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Grrrlz' Comix
Die Neunziger
Der Begriff Wimmens Comix wurde 1992 endgültig die
Silbe "men" los und verwandelte sich so zu Wimmins Comix. Zu diesem
Zeitpunkt spielte das allerdings schon keine Rolle mehr. Junge Frauen
beanspruchten das Wort girl wieder für sich, so wie die Schwulenbewegung
das Wort queer reklamierte, und machten den davor verpönten
Begriff zum Bestandteil vieler Comics-Titel: Real Girl , Action
Girl , Deep Girl , Girl Hero , Girl Talk, Girl
Jock, Rude Girls und Dangerous Women. (Es ist interessant,
dass bis in die Neunzigerjahre die sogenannten bad girl -Comics
- also jene Comics, deren Zielgruppe aus pubertierenden männlichen
Teenagern bestand, und in denen vor allem leicht bekleidete, hyper-sexy
Frauen mit großen Brüsten vorkamen - in ihren Titeln sehr oft
das Wort Lady führten, wie zum Beispiel in Lady Death,
Lady Justice, und Lady Rawhide, während
die feministischen Comics das Wort girl bevorzugten.)
1990 erschien das erste dieser Girl Comics:
Real Girl . Die Herausgeberin Angela Bocage versah es mit dem Untertitel:
"The Sex Comik for All Genders and Orientations by Artists Who Are Good
in Bed". Real Girl blieb seinem Titel treu und brachte Beiträge
von ZeichnerInnen beiderlei Geschlechts. Die Geschichten handeln vor allem
von Sex in allen erdenklichen positiven wie negativen Varianten: sie erzählen
von Abtreibungen, von sexueller Belästigung, von AIDS, von Lesben,
Cross-Dressern und von Frauen wie Getrude Stein, Alice B. Toklas und der
Warhol-Attentäterin Valerie Solanas, Autorin des SCUM Manifestos.
In einem Artikel, der in der ersten Ausgabe von Real
Girl erschien, setzte Rebecca Wright den Begriff girl in Gegensatz
zum Begriff woman:
"Vielleicht fragst du dich, Warum Real Girl ?
Warum nicht Real Woman ? Ist das Wort girl eigentlich nicht
eine herablassende Bezeichnung für eine erwachsene Frau? Hör'
mal zu, Kleine, obwohl es stimmt, dass man diese Anrede vielleicht eher
seinen Freundinnen vorbehalten sollte: trotzdem ist es so, dass sich einige
der besten Leute hier girls nennen. Nur wenige nennen sich women.
Die beiden Ausdrücke lassen sich oft auf ein- und dieselbe Person
anwenden, aber dennoch gibt es einige philosophische Unterschiede."
Sex, um nur ein Beispiel zu nennen, hat für Frauen
unter Umständen andere Langzeitfolgen als für girls.
Eine fallen woman, eine "gefallene Frau", ist ruiniert, ein bad
girl ist einfach nur ungehorsam und unartig...
...Das heißt nicht, dass für girls
alles nur ein Spiel wäre, aber ihr Verhalten scheint andere Konsequenzen
nach sich zu ziehen. Erwachsenen Mädchen scheint in ihren Handlungen
ein anderer Freiheitsgrad gestattet zu sein. Das wird auch in einem weit
verbreiteten Autoaufkleber so formuliert : Good Girls Go to Heaven.
Bad Girls Go Everywhere. (Gute Mädchen kommen in den Himmel,
böse Mädchen kommen überall hin) .
Die Zeiten hatten sich geändert, und das feministische
Schlachtross Wimmens Comix erschien 1992 zum letzten Mal,
nachdem es über einen Zeitraum von zwanzig Jahren von insgesamt drei
HerausgeberInnen publiziert worden war. Frühere Ausgaben hatten sich
mit Themen beschäftigt, die von Männern über kleine Mädchen
bis zur Arbeit alles mögliche abdeckten - es gab sogar eine 3D-Edition
- aber diese letzte Ausgabe präsentierte sich als kvetch-issue,
als "Nörgel-Nummer". Das Vorwort von Caryn Leschen spiegelt die Frustrationen
vieler Comiczeichnerinnen wider, indem es die Gründer für die
Einstellung dieser Anthologie darlegt:
"Dieses Heft wurde auf billigem Papier gedruckt, das
in einigen wenigen Jahren vergilbt sein wird. Die Auflage war zu klein,
und es wird in den Läden wie üblich demnächst ausverkauft
sein. Niemand wird es nachbestellen, da "Frauen keine Comics kaufen".
Blödsinn. Warum sind die Hefte dann überhaupt ausverkauft? Es
ist einfach immer dasselbe. Was für eine Verschwendung von Zeit und
Energie! Vergesst es."
Nachdem Wimmins Comix eingestellt wurde,
publizierten einige Zeichnerinnen bei Twisted Sisters, ein Magazin,
das von Diane Noomin herausgegeben wurde. Twisted Sisters erschien
erstmals in den Siebziger Jahren als zweiteiliger Comicband und wurde
1991 wieder aufgelegt. Die frühen Arbeiten von vierzehn Autorinnen
waren darin versammelt, viele davon ehemalige Wimmins Comix- Zeichnerinnen.
Danach brachte Noomin vier weitere Comicbände heraus, die sie um
die Arbeiten von jüngeren und unbekannteren Autorinnen bereicherte.
Es gab tatsächlich eine große Auswahl: in den Neunzigern hatten
ganze Scharen von Comiczeichnerinnen ihre Arbeiten in Anthologien und
anderen Heften publiziert. In Twisted Sisters sind exemplarische
Beispiele für die Tendenz vieler zeitgenössischer Zeichnerinnen
zu autobiografischem Material zu finden. Die Ausgabe Nr. 3 von 1994 ist
typisch dafür: drei von vier Stories sind "wahre Geschichten" im
wörtlichen Sinn. Der Hauptunterschied zwischen diesen Geschichten
und den traditionellen Love Comics besteht darin, dass es nun ausschließlich
um Sex geht: die Protagonistin aus Debbie Drechslers Sixteen ,
eine Schülerin, wird vergewaltigt; in Caryn Leschens Dutch Treat
schläft die Braut auf ihrer Hochzeitsreise mit einem ehemaligen Liebhaber;
und Phoebe Gloeckner erzählt die verstörende Geschichte einer
fünfzehnjährigen Ausreißerin, deren Welt nur aus schlechten
Drogen und noch schlechterem Sex besteht.
So wie die traditionellen Love Comics werden
auch diese Geschichten in der ersten Person erzählt. Der Unterschied
besteht darin, dass die Erzählungen aus Twisted Sisters authentisch
sind. Im Gegensatz zu den Love Comics und ihren aufgepfropften
happy endings sind viele der autobiografischen Geschichten in den
neueren Comics ziemlich bis außerordentlich deprimierend.
Es gibt aber nicht nur wahre Geschichten; die Autorinnen
besitzen ein ausgeprägtes politisches und feministisches Bewusstsein,
das sie nicht verleugnen, und wahrscheinlich wird sich keine von ihnen
damit brüsten, politisch nicht korrekt zu sein. Viele der Autorinnen
von Girl Talk gestalteten auch Beiträge für World
War 3, ein schonungslos radikales Comic, das von einem New Yorker
Kollektiv herausgegeben wurde, dem sowohl Männer wie auch Frauen
angehörten. In der Spezialausgabe von 1992, die sich mit Sexismus
beschäftigte, schrieb Sabrina Jones:
"Heutzutage erwarten viele Frauen ganz selbstverständlich,
die von der feministischen Bewegung hart erkämpften Rechte in Anspruch
nehmen zu können, während sie den Feminismus selbst verleugnen.
Sie haben Angst davor, sich den Männern zu entfremden, die in ihrem
Leben eine Rolle spielen - nicht zuletzt, weil diese immer noch mehr Macht
besitzen. Das Herausgebergremium von World War 3, das in der Mehrzahl
aus Männern besteht, definiert sich als links/radikal/progressiv/anarchistisch
und daher offen für den Feminismus. Jedoch schienen trotz dieser
guten Absichten die wenigen feministischen Beiträge, die wir annahmen,
einfach nicht zu passen."
Die Lösung der Herausgeber bestand darin, eine
Sondernummer zum Thema Sexismus zu produzieren. Sie äußert
allerdings ihre Zweifel:
"Das Material wird auf diese Weise gettoisiert - Männer
werden diese Ausgabe nicht lesen, und wenn es dann irgendwann noch mehr
Beiträge zu dem Thema gibt, wird man sagen, 'Wir haben das aber schon
gebracht.'"
Girl Talk, erstmals drei Jahre später
publiziert, schien die Antwort auf Jones
offene Fragen zu sein. Die Herausgeber beschreiben
Girl Talk mit den Worten
"... ein sicherer Hafen für das ganze Spektrum
zwischen Delirium und Verzweiflung." Aber nicht alle Beiträge stammen
von Frauen. Eine der interessanteren Arbeiten aus der zweiten Ausgabe
ist Six Single Mothers von Lance Tooks. Seine grimmige Parodie
auf einen bekannten Kinderreim beginnt so:
"One single mother / Rougher side of town / had
to take a second job / To keep expenses down / Can't afford a safer street
/ Living in a dive/ Came home late one Friday night/ Then there were five."
Der Schlussvers ist besonders tragisch :
"One forgotten mother / Bare and callused feet
/ Paid her taxes regular / And wound up on the street / Fought so hard
to fix her life / Until they took her son / Strain turned out to be too
much / Then there were none."
Die Heldinnen aus Megan Kelsos Comic Girl Hero
sind Animata, Bottle Cap und Yolanda, drei mit Superkräften
ausgestattete Fabrikarbeiterinnen, die in einer nicht fernen Zukunft einen
Aufstand gegen die mächtigen Corporate-Bosse anzetteln wollen. Trotz
ihrer oft trostlosen Botschaften produziert Kelso in ihren Büchern
Ausschneide-figuren ihrer Heldinnen, eine Tradition, die eigentlich noch
aus den Mädchencomics der Vierziger Jahre stammt.
Ausschneidepuppen stellen ebenfalls eine fixen Bestandteil
von Action Girl dar, eine Comicanthologie, die Feminismus mit
einer fröhlichen Mädchen-wollen-einfach-nur-Spaß-Attitüde
verbindet. In ihren Editorialen beschreibt Sarah Dyer die positive Philosophie
von Action Girl ("mädchen- und frauenfreundlich - niemals
Anti-Jungs!"), und übt sich in flotten politischen Sprüchen:
"Vergesst nicht - Action ist alles! Unsere Gesellschaft
unterstützt vor allem Konsumdenken, selbst wenn sie sich "alternativ"
gibt. Dinge zu kaufen, ist nicht von vornherein falsch, aber wenn das
alles ist, was ihr tut, dann hat euer Leben wenig Sinn. Seid ACTION-Mädchen
(oder Jungs)! ... Geht raus und macht etwas mit all der positiven Energie!"
Alleine das Wort girl zurückzuerobern
genügte manchen Comiczeichnerinnen nicht. Sie gingen, ganz in der
Tradition von Tits n Clits, noch weiter. Diese Frauen erheben
Anspruch auf wirklich ziemlich anstößige Ausdrücke: so
wie Mary Fleeners Slutburger, Molly Kielys Saucy Little Tart,
die Anthologie On Our Butts, Roberta Gregorys Naughty Bits
(mit Bitchy Bitch), und Julie Doucets Dirty Plotte ("plotte" ist
ein Slangwort aus dem Franko-Kanadischen und bezeichnet die weiblichen
Geschlechtsteile.) Derartig explizite Titel sind herausfordernd an die
LeserInnen gerichtet. "Sicher," sagt die Künstlerin, "ich bin eine
Schlampe, ein Miststück. Je suis une plotte. Habt ihr ein Problem
damit? "
Andere Zeichnerinnen wenden sich ins andere Extrem
und benützen ein Umkehrprinzip, mit dem sie Charme und Schönheit
in ihr Gegenteil verkehren. Dame Darcy (Meatcake) und Christine
Shields (Blue Hole) könnten Kinder der Liebe sein, gezeugt
von Edward Gory und Drusilla, der Vampirin aus der Kultserie Buffy
the Vampire Slayer. Ihre Hefte sind hundertprozentig girl,
haben aber auch eine andere, dunkle Seite. Dort mischt sich Schönheit
mit Schärfe und manchmal mit Arsen, und unter anderem stößt
man auf antike Puppen in blutbefleckten Spitzenkleidchen. In beiden Heften
wandern Mädchen (die, wie ich stark vermute, den Künstlerinnen
sehr ähnlich sind) in Second-Hand-Outfits durch verstörende,
traumartige viktorianische Universen.
Die Hauptfigur in Darcys Comic ist ein Mädchen
namens Richard Dirt, die mit ihren langen blonden Haaren und den altmodischen
Stiefletten wie eine merkwürdige Alice im Wunderland wirkt. Sie und
ihre Freundinnen, die siamesischen Zwillinge Hindrance und Perfidia, sehen
aus wie süße kleine Mädchen einem Jahrhundertwende-Fotoalbum,
aber sie trinken ihren Schnaps direkt aus der Flasche. In Blue Hole
erzählt Shields die tragische Geschichte eines Doppelmordes im Romeo-und-Julia-Stil,
der sich in San Francisco zuträgt. Auch dort trinkt die Heldin Ruby
ihren Fusel aus der Flasche, umso mehr, als sie sich unter Piraten befindet.
Und trotzdem sind beide Comics so unglaublich niedlich! Außer dem
zuvor erwähnten Edward Gory kann man sich kaum einen Mann vorstellen,
der solche Geschichten zeichnen könnte.
Wenn Christine Shields und Dame Darcy die Bilder von
Harmlosigkeit und Schönheit von innen nach außen kehren, dann
stellt die im Selbstverlag herausgegebene Publikation Castle Waiting
von Linda Medley die Gebrüder Grimm auf den Kopf. Im Stil eines klassischen
Märchencomics gezeichnet, verbindet Medley Elemente aus dem Froschkönig,
aus Rumpelstilzchen, aus den Bremer Stadtmusikanten und aus möglichen
anderen Märchen, mit denen unsere Mütter uns schon zum Einschlafen
brachten. Das Schloß selbst ist die ehemalige Heimat der Schlafenden
Schönheit und ist immer noch von dornigem Gestrüpp umgeben,
obwohl die Prinzessin schon vor vielen Jahren mit ihrem Prinz auf- und
davongegangen ist und alle anderen Bewohner verlassen hat (darunter eine
seltsame vogelköpfige Kreatur namens Rackham, benannt nach einem
der wichtigsten Fantasy-Autoren, Arthur Rackham), die nun auf andere Reisende
mit neuen Geschichten warten.
Wieder andere Autorinnen verwenden das Wort girl,
schreiben es aber mit drei "r". Im Sommer 1991 entstand in Amerika eine
Bewegung aus der eigenartigen Begegnung zweier verschiedener Washingtons:
D.C. und Washington State. Es geschah, als zwei Punkbands, die zur Gänze
aus Frauen bestanden, nämlich "Bikini Kill" und "Bratmobile" aus
Olympia, Washington für einen längeren Aufenthalt nach D.C.
kamen. Die Hauptstadt war damals schon lange ein fruchtbarer Nährboden
der Punkbewegung gewesen, die vor allem von Männern dominiert wurde.
Die wenigen Frauen der Szene waren wütend auf die zunehmende Machogewalt
der männlichen Punker, die versuchten, sie - manchmal sogar unter
Androhung körperlicher Gewalt - auszuschließen Das Ergebnis
dieser Wut war ein feministisches Revival - eine Art "third-wave-feminism"
im Stil der Neunziger Jahre. Viele der jungen Frauen, die meisten darunter
in ihren Teens oder zwischen zwanzig und dreißig, waren in nicht-sexistischen
und anti-traditionellen Verhältnissen groß geworden, und von
Müttern erzogen worden, die selbst Teil der zweiten feministischen
Welle der Siebzigerjahre gewesen waren (die Sufragetten-Bewegung wird
im Allgemeinen als "first wave" bezeichnet). Die Töchter dieser Frauen
wuchsen mit einer sehr klaren Vorstellung des Begriffes "Sexismus" auf,
und betrachteten viele der frühen Errungenschaften der feministischen
Bewegung als selbstverständlich. Dann aber kam der backlash,
der Gegenschlag, und die Sicherheit, in der sich junge Frauen gewähnt
hatten, erfuhr mit einem Mal eine Destabilisierung. Dies geschah zum Beispiel
in Form der Bedrohung des Rechtes, über den Gebrauch der eigenen
Reproduktionsfähigkeit selbst zu entscheiden, war aber auch durch
eine neue Welle von Sexismus und Homophobie gekennzeichnet. Immer noch
nicht konnten sie einfach die Straße entlang gehen, ohne belästigt
zu werden. Sie waren stinksauer und hatten keine Lust, das noch länger
mitzumachen.
Die Mädchen von Bikini Kill und Bratmobile
prägten Slogans wie Revolution girls style now, und
den Begriff Riot Grrrl. Zwei von ihnen, Allison Wolte und Molly
Neuman, stellten das erste Riot Grrrl - Zine zusammen, und so entstand
die Bewegung. "Grrrl" verband das wiedereroberte Wort mit einem trotzigen
Knurren - das waren keine gut erzogenen netten Mädchen mit rosa Schleifen
mehr.
Schon innerhalb eines Jahres fand das erste Riot
Grrrl - Treffen in D.C. statt. Im ganzen Land entstanden Ableger.
So wie mit der Womens Lib - Bewegung zwanzig Jahre früher
waren die Medien zwar schnell in ihrer Berichterstattung, doch langsam
in ihrer Auffassungsgabe.
Riot Grrrlz wurden als Lesben oder/und gewalttätige
Männerhasser abgestempelt. Tatsächlich bestand eine der ersten
Riot Grrrl-Aktionen darin, auf eine traditionell feministische,
kollektive Weise gegen Gewalt zu protestieren, indem sie den so-genannten
"mosh pit" zurückeroberten, also den bei Konzerten ausschließlich
von Männern beanspruchten, furchterregenden Ort genau vor Bühne
und Band. Um Platz für sich selbst zu schaffen, formierte man sich
zu regelrechten "Packs" und drängte sich durch die Masse ganz nach
vorne, wobei jede die andere beschützte.
So sehr es den Riot Grrrlz um Musik ging, so
sehr ging es auch um Zines, um selbstverlegte und fotokopierte Minimagazine
mit Auflagen zwischen dreissig und fünfhundert Exemplaren. Fan-Zines
waren aber weder eine Erfindung der Riot Grrrlz noch der Punk-Bewegung.
Die ersten Zines entstanden bereits zu Beginn der Dreißigerjahre,
als junge Science Fiction-Fans erstmals ihre eigenen kleinen Magazine
mittels Mimeo- und Hektographierern, sehr einfachen Vorläufern der
heutigen Fotokopierer, vervielfältigten. Viele der jungen Fans, die
diese Hefte produzierten, wurden später selbst Schriftsteller und
Herausgeber. Die frühen Zines waren, wie ihre späteren Nachfolger,
sehr oft Briefe in Minimagazinform, manchmal illustriert, und brachten
Neuigkeiten und Besprechungen der neuesten Science Fiction-Erscheinungen,
wie auch Klatsch und persönliche Informationen. Und so wie die heutigen
Zines konnten auch sie gegen andere eingetauscht werden, man konnte sie
per Post beziehen und bezahlte dafür einen geringen Betrag, meistens
nicht mehr als ein paar Quarter.
Die nächste Gruppierung, die Zines herausgaben
und unter die Leute brachten, waren Comic-Fans in den frühen Sechzigerjahren.
Einige der frühesten Underground Comics waren selbst Zines, die mittels
eines oft nur geringfügig besseren Druckverfahrens hergestellt wurden,
und einige der ZeichnerInnen, die heute sehr bekannt sind, haben so angefangen.
Das Aufkommen von billigen Fotokopierern zu Beginn der Achtziger Jahre
befreite die Zines von allen möglichen technischen Beschränkungen.
Jeder, der etwas zu sagen hatte, konnte es sich nun leisten zu veröffentlichen.
Schließlich begannen ab circa 1990 viele Frauen, beseelt vom Wunsch
miteinander zu kommunizieren und unterstützt von den Riot Grrrlz,
Zine-Formate zu benützen, um ihre Lebensgeschichten, Gedanken, Weltanschauungen,
um Humor, Poesie und natürlich auch Comics zu veröffentlichen.
Einige der bekanntesten Comiczeichnerinnen, darunter
Diane DiMassa, Mary
Fleener, Ariel Bordeaux und Jessica Abel, begannen
- ganz wie die früheren Science Fiction- und Comic-Fans - mit der
Publikation eigener Zines. Obwohl die Zeichenstile Lichtjahre voneinander
entfernt sind, so sind doch sowohl Abels Artbabe und Bordeaux No
Love Lost (ihr Zine hieß Deep Girl ) typisch für
das leicht deprimierende autobiografische Genre, das man so oft in Grrrlz
- Zines findet. Es passiert nicht sehr viel, und das in Echtzeit. Mädchen
schlagen sich mit Jungs herum, besuchen Konzerte, sitzen in Cafés
und diskutieren mit ihren Freundinnen über Beziehungen. Am Ende des
Hefts kommt man zu keinem richtigen Schluß.
Viele dieser Geschichten sind ziemlich deprimierend
und handeln von dysfunktionalen Familien. Man gerät in Versuchung
zu glauben, dass diese Art von Familien regelrechte Nährböden
für Herstellung zukünftiger Cartoonistinnen darstellen. Zum
Glück gibt es Ellen Forney. In ihrem selbstverlegten Comic I was
seven in 75 erzählt Forney eine ziemlich lustige Geschichte
darüber, wie es ist, in den Siebziger Jahren von Hippie-Eltern großgezogen
zu werden. Natürlich passieren auch in diesen Geschichten alle möglichen
Dinge - Forneys Bruder wird mit fünf Stichen genäht, als
er sich den Kopf an einem Stuhl verletzt, die Kinder setzen den neuen
Mikrowellenherd in Brand, und die Eltern überstehen eine Drogenrazzia,
nachdem der Babysitter sie angezeigt hat. Dabei handelt es sich aber eher
um alltägliche Probleme. Niemand wird mißbraucht, vergewaltigt
oder von moralisch verkommenen Eltern dauerhaft seines/ihres Selbstwertgefühls
beraubt. Forneys Eltern sind im Gegenteil großartig; sie und ihr
Bruder sind ganz normale, glückliche Kinder. Ihr Buch ist witzig
und erfrischend.
Die von Diane DiMassa erfundene Figur "Hothead Paisan",
eine gemeingefährliche lesbische Terroristin - die wütendste
Frau in der Geschichte der Comics seit "Bitchy Bitch" - verfällt
ebenfalls nicht in Depressionen. Sie handelt einfach, und zwar ziemlich
rabiat. Roberta Gregorys Bitchy Bitch (und ihr lesbisches Gegenstück,
Butchy Butch) dreht in jeder Ausgabe von Naughty Bits garantiert
mehrere Male durch, ohne dass ihre gewalttätigen Handlungen sie wirklich
erleichtern würden. Dagegen stellt sich Hotheads Wut eher kathartisch
dar - auch für den Leser, und sorgt so für die unterhaltsamste
Art von Gewalt, die man je gesehen hat.
Hothead und Daphne, das Mädchen, in das Hothead
unsterblich verliebt ist, sitzen glücklich im Sonnenschein auf einer
Parkbank, als sich plötzlich ein riesiger Mann neben sie setzt, seine
Beine ausstreckt, und ihre Privatsphäre stört, so wie das eben
nur riesige Kerle machen, die ihre Beine neben einem ausstrecken. Man
muss es ihr lassen, Hothead gibt ihm noch eine Chance. Sie starrt auf
seine Beine und sagt, "Äh, entschuldigen Sie mal...", aber der Typ
antwortet nur, "Was hast du für ein Problem?". Aus dem Nichts erscheint
in Hotheads Hand plötzlich ein Beil, und ein dämonisches Grinsen
überzieht ihr Gesicht. Sie hackt das störende Bein ab,und überreicht
es dem Störenfried. "Das hier!" sagt sie, "Das ist mein Problem!
Gehört das Ihnen? Falls das nämlich so sein sollte, ich habe
es hier bei mir gefunden!"
Hothead und Daphne gehen ins Kino und ein wirklich
großer Typ mit Baseballmütze setzt sich direkt vor Hothead.
Wieder gibt sie ihm zuerst eine Chance. "Hallo, Herr Totale-Sonnenfinsternis...",
ruft sie. "Sie sind zwölf Fuß groß und tragen im Kino
einen Hut? Und sitzen ganz vorne? Warum tragen sie nicht gleich einen
Cowboyhut? Was werden Sie als Nächstes machen? Einen Regenschirm
aufspannen???". Natürlich wird sie von ihm ignoriert, er bleibt einfach
sitzen, seine Beine weit von sich gestreckt, und man kann zwischen seine
bequem gespreizten Beinen den Satz "Me a big boy, me have special rights"
erkennen. Unter Daphnes entzücktem Beifall zaubert Hothead diesmal
eine Kettensäge hervor und sägt den Kerl in zwei Teile. "Er
war mir im Weg." erklärt sie, "Ich konnte das nicht akzeptieren."Außerdem
hat Hothead eine wirklich süße Katze, die Chicken heißt
und einen Fez trägt.
Zine Art deckt so ziemlich den ganzen Bereich zwischen
hervorragenden und eher amateurhaften Beiträgen ab. Die nicht ganz
so herausragenden KünstlerInnen machen sich aber keine Gedanken darüber,
dass ihre Arbeit vielleicht nicht allzu subtil ist. Sie folgen einfach
Sarah Dyers Rat aus Action Girl :
"Ihr glaubt nicht, dass ihr Comics zeichnen könnt?
Versucht es trotzdem, auch wenn es nur für euch selbst ist!"
Es werden schließlich illustrierte Hefte hergestellt,
und nicht postalisch versendbare Ausstellungen. In diesen Heften teilen
die Autorinnen mit den LeserInnen - wie man das in Briefen eben tut -
ihr Alltagsleben, ihre Freundschaften und natürlich viel Spaß.
Bonni Moeller veröffentlicht in Ducks in a
Row mitten zwischen zart abschattierten Zeichnungen Listen der "100
liebsten Dinge" ihrer Freundinnen ("1. Bier, 2. Die Ramones, 3. Gute Schuhe,
4. Burritos"). Carrie McNinchs Zeichenstil dagegen ist das krasse Gegenteil:
sie verwendet tiefes, undurchdringliches Schwarz und zeichnet holzschnittartige
Umrisslinien. Trotzdem ist sie ziemlich gesprächig. Auf der ersten
Seite von The Assassin and the Whiner vermittelt sie den LeserInnen
unter anderem ihre Freude über die Entdeckung des Original-Schiffs
aus Gilligans Island, den Inhalt ihrer Lieblings-Kochshow auf dem
Kanal PBS, und ganz nebenbei geht es um das Begräbnis ihres Großvaters,
die Reaktion ihrer Familie auf ihr Coming-Out als Lesbe, die lustige Geschichte
von Ellen DeGeneres Coming - Out, und um ihre Sympathie für den Typen
im örtlichen Comic-Laden, der immer Rabatt gibt. In Cones of Silence
veröffentlicht Kelly Renee eine Geschichte mit dem Titel "Men That
Have Made Me Feel Wanton " und eine Liste, die unter anderem ihren High
School - Schwarm, den Traumjungen aus der Grundschule und Fonz, eine Figur
aus der Show Happy Days beinhaltet. Tina, eine der drei Zeichnerinnen
von Buffy and Jodys Guide to the Galaxy, erzählt von
ihren besten Schulfreundinnen, und in einer weiteren Ausgabe veröffentlichen
die drei (Tina, Ami und Alexis; Nachnamen kommen nicht vor) ein Rezept
für tiefgekühlte Spaghetti ("mit Knoblauchbrot und Cherry Kool
Aide servieren"). Beth Temple macht sich über die Obsession der Siebzigerjahre
lustig, alles "teilen" zu wollen. Sie produziert Postkarten mit Texten
wie "Sure, I'll share", und fragt ihre Leser "Want Some of My Insomnia?",
oder "Want Some of the Crap I Carry Around?".
Nach all diesem lustigen Teilen scheint die Schroffheit
der Zines fast schockierend, bis wir uns endlich wieder daran erinnern,
dass das Wort grrrl ja auch aus einem Knurren besteht. Die kanadische
Zeichnerin Patti Kim schreibt Briefe auf Hello Kitty - Briefpapier,
und bevölkert ihre Geschichten mit putzigen japanischen Comicfiguren.
Dann blättert man um, und findet folgende Erklärung:
"Trauert zuerst ... und dann arbeitet daran, dass
die Dinge sich ändern. Am 6. Dezember 1989 wurden in Montreal vierzehn
Frauen ermordet. Frauen jeder Rasse und jeder Klasse wurden von Männern,
die ihnen bekannt waren, mißbraucht und ermordet. Wir trauern um
sie, und arbeiten weiter an der Veränderung dieser Gesellschaft."
Der weibliche Körper und die Obsession mit Gewicht
und Diäten sind natürlich Themen, die in fast allen Zines sehr
häufig vorkommen. Beth Templeton zeichnet ein Comic über die
Operation, der sich sie unterzog, um ihre Brüste verkleinern zu lassen.
Sie schreibt:
"Warum konnte ich mit meinem Körper nicht einfach
zufrieden sein? Warum machte es für mich so einen Unterschied, diesen
Körper einer kontrollierten und von irgendeinem Arschloch von Arzt
chirurgisch sanktionierten Gewaltanwendung auszusetzen?"
In Cone of Silence zeichnet Kelly Renee einen
verstörenden Cartoon über Bulimie, "Living On Empty". Während
die Bulimikerin in der Schlange an der Supermarktkasse wartet, um das
Junk Food zu bezahlen, das sie anschliessend verschlingen und dann wieder
auskotzen wird, hat sie plötzlich eine Vision, in der eine überirdische
Prinzessin Diana ihren gepflegten, manikürten Finger in den königlichen
Hals steckt. "Das Bild hat etwas Tröstliches. Diana würde begreifen.
Sie würde alles verstehen."
Auf dieses Comic folgt ein anderes, das sich als Parodie
auf all diese "Nun bist du endlich eine Frau"-Pamphlete unserer Mütter
begreift. Aber anstelle uns im Gebrauch von Slipeinlagen zu unterweisen,
handelt es sich um eine Gebrauchsanweisung für Bulimikerinnen. Einige
hilfreiche Tips: "Um Würge- und Brechgeräusche zu übertönen,
ist es ratsam, das Wasser laufen zu lassen." Und: "Vergiß nicht:
Du kannst lernen, geräuschlos zu kotzen!"
"My Amazing Secret" in Buffy and Jody's Guide to
the Galaxy macht sich auf andere Weise über Diätwahn und
Ess-Störung lustig, indem Kopien von echten Anzeigen verwendet werden:
"Ganz plötzlich, das erste Mal in meinem Leben,
begann ich abzunehmen!!!! Es war wie ein Wunder! Das Fett schien nur so
dahin zu schmelzen. Endlich hatte ich das Geheimnis des Abnehmens entdeckt!
Alles war ganz einfach ... ganz leicht! Also blieb ich einfach dabei.
Und ich wurde dünner und dünner." In Tinas Zeichnungen, die
den Text begleiten, wird die Hauptdarstellerin zum lebenden Skelett. In
der letzten Sequenz gibt sie dann endlich ihr Geheimnis preis: eine Crackpfeife,
ein Feuerzeug, und Cracksteine, zusammen mit einer Gebrauchsanweisung:
"Steine in die Pfeife legen. 2. Pfeife anzünden. 3. Pfeife rauchen."
Madison Clell und Kim Hecht publizierten eines der
ernsthaftesten Zines überhaupt, doch selbst hier gibt es noch Platz
für Humor. Cuckoo hat den Untertitel "One Woman's True Stories
of Living with Multiple Personality Disorder". Madison Clell zeichnet
die Figur einer überaus beglückten Psychologieabsolventin, die
ganz stolz eine endlich von ihr entdeckte "Multiple" präsentiert:
nämlich Clell selbst, die sich inzwischen in ein riesiges, pelziges
Meerschweinchen verwandelt hat. Sie nennt dies das "Meerschweinchen-Syndrom".
Clell stellt uns in ihren Zeichnungen, die einen expressionistischen Pinselstrich
aufweisen, alle möglichen verschiedenen Leute vor, die sie "Die Anderen"
nennt, und die ihren Körper bewohnen. Sie erzählt ironisch,
todernst, und manchmal fast wütend. Eine dieser Personen ist Melanie,
die als Kind vergewaltigt wurde.
Clell schreibt:
"Es gibt einen Fachausdruck für das, was Melanie
angetan wurde. Ausdrücke, die im Gerichtssaal und in den Notizen
der Ärzte für Klarheit sorgen. Benennungen, die monströse
Handlungen erträglich machen sollen. Sodomie. Vergewaltigung. Kindesmissbrauch.
Alles Mist! Worte können niemals genügen, um die Wirklichkeit
zu beschreiben."
Cuckoo ist weder für Kinder geeignet,
noch für jene, die sich unterhalten wollen. Cuckoo nimmt einfach
eine sehr wichtige Position ein.
Es gibt zur Zeit wirklich nicht viele Comics für
Kinder. Der unverwüstliche Archie steht ganz alleine da. Pep, das
Comic, mit dem 1941 alles begann, wurde 1989 eingestellt, aber die Archie-Serie
hat noch immer Erfolg. In den Neunzigerjahren erfuhr die Gruppe von Archies
Freunden und Freundinnen Zuwachs: Cheryl Blossom, eine Rothaarige, die
doppelt so reich und dreimal so zickig wie Veronika ist. 1997 kam noch
Sabrina the Teenage Witch dazu, die zur Hauptattraktion eines Fernsehhits
wurde, der auf Archie-Figuren basierte. Die einzige Konkurrenz, die Archie
in den Neunzigern hatte, waren Barbie Comics, die zwischen 1990
und 1995 von Marvel publiziert wurden. Wenn also heute kleine Mädchen
Lust auf Comics haben, ist Archie ihre einzige Möglichkeit.
Dem vorherrschenden Genre der Love Comics erging
es noch schlechter. Es gibt sie eigentlich gar nicht mehr. Nichtsdestotrotz
wird das Genre von verschiedenen Herausgebern wiederbelebt. Lea Hernandez
kombiniert Liebesgeschichten mit Manga, dem japanischen Comicstil, und
entwickelt in ihrer gezeichneten Novelle Cathedral Child eine besondere
Art von Science Fiction, die unter dem Namen Steam Punk bekannt
geworden ist. Steam Punk - Geschichten tragen sich in einer fernen
Vergangenheit zu, die jedoch über moderne Technologien verfügt.
Folgerichtig spielt Hernandez Geschichte im Jahr 1897, ihre Heldin
trägt altmodische Großmutterstiefel, arbeitet aber mit "analytischen
Maschinen" - die damals scheinbar gebräuchliche Bezeichnung für
Computer.
In Code Blue, einer Art von Comic-Parodie auf
Emergency Room-Soaps und Nurses In Love - Serien, geht Jimmie
Robinson noch einige Schritte weiter. Jayeen "Chicken" Michaels ist Oberärztin
in Highland, einem heruntergekommenen Provinzkrankenhaus. In ihren Worten:
"Wir kümmern uns um Obdachlose, Ausreißerinnen, Drogenabhängige
... was Sie wollen." An einem ganz normalen Tag hat Jayeen mit Notfällen
zu tun: vom verrückten Bombenleger bis zum attraktiven Oberarzt des
teuren High-Tech-Hospitals Northridge vom anderen Ende der Stadt reicht
das Spektrum. Sie hilft mit, den wahnsinnigen Bomber zu überwältigen,
und rettet das Leben des Doktors, der nach einem Verkehrsunfall eingeliefert
wird. Als er aber mit ihr ausgehen will, ist sie zu ärgerlich um
zuzugeben, dass sie ihn auch mag: "Ich möchte diesem schicken Chromtempel
nicht seinen Oberarzt wegnehmen... Allein der Gedanke, dass irgend so
eine Patientin in mittleren Jahren ihre Fettabsaugung verpassen könnte
- dabei läuft es mir kalt den Rücken hinunter..." Leser, die
wissen möchten, wie der niedliche Doktor Jayeens falschen Stolz schließlich
kleinkriegt, müssen auf die nächste Nummer warten.
Eternal Romance gehört zu den extremsten
Comics der Neunziger Jahre. Die Zeichnerin Janet Hetherington kombiniert
Roy Lichtenstein - Malerei mit Vampirgeschichten. Sie erzählt wahre
Geschichten aus den Neunzigerjahren und liefert damit eine perfekte Parodie
der traditionellen Love Comics. In der ersten Ausgabe, die den
Untertitel "Love! Heartache! Vampires!" trägt, sind die Hauptfiguren
ziemlich untot. Sie sind alle Vampire. In späteren Ausgaben erweitert
Hetherington das Vampirgenre ein wenig, um alle, die gut aussehen und
mit übernatürlichen Kräften ausgestattet sind, auch noch
mit einbeziehen zu können. Die Liebesgeschichte aus "Mummys
Boy" ist bezeichnend. In "Once Bitten, Twice Shy" taucht Joeys Ex-Freundin
Rochelle plötzlich wieder in seinem Leben auf, natürlich zum
großen Missfallen seiner augenblicklichen Freundin Joyce. Als es
zwischen den beiden schließlich zur Konfrontation kommt, enthüllt
Rochelle, dass sie eine Vampirin ist - die beiden haben sich tatsächlich
gefunden, denn Joyce ist eine Hexe.
"Nein! Ich werde dich niemals heiraten können!"
schluchzt Lin, die Heldin aus "Kiss of Death" in der dritten Ausgabe von
Eternal Romance." Meine Familie ist verflucht!". Und tatsächlich,
ein einziger Kuss verwandelt sie in eine reizende kleine Werwölfin.
Es stellt sich jedoch praktischerweise heraus, dass ihr Verlobter auch
ein Werwolf ist. Also sind sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage
und heulen gemeinsam den Mond an.
Offenbar sind Männer ebenfalls in der Lage, Girl
Comics zu erfinden. Terry Moores Strangers in Paradise
ist vielleicht der würdigste Nachfolger von Love and Rockets,
das nicht mehr publiziert wird. Mädchen, die einst von Betty und
Veronica zu Maggie und Hopy wurden, steigen jetzt sofort zu Francines
und Katchoos auf. Moores Zeichnungen sind exzellent, seine Geschichten
bewegend und witzig, und seine Charaktere wirken echt und überzeugend.
So wie Maggie aus Love and Rockets, beweist auch die sympathisch
rundliche Francine, dass man absolut anbetungswürdig sein kann, auch
wenn man nicht so aussieht wie ein anorexisches Supermodel.
Eine der allerbesten Geschichten der Neunziger, wenn
nicht sogar des gesamten Jahrhunderts, ist Bryan Talbots "The Tale of
One Bad Rat", eine sehr empfindsame, wunderschön gezeichnete Geschichte
über Kindesmissbrauch. Helen, ein junge Ausreißerin, flieht
vor ihrem gewalttätigen Vater und einer kalten, lieblosen Mutter.
Sie schnorrt sich auf den Straßen Londons durch, schläft in
Abbruchhäusern und Hausfluren, und ihre einzigen Begleiter sind eine
zahme Ratte und die Beatrix-Potter-Bücher, die sie seit ihrer Kindheit
geliebt hat. Als eine Katze schließlich ihre Ratte tötet, macht
sich Helen zum Haus von Beatrix Potter auf. Die Ratte, die inzwischen
zu ihrem Schutzgeist geworden ist, der nur für sie sichtbar ist,
begleitet sie auf dieser Odyssee.
Es gibt so viele wunderbare Comics, dass man meinen
müsste, Mädchen und Frauen aller Altersstufen hätten alles,
was sie sich nur wünschen könnten. Man könnte fast glauben,
die Schöpfer der Comics lebten in einem Paradies, wo sie ihre Ideen
nur zu Papier bringen brauchen, um davon gut leben zu können. Das
könnte von der Wahrheit nicht weiter entfernt sein. Die durchschnittliche
weibliche Cartoonistin hat tagsüber einen Job. Ihre Hefte sind schwer
aufzutreiben. Zines sind natürlich hauptsächlich per Post erhältlich,
und abgesehen von ein paar wenigen Ausnahmen werden auch die besser verkäuflichen
Serien - verglichen mit den Mainstream-Superhelden-Geschichten - nur als
kleine Auflagen publiziert. Nur wenige Comicläden führen diese
Hefte überhaupt. In "Want Some?" beschreibt Beth Templeton die Situation
folgendermaßen:
"Wenn ich heutzutage in einen Comicladen komme, versuche
ich vor allem, Comics von Frauen und lokale, unabhängige Indie-Produktionen
zu finden. Es ist nicht besonders schwer, in Läden zu geraten, in
denen es beides nicht gibt. Kein Art Babe, Hothead Paisan, Dirty
Plotte, oder Dykes to Watch Out For. Aber natürlich, man
würde "sehr gerne etwas für Sie bestellen." Nein, vielen Dank.
Wenn ich keine große Auswahl zur Verfügung habe, wie soll ich
dann etwas Neues finden?"
Das Ergebnis besteht natürlich darin, dass nur
wenige Frauen von diesen Comics wissen. Eine ironische Steigerung erfährt
die Situation durch den Umstand, dass kleine, unabhängige, schwarz-weiße
Produktionen meistens mehr kosten als die farbigen Mainstream-Superhelden-Comics.
Und dann verdienen Frauen auch noch weniger als Männer, und haben
also auch weniger Kaufkraft.
Es ist wirklich eine klägliche Situation, und
im Jahr 1993 beschlossen einige Frauen, etwas dagegen zu unternehmen.
Während der Comics Convention in San Diego kamen verschiedene Frauengruppierungen
zusammen, um die Probleme zu erörtern, die sich aus der Arbeit innerhalb
einer derartig männerdominierten Industrie ergaben. Das Ergebnis
dieses Treffens bestand aus der Gründung einer nationalen Organisation,
die sich "Friends of Lulu" nannte, frei nach dem kleinen tapferen Mädchen,
das niemals ihren Versuch aufgibt, in den Club der Jungs einzudringen.
Explizites Ziel ist es, "die weibliche Leserschaft zu fördern und
zu unterstützen, und so den Anteil der weiblichen Beteiligung an
der Comic-Industrie zu stärken." Im Februar 1997 hielten "Friends
of Lulu" ihr erstes jährliches Treffen ab, und im August des Jahres
wurden Comics-Autorinnen und frauenfreundliche Comicreihen im Rahmen der
alljährlichen Lulu Awards Ceremony ausgezeichnet.
Nun, da wir uns dem Ende des 20. Jahrhunderts nähern,
müssen wir feststellen, dass die Comic-Industrie, die über einen
Zeitraum von 60 Jahren eine unglaublich lebendige Kunst- und Kommunikationsform
darstellte, in wirklichen Schwierigkeiten steckt. Tatsächlich hat
sich der Bereich niemals zuvor in einem schlechteren Zustand befunden.
Der Verkauf von Comics ist auf den niedrigsten Stand
seit 50 Jahren gesunken. Es gab Zeiten, in denen von drei in den Vereinigten
Staaten verkauften Zeitschriften eine ein Comic war. Walt Disneys Comicreihen
wurden pro Monat über vier Millionen Mal verkauft. Andere Titel,
darunter auch einige Western, Kriminalgeschichten und die Simon and
Kirby - Hefte brachten pro Ausgabe mehr als eine Million Hefte an
Mann und Frau. Neunzig Prozent der gesamten Nation waren regelmäßige
Comic-LeserInnen. Heutzutage liegt die Zahl unter einem Prozent. Wenn
wirklich ein ganzes Prozent regelmäßig Comics lesen würden,
könnte man die Comic-Industrie als gesund bezeichnen. Das durchschnittliche
Mainstream-Superhero-Comic verkauft im Allgemeinen zwischen vierzig- und
sechzigtausend Exemplare pro Auflage. (Natürlich ist das durchschnittliche
Mainstream Comic immer eine Superheldengeschichte!). Ein normale, schwarzweiße,
unabhängige Produktion verkauft ungefähr dreitausend Exemplare.
All dies hat schon viel früher begonnen - obwohl
nicht in einer derart desaströsen Form - als die größten
Verkaufsschlager des 2. Weltkriegs nach dem Krieg plötzlich ihre
Popularität einbüßten, und durch andere Genres ersetzt
wurden, darunter Teen- und Love Comics. Der Geschmack verändert
sich, und das Pendel schlägt immer in eine andere Richtung aus. Dieses
Pendel, das in den Sechziger Jahren in Richtung Superhero-Comics ausschlug,
hat sich nun wieder umgekehrt.
Oft wird dem Fernsehen die Schuld am schwindenden
Interesse an Comics gegeben. Die Menschen haben aber nicht aufgehört
zu lesen. Eine Umfrage, die 1998 von Publishers Weekly durchgeführt
wurde, ergab, dass die Leser dreimal so viele Bücher kauften als
im Vorjahr. Die Umfrage ergab weiters, dass die meisten Leser jung - unter
fünfunddreißig - waren, und dass achtundfünfzig Prozent
davon Frauen waren, im Gegensatz zu zweiundvierzig Prozent männlicher
Leserschaft. Es gibt also offensichtlich Bücher da draußen,
und viele weibliche Leserinnen. Der Anteil der Frauen an der Gesamtbevölkerung
beträgt zweiundfünfzig Prozent, und Frauen lesen gerne. Man
muss kein Raketenforscher sein, um sich vorstellen zu können, dass
diese Frauen auch gerne Comics lesen würden, wenn man endlich Comics
für sie publizieren würde.
Das Motto von "Friends of Lulu" ist "Here to Save
Comics". Es war einmal eine Frau, die hieß Ginger Rogers. Sie tanzte
genauso gut wie Fred Astaire, nur rückwärts, und in hohen Absätzen.
Wenn eine Frau in der Lage ist, so etwas zu tun, sollte es ein Kinderspiel
sein, Comics zu retten.
Übersetzung:
Constanze Ruhm
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