärfste vom klassischen humanistischen Subjektbegriff distanzieren, den sie als Wahnvorstellung toter "weisser Männer" (23) verspotten.

In wesentlich rabiaterer Manier hat auch Peter Sloterdijk kürzlich "die Ära des neuzeitlichen Humanismus" für beendet erklärt. Er hielt sich nicht lang mit soziologischen Erklärungen auf, sondern plädierte für die kontrollierte Züchtung genmanipulierter Post-Menschen. (24)

Bei all dieser pompösen Emphase taucht jedoch eine entscheidende Frage auf: Wenn das altmodische, anmassende und selbstherrliche menschliche Subjekt zugunsten hybrider, ortspolygamer und genoptimierter Bindestrich-Menschen weichen soll, was machen dann eigentlich Subjekte wie Sloterdijk und Beck noch hier? Oder muss man vielleicht davon ausgehen, dass es sich auch bei den subjektlosen Post-Menschen um einen plumpen Schwindel und ungeheuerlichen Betrug handelt und sich das alte machtbesessene und bornierte Subjekt jetzt bloss hinter einer humanoiden Hülle aus abstraktem Globalismus, genetisch gewendeter Dekonstruktion und Nato-Bombern verschanzt? Nicht nur als schicker Global Player kann der Schachtürke als Prototyp für die globale Bourgeoisie gelten, sondern auch in all seinen anderen Implikationen. Ist dessen Hülle, die die imperiale Integration kultureller Differenz suggeriert, nicht nur eine Art Rüstung für allzumenschliche Subjekte, die gerne alle anderen ausser sich selbst abschaffen wollen, und ein praktisches Mittel um die eigenen Interessen zu verfolgen? Die sonderbare posthumane Konstruktion der globalen Bourgeoisie scheint somit nichts als ein optischer Trick und die von ihr angeblich verkörperte Subjektlosigkeit eine durch ein System von Spiegeln erzeugte Illusion.

Aporien der Gleichheit
Um auf Marx zurück zu kommen: so wie der bedrohliche Gedanke politischer Gleichheit zu Zeiten der Aufklärung humanoide Abstraktionen erzeugte, entsteht in der Postmoderne ein ebensolches Verhältnis zwischen dem Gedanken einer globalisierten demokratischen Zivilgesellschaft und den abstrakt-ahistorischen Vorstellungen von Alt-Menschen, die humanitärer Behandlung bedürfen. Das "Abenteuer Menschlichkeit", so verkündeten Plakate des Deutschen Roten Kreuzes, sei beim humanitären Einsatz im Kosovo ausgiebig zu geniessen und "nicht mit Bungeespringen zu verwechseln".

Ähnlich wie der Humanoid menschlich ist, aber nicht ganz, hat das Objekt humanitärer Interessen Menschenrechte, ohne sie allerdings durchsetzen zu können. Hannah Arendt weist daraufhin, dass an die Menschenrechte überhaupt nur dann appelliert wird, wenn sie offensichtlich verletzt werden, und sie auf diese Weise zu einer Art "Ausnahmerecht für die Unterdrückten wurden, auf das sich ihre Beschützer beriefen." (25) Der humanitäre Ansatz besagt in diesem Sinne nichts weiter, als dass die Entrechteten zwar theoretisch Menschenrechte reklamieren können. Der einzige Weg sie jedoch umzusetzen, ist nicht die Anerkennung als politisches Subjekt sondern ein völlig willkürlicher Gnadenakt. Politische Partizipation wird durch caritative und interessegeleitete Ausnahmeregelungen ersetzt, für die allerdings im Gegenzug von den Entrechteten eine Integration verlangt wird, die unter den gegebenen Umständen nichts weiter als die Anerkennung politischer Entrechtung bedeutet. So schreibt die Grünenbundestagsfraktion über die sogenannte Asylaltfallregelung:

"Die SPD hat es jetzt in der Hand, die Härtefälle humanitär zu lösen. Die Altfallregelung muss den Flüchtlingen eine Chance geben, sich innerhalb der nächsten 2 Jahre zu integrieren." (26)

Und Joschka Fischer sekundiert:

Es geht im Kosovo nicht nur um Menschenrechte. Es geht nicht nur um das furchtbare Schicksal der Ermordeten und der Vertriebenen. Es geht auch darum, ob in dieser Region das Europa der Integration die Zukunft bestimmen wird. (27)

Mit einem Wort von Sartre erzeugt diese Form neokolonialer Integration Monstren, die vom Humanismus für universal erklärt werden, während sie gleichzeitig durch rassistische Praxen partikularisiert werden. (28) Nur anscheinend ins Spiel des Politischen integrierte Ornamente des Ethnischen, es darstellend, aber ihm nicht angehörend. Teile ohne Anteil, scheinbare Hauptprotagonisten in einer Partie, die ohne ihre Beteiligung durch ihre Körper hindurch gespielt wird. Ahistorische Abstraktionen , nicht nur isoliert, wie Marx dichtet, sondern abgeschnitten und vereinsamt. Fanon nennt sie: "Menschen ohne Ufer, ohne Grenzen, ohne Farbe, Heimatlose, Nicht-Verwurzelte, Engel."

Monstren der Integration
All diese abstrakt-isolierten Annahmen vom Wesen des Menschen und dessen kuriose humanitäre oder humanoide Derivate weisen natürlich auf eines hin und das ist das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse. Immer wieder sind es Ethnisierte, in deren Bild die widersprüchlichen Facetten ökonomischer Modernisierung und politischer Unterdrückung verdichtet werden. Andere berühmte ethnische Cyborgs in Deutschland weisen auf die Bandbreite dieser Verdichtungen hin. Mustafa Mannesmann etwa, "Weltaufsichtsrat und Seine Fordschaft", aus Aldous Huxleys Roman "Schöne Neue Welt" leitet von der Brut-und Normzentrale Berlin -Dahlem aus ein genetisch optimiertes Effinzienz-Regime. So wie der Schachtürke das Schreckgespenst des aufgeklärten Gleichheitsgedankens war, ist Mustafa Mannesmann das Schreckgespenst des fordistischen Systems und verkörpert die Diktatur sozialdarwinistischer Effizienz, des gleichmacherischen Fliessbandes und einer totalitären Weltregierung.

In der Neuen Eva hingegen, dem revolutionäre Roboter aus Fritz Langs Monumentalfilm Metropolis verschmilzt industrielle Entfremdung mit sittlicher Verworfenheit. Antisemitische und rassistische Motive werden in ihrer Persona wüst überblendet. In Yoshiwara-Bablon ruft sie lasziv zum Aufstand auf und wird zur Strafe unter dem Gejohle eines Mobs treudeutscher Arbeiter als Hexe verbrannt. In der Neuen Eva verdichtete sich die Ungleichheit vor dem kapitalistischen Wertgesetz, und die politische Ungleichberechtigung der Arbeiter wurde ihrer ethnisch-inhumanen Differenz zur Last gelegt. Beide Figuren verkörperten somit die bösartigen Effekte eines sich internationalisierenden Kapitalismus.

Das Schreckgespenst des fordistischen Akkumulationsmodells verwandelte sich jedoch umgehend in das Ich-Ideal der postfordistischen Ära, und mutierte prompt zur Gallionsfigur des Nova Mob. Nicht nur Firmen, sondern auch ganze Nationen werben nun ausgerechnet mit jenen Figuren, die traditionell für ihr unheimliches Anderes standen.

Staat und Liebe
Die Figur der Neuen Eva, dem unheilstiftenden Cyborg von Metropolis, erscheint 1993 auf dem Titelblatt der Zeitschrift Time, diesmal allerdings als "neues Gesicht Amerikas". Es handelt sich dabei um ein zusammengemorphtes Antlitz, das aus den Gesichtern von Damen verschiedener Hautfarben gemischt worden war und irgendwie "ethnisch" ausschaut. Angesichts dieses Spuks verfallen die Herausgeber in transzendentale Sentimentalität und schreiben:

"Die Frau auf dem Cover dieser Spezialausgabe von Time Magazine existiert nur auf metaphysischer Ebene. Das Highlight unserer Übung in Cybergenesis war die Erschaffung der Frau auf dem Titelbild, die als Symbol für das zukünftige, multiethnische Amerika auserkoren wurde. Als die Anwesenden das Bild unserer Neuen Eva auf dem Computerschirm erschienen sahen, fielen einige Kollegen prompt in Liebe mit ihr." (29)

Der Charakter dieser exotistischen Liebe ist evident. Anstatt ihre Diskriminierung zu beheben, verliebt man sich in hemmungslosem Übersprung in women of color, je heftiger, desto irrealer sie erscheinen, in jenem kannibalischen Begehren, das zwischen unversöhnlicher Sehnsucht und erotisierter Mordlust schwankt.

Das ethnisierte globale Proletariat, dem solche Metaphysik erspart bleibt, befindet sich demgegenüber in der noch misslicheren Lage, dass genau die Eigenschaften, wegen derer sie jahrhundertelang verfolgt und gehasst wurden, von der herrschenden Klasse annektiert wurden: was früher ein verdächtig multikultureller Fremder war, abstrakt, mobil und ambivalent, wird heute als partikular, lokal gebunden, neurotisch, fundamentalistisch und identitätsbesessen gedacht. Verfolgt und gehasst werden sie aber weiterhin, und die rassistischen Erkennungsmuster anhand derer sie als zurückgebliebene Barbaren und Eingeborene abgestempelt werden, haben sich kein bisschen geändert. Zu dieser Bewegung existiert allerdings auch das genau spiegelbildliche Äquivalent: wie in jeder Formation des Rassismus verkörpern die Rassifizierten gleichzeitig beide Extreme - sie sind immer zuviel und zuwenig Subjekt; gleichzeitig über- oder untermeschlich. Es ist daher in einem zweiten Schritt vonnöten die rassistischen Phantasien noch einmal klassenspezifisch zu analysieren. Die Verachtung des Nur-Menschlichen und die Identifikation mit posthumaner Flexibilisierung sind die Charakteristika des Rassismus der globalen Bourgeoisie. Für abstiegsbedrohte Kleinbürger sind allerdings herkömmliche Rassismen, die sich gegen kosmopolitische Spezialisten ohne nationale Bindung richten nach wie vor massgeblich. Die Reorganisation der Klassen im Kontext der Dialektik der Globalisierung lässt eben auch neue, an die Bedürfnisse neuer Klassen angepasste Rassismen entstehen.

Subjekt und Imperialismus
Bemerkenswert an solchen Halluzinationen ist der darin angeschlagene Begriff des Staates. Dieser basierte traditionell auf organischen und naturgegebenen Vorstellungen von Menschen und politischer Ordnung: Die Weltbühne wurde traditionell als Szenerie imaginiert, auf der Menschen nach dem Modell von Staaten auftraten und umgekehrt. Entscheidend für diese Vorstellung war die Homogenität, die Selbstbestimmtheit und Souveränität ihrer Akteure. Identitätsphilosophie und Nationalismus speisten sich aus den gleichen Quellen und hantierten mit natürlichen Ursprüngen und Wesenszeugen.

Es ist wenig erstaunlich, dass dieser Subjektbegriff in dem Augenblick deklassiert wird, in dem auch die Nationalstaaten einen erheblichen Bedeutungsverlust erfahren. Im Zeitalter supranationaler Allianzen, und sich überschneidender Staatenbünde und Organisationen, verlieren Nationalstaaten bekanntlich an Einfluss. Nicht-staatliche Organisationen der verschiedensten Couleur, egal ob WTO, Nato, Rotes Kreuz oder Greenpeace, die keine klassischen Akteure auf der internationalen Bühne sind und dubiose oder undemokratische Autorisationen geniessen, sind hingegen auf dem Vormarsch. Transnationale Staatenverbünde und mobile Militär-Allianzen gewinnen an Gewicht, und die Art ihrer Zusammensetzung färbt auf dominante Subjektkonzeptionen ab. Paralell zur neoimperialistischen Neuordnung des globalen Territoriums in ein Terrain flexibler und veränderlicher Grenzziehungen wird auch das dominante Subjekt mobilisiert.

In diesem Rahmen ist es auch nicht verwunderlich, dass analog zu den Alten Menschen, die dieser Flexibilität entbehren, auch die Parias der Staatengemeinschaft mit Vokabeln beschrieben werden, die aus dem Inventar altmodischer Subjektvorstellungen stammen: Staaten der "Zweiten Welt", so Jürgen Habermas während des Kosovokrieges, wie Libyen, Irak oder Serbien, betrieben "autoritäre Herrschaft und Identitätspolitik, während sie sich nach aussen expansionistisch verhalten, in Grenzfragen sensibel sind und neurotisch auf ihre Souveränität pochen."(28) Mit einem Wort, sie verhalten sich wie das souveräne Subjekt der neuzeitlichen Ära, bloss dass dessen Eigenschaften jetzt negativ ausgedrückt werden. Genau das waren nämlich die vom Humanismus so gerühmten Eigenschaften: Souveränität, Identität, Ursprünglichkeit.

Auf der Ebene internationaler Politik entsteht also eine ähnliche Rangordnung, wie auf der Ebene individuierter Subjekte: mächtigere Staaten zeichnen gerne ein heterogenes, antiautoritäres, flexibles und bündnisfähiges Bild von sich, während die Pariastaaten als homogene ethnische Horden imaginiert werden. Desgleichen bezeichnet sich die globale Klasse als kosmopolitisch, konziliant, demokratisch und unverklemmt, während das globale Proletariat identitätsbesessen, neurotisch und fundamentalistisch sei und somit den neuerdings so unbeliebten toten weissen Männern zu ähneln beginnt.

Hiermit stellt sich erneut die Frage nach politischer Gleichheit, denn wenngleich die Utopie des Globalismus darin bestand, dass ein globalisierter Weltmarkt auch eine globalisierte sogenannte Zivilgesellschaft nach sich fuehre, besteht die Realität aus schroff geschichteten ethnisierten Klassengesellschaften, ethnisch homogenisierten Vasallenstaaten, internen Peripherien und externen Protektoraten. Die depolitisierte Kompromissvorstellung zwischen der globalen Weltbürgergesellschaft und der Realität des Neoimperialimus, zwischen dem leeren Universalismus der Menschenrechte und dem flexiblen Partikularismus hybrider Staatenbünde ist wiederum der humanitäre Ansatz. So schreibt Boris Buden:

"Humanitarismus ist der letzte theoretische Rahmen des praktischen Universalismus und in diesem Sinne ist er nur ein Symptom einer Politik, die alle universellen Werte aufgegeben hat." (29)

Das Humanitäre, so Buden weiter, sei ein ideologischer Ansatz, Krieg als Naturkatastrophe darzustellen. "Es naturalisiert soziale und politische Phänomene und blockiert somit jede Form von rationalem politischen Handeln. Konkrete politische Antagonisten, das gesamte Kampffeld politischer Antagonismen, erscheinen nicht mehr auf der Bühne." (30), und ich könnte hinzufügen, sie stecken unsichtbar in der Hülle des depolitisierten Humanitären, wie Benjamins kleiner und hässlicher Zwerg, der sich nicht blicken lassen darf. Denn was hinter dem Fetisch kultureller oder ethnischer Identität unsichtbar gemacht wird, ist das politische Handeln an sich, und die Verantwortung dafür.

Par(i)a-Politik
Denn auch der Begriff politischer Gleichheit ist natürlich nur eine Abstraktion für das gesellschaftliche Verhältnis schlechthin, nämlich die "Fähigkeit zum Politischen" (31) und den politischen Bezug zur Welt überhaupt (32) Es ist gänzlich unzureichend, diese politische Gleichheit etwa mit dem Erwerb der Staatsbürgerschaft gleichzusetzen, da auch diese keineswegs von selbst ein politisches Subjekt erzeugt, sondern wie Buden meint, höchstens einen mit einem Pass versehenen "Lumpenausländer".

"Selbst politisch unrepräsentiert, präsentieren sie nur noch die Abwesenheit des Politischen. Sie sind zwar in der Mitte des politischen Kampfes, können aber an ihm nicht teilnehmen. Ihnen wird von allen Seiten das Recht auf das Politische aberkannt. Sie stehen den anderen bloss zur politischen Verfügung, als stumme Opfer des Rechtspopulismus, als passive Gegenstände einer grenzenlosen Multi-Kulti-Liebe, als dankbare Objekte humanitärer, bzw karitativer Hilfe, nur nirgendwo als politische Subjekte." (33)

Um wieder auf Marx zurück zu kommen: das Bild dieser Menschen entpuppt sich also im Hinblick auf die darin verdichteten gesellschaftlichen Verhältnisse als die identitär verhüllte Frage nach politischer Handlungsfähigkeit und weiterführend, sogar als die Darstellung der Abwesenheit von Politik überhaupt. Es ist kaum anders zu erklären, dass ausgerechnet diejenigen, die als politische Subjekte nicht in Frage kommen, penetrant die Aushängeschilder des neoimperialistischen Differenzkapitalismus darstellen sollen. Genau dieselben, die entrechtet bleiben, werden als Aushängeschilder der Globalisierungsbemühungen ausgestellt. Für die Anstrengungen des Wirtsschaftstandorts Deutschland, durch gezielte Selektion von Spezialisten Anschluss an die globale IT-Industrie zu finden, steht etwa eine junge Inderin, die anstatt eines Punktes auf der Stirn ein @-Zeichen aufgestempelt hat.

Der einzige Weg, diese Mystifikationen aufzulösen führt laut Marx über die gesellschaftliche Praxis. (34) Was den Kampf gegen den Rassismus anbelangt, auf den hin notwendig meine Fragestellung führen muss, ist die Frage nach Identität aber auch Differenz schlicht und ergreifend die falsche Frage, sozusagen eine ahistorische Abstraktion.

Hierauf verengte Subjektbegriffe blenden nämlich eines konsequent aus, und das ist die Frage nach dem politischen Subjekt, dem allein, so Hannah Arendt, das Privileg politischen Handelns zukommt. Die globale Klasse schmückt sich zwar mittlerweile mit der fassadenhaften Hülle der Differenz, unterdrückt jedoch nach wie vor deren unfreiwillige Protagonisten. Es geht also darum, die Dekonstruktion der Masken der Repräsentation nicht mit der Dekonstruktion von Herrschaftsverhältnissen zu verwechseln und den posthumanen Nova Mob als das zu bezeichnen was er ist: heitere und fidele Differenz-Nazis, deren weltweite Akte der Unterdrückung und Zerstörung als ironische und sogar demokratische Possen erscheinen.

Angesichts dieser Misere scheint nichts näher zu liegen, als sich, voll empörter Liebe und Zorn, bedingungslos auf die Seite der zurückgelassenen Menschen zu schlagen, und, wie Fanon schreibt, die Waffen zu ergreifen, um diese Menschlichkeit endlich triumphieren zu lassen. (35), die verlachte Revolution in einem Gewaltakt zu ertrotzen, in einem leidenschaftlichen "Amoklauf zu Gott", wie Siegfried Kracauer über die Vertreter des revolutionären Messanismus spottet.

Dennoch kann es ebensowenig darum gehen, jetzt einfach wieder das Ruder herumzureissen und die tradtionellen Begriffe von Mensch und Subjekt im Gegenzug wieder aufzuwerten, weil dies genau der binären Logik der falschen Konkretheit entsprechen würde, die haltlos zwischen identitären und differenten Identifikationen taumelt, dabei stetig Halluzinationen ethnischer Humanoider und humanitär Entrechteter herbeiphantasiert, und keineswegs davor zurückschreckt, sie dann auch gesellschaftlich zu realisieren.

Die illegitime Ausnahme
Es besteht jedoch auch die Möglichkeit einer politischen Interpretation des Bildes des Menschen, der als universal-partikulares Monster den Ausnahmefall der neuen Weltordnung bildet. Die Rechte des Menschen sind Ausnahmerechte, und nicht umsonst wird das Humanitäre Völkerrecht auch Kriegsrecht genannt (36). In einer Abwandlung eines Ausspruches von Kierkegaard, scheint der Charakter der globalen Neuen Weltordnung gerade an dieser sie legitimierenden Ausnahme abgebildet zu sein. Die Ausnahme erkläre das Allgemeine, so Kierkegaard, und wenn man das Allgemeine recht studieren wolle müsse man sich bloss nach einer legitimen Ausnahme umsehen. (37) Hier ist die Ausnahme nicht nur legitim sondern sogar in politischem Sinne legitimierend denn die Westmächte etablieren ihre Souveränität nicht mehr, indem sie sie in legalem Rahmen autorisieren lassen, sondern indem sie durch rassistische Verordnungen und neoimperialistische Aussetzungen des Völkerrechts einen Ausnahmezustand der Rechtlosigkeit erschaffen, gemäss dem Spruch von Carl Schmitt dass souverän derjenige sei, der den Ausnahmezustand definiere. Und der Bereich rassistischer und neoimperialer Brutalität ist einer der wenigen in dem politische Entitäten angesichts der Vorherrschaft einer globalisierten Ökonomie derzeit ihre Souveränität behaupten.

Wie diese souveräne Definition des Ausnahmezustandes anzugreifen sei, lehrt Walter Benjamin und zwar in eben jenen Thesen über den Begriff der Geschichte, die durch das Bild des Schachtürken eingeleitet werden. Er schreibt:

"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, dass der Ausnahmezustand in dem wir leben, die Regel ist. Wir müssen zu einem Begriff von Geschichte kommen, der dem entspricht. Dann wird uns als unsere Aufgabe die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustands vor Augen stehen." (38)

Auf die Gegenwart angewandt heisst dies: Rassismus und Neoimperialismus sind keineswegs der Ausnahmezustand der Neuen Weltordnung sondern ihre Spielregeln. Dagegen zu setzen ist die Konstitution der Unterdrückten als politisches Subjekt anstatt als humanoid-humanitäres Objekt, das nur scheinbar ins Spiel des Politischen integriert ist. Ein Ornament der "Rasse", ein Fetzen bunter Seide, von den Tätern mit leidenschaftlicher Wut begehrt, besetzt, vernichtet und verehrt.

Unsere Praxis, die Praxis derer, denen im globalistischen Paradigma zugemutet wird, das Schachmatt des Politischen zu verkörpern und durch deren Ausnahmezustand hindurch die Neue Weltordnung sich als souverän definiert muss die Zurückgewinnung politischer Handlungsfähigkeit sein, in jenem radikalen Anfang, dessen profanes Zerrbild die Menge sehnsüchtig als ahistorisch-abstraktes Wunder erwartet. Das Schachspiel des Politischen muss gewissermassen wieder gewonnen werden. Deshalb ist es nicht mehr genug, wenn wir nur allezeit nach der Regel spielen, wie von Benjamins Schachtürken berichtet wurde. Die Forderung nach Gleichheit hat nur dann einen Sinn, wenn die rassistische Regel durch einen wirklichen, einen revolutionären Ausnahmezustand aufgesprengt wird.

(footnotes)

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