WWW.HAUSSITE.NET > SCRIPT SECTION
Titel: Der maskuline Imperativ. Hochmodern, Postmodern.
Autor: Laura Cottingham
Der maskuline Imperativ. Hochmodern, Postmodern.
Laura Cottingham
Der Feminismus der Nachkriegszeit betonte das Symbolische und das Materielle
– wenngleich oft mit einigem Unbehagen – gleichermaßen.
In den Vereinigten Staaten verhalf der "Bilder-Protest" der "Zweiten
[Feministischen] Welle" zu nationaler Bekanntheit.(1) Während der
folgenden Jahrzehnte haben AktivistInnen und AkademikerInnen eine stetige
(aber nicht einseitige) Kritik an der Repräsentation von Frauen geübt,
wie diese gemäß den Konventionen von Literatur, Film, Psychoanalyse,
Pornographie, Werbung, Fernsehen und allen anderen Formen kultureller Produktion
konstruiert wird. Parallel zu diesen Untersuchungen ideologischer Konstruktionen
wandten sich Feministinnen gegen die unmittelbaren und auf Erfahrung beruhenden
Hindernisse, die die Autonomie der Frauen einschränken, wie z.B. diskriminierende
Beschäftigungspolitik, ungleiche Bezahlung, unzureichende Gesundheitsvorsorge,
Heiratsvorschriften und Konventionen, Vergewaltigung und anderen Formen des
sexualisierten Missbrauchs, und auch der systematische Ausschluss von Frauen
aus Positionen von gesellschaftlicher Relevanz oder Regierungseinfluss. Die
Frage nach einer Kausalität zwischen den ideologischen und materiellen
Einschränkungen weiblicher Erfahrung inspirierte einige der bedeutendsten
Brüche des jüngsten Feminismus, einschließlich des Übergangs
zur Psychoanalyse, der in England und Frankreich in den 70er Jahren stattfand,
und der Diskussionen über die Pornographie, die in den Vereinigten Staaten
in den frühen 80er Jahren stattfanden.
Wie sich das Ikonografische auf die gelebte Erfahrung auswirkt, und wie es
diese konstruiert, ist immer noch umstritten: Die materiellen Auswirkungen
des jüngsten Aktivismus sind ein bisschen weniger vage. Gesellschaftliche
Veränderungen, die durch die Frauenbewegung, durch die Black Power- und
Schwulenbewegung herbeigeführt wurden, haben alle Bereiche des amerikanischen
Lebens beeinflusst – einschließlich der Produktion und Rezeption
von Kunst. Seit den späten 60er Jahren haben politische/aktivistische
Forderungen nach Eingliederung das gleichzeitige Aufkommen von Kunstpraxis
und KunstpraktikerInnen inspiriert: Feministische Kunst und weibliche Künstlerinnen,
antirassistische Kunst und nicht-weiße Künstler, schwule Kunst
und "geoutete" homosexuelle KünstlerInnen. Der schlüpfrige
Begriff der Postmoderne, der benutzt wird, um den gegenwärtigen Zustand
zu beschreiben, könnte als genau diese politisch erzeugte Unterbrechung
des (hegemonialen) Diskurses traditioneller europäischer Ästhetik
definiert werden
Die Forderungen nach einer Anpassung an das eurozentrische Paradigma stießen in der Kunstwelt wie auch in anderen Bereichen der amerikanischen Gesellschaft auf Widerstand. Eine offene Form dieses Widerstandes, die in den frühen 80ern ihren Anfang nahm, zeigte sich im Wiederaufleben "maskuliner" Aussagen seitens einer bedeutenden Anzahl heterosexueller weißer männlicher Künstler. Bevor man den neuen (alten) ausschließenden Charakter der Arbeiten, und – trotz der selbsterklärten "Postmodernität" – den Umstand einer Rückwärtsbewegung zu traditioneller und Traditionen aufrecht erhaltender männlicher Überlegenheit anspricht, ist es notwendig, einige Aspekte der politischen Voreingenommenheit der amerikanischen Hochmoderne aufzuzeigen.(2) In der "neuen" Männlichkeit der Postmoderne der 80er und 90er Jahre bleibt der maskuline Imperativ der Hochmoderne bestehen. In der Tat ist es fast so, als ob die Kontrollcodes der gesellschaftlichen Vorherrschaft Amerikas, welche die 50er prägten, aber in der erfolgreichsten Kunst der Epoche sublimiert wurden, nun aggressiv und offen in der Verherrlichung des Kapitalismus, männlicher Hegemonie und des Eurozentrismus der sogenannten Postmoderne der frühen 80er Jahre wieder aufkommen,
I.
Implizite Botschaften von der normativen Kraft des Männlichen stehen
im Einklang mit dem kongruenten Beharren der Hochmoderne auf der Tatsache,
dass Form dem Inhalt vorzuziehen ist, und dass weiße männliche
Künstler jedem anderen vorzuziehen sind; obwohl die ausgrenzenden Verzweigungen
der Hochmoderne innerhalb ihrer Doktrin nicht ausdrücklich ausgesprochen
werden, weil sie so geschickt von ihr ausgehen und sie subsumieren. Während
ihrer Blüte in den 50er Jahren schienen sich die amerikanische modernistische
Kunst und Kritik in vielerlei Hinsicht über die Konvention hinwegzusetzen.
Das Festhalten an einigen zentralen Annahmen westlicher Tradition - d.h. der
Überlegenheit des Mannes - war schwierig wahrzunehmen, und die feministische
Kunstkritik hat sich normalerweise mit anderen Dingen beschäftigt. Die
revisionistischen Bemühungen der feministischen Kunstgeschichte und Kritik
drehen sich seit den 70er Jahren weitgehend um die notwendige Aufgabe, die
"verlorenen" Beiträge von Künstlerinnen wiederzugewinnen,
und die kontinuierlichen und unterschiedlichen Abwertungen des Frauenbildes
innerhalb des Kunstkontinuums des Westens theoretisch zu untersuchen. Weniger
Aufmerksamkeit wurde der kulturellen Produktion des angeblichen "Gegenteils"
der Weiblichkeit geschenkt: Der Männlichkeit. Doch die Konstruktion und
Aufrechterhaltung der männlichen Identität gemäß eines
im wesentlichen auf das männliche Supremat beschränkten Verständnisses
des Mannes als maßgebend und dominierend, war eine zentrale symbolische
Komponente der amerikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts und der europäischen
Tradition, aus welcher sie ebenfalls Aufladung erfährt.
Apologeten der Hochmoderne erklärten unverfroren ihre Absicht, durch
Formalismus und dem Vermeiden von Inhalt das zu bewahren, was Clement Greenberg
"die historische Essenz der Zivilisation" nennt. Bewahrung irgendeiner
Art ist per definitionem konservativ: Die Ziele der Hochmoderne waren die
Konservierung und unkritische Bewertung der europäischen, insbesondere
der "Pariser" Zivilisation. Der "Triumph" der amerikanischen
Moderne während der 50er Jahre war kein Angriff der Kolonie auf den Kolonisator:
der New Yorker Abstrakte Expressionismus wollte den Mantel der europäischen
Zivilisation aufnehmen, nicht ihn abwerfen. Der neue Revisionismus dieser
Periode seitens einiger Kunsthistoriker wie z.B. Serge Guilbaut und T.J. Clark,
die sich hinsichtlich vieler bestimmender und die Nachkriegsära charakterisierender
Kräfte als scharfsinnig erwiesen, kollaboriert immer noch mit dem Sexismus
der vorfeministischen Epoche.(3)
Reconstructing Modernism (1990) beispielsweise, eine Essaysammlung,
die von Guilbaut herausgegeben wurde, zeigt auf dem Titelblatt eine Cecil-Beaton-Fotografie
aus einer amerikanischen Vogue-Ausgabe von 1951. Dieses bekannte Bild zeigt
eine dünne weiße Frau in einem schwarzen trägerlosen, mit
einer pinken Schleife besetzten Satinkleid, stehend und den Blick abwendend,
vor einem großen, schwarz-pinken Jackson Pollock-Gemälde, Autumn
Rhythm (1951). Für Guilbaut und Clark stellt das Vogue-Foto eine
Krise der Intention, der Situation und des Gebrauchs für Pollock und
den Abstrakten Expressionismus dar. In seinem umfangreichen Essay über
Pollock, der in derselben Anthologie enthalten ist, behandelt Clark die Vogue-Fotos
ausführlich: Er ist gezwungen, sie zu erklären, sie zu verstehen,
sie zu hinterfragen, sie einzuordnen, sie zu dekonstruieren. Seine Hauptsorge
gilt der Frage, auf welche Weise diese "Modefotografien" einen "Missbrauch"
Pollocks darstellen, und ob dieser "Missbrauch" von "Kunst"
unvermeidlich ist. "Die Vogue-Fotografien sind wichtig", schreibt
er, "denn sie vergegenwärtigen – oder rufen in uns wach –
das deprimierendste Misstrauen, das wir hinsichtlich der modernen Kunst hegen
mögen: Den schlechten Traum der Moderne, wie ich es nenne."
Wie sich doch meine von Clarks Albträumen unterscheiden! Seine Sorge
ist, dass Pollock auf "das Modische" oder "das Dekorative"
reduziert wird. Für ihn sind die Fotografien "albtraumhaft",
weil "sie den Einfluss der kapitalistischen Kultur bezeugen, so wie diese
jede Arbeit gegen das Figurative ausmanövriert und es zu einem Aspekt
der eigenen Figuration macht." Erstaunlicherweise kann Clark, fixiert
auf die Frau/Figur im vorderen Teil von Pollocks Leinwand, sie dennoch nicht
sehen. Er akzeptiert, a priori wie es scheint, dass Pollock von den Vogue-Fotografien
"trivialisiert" wurde - ohne darüber nachzudenken, was ihm
gestattet, "das Triviale" so einfach zu definieren. Clark erachtet
es für selbstverständlich, dass Vogue, das Magazin und der Kontext,
in dem Beatons Fotografien zuerst erschienen, trivial ist. Und er setzt voraus,
dass blonde Frauen in trägerlosen Kleidern gleichermaßen Symbol
des Trivialen seien. Das entspricht überhaupt nicht dem, was ich sehe,
wenn ich die heute unbekannten Vogue-Fotografien betrachte: Ich sehe nicht
den Pollock, der durch die Frau zur Dekoration verkommt, ich sehe die Frau,
die schon durch ihre Position innerhalb der männlichen Vorherrschaft
zur Dekoration verdammt ist, und weiters durch das Bild wieder als dekoratives
Objekt bestätigt wird. Ich klage nicht den Bedeutungsverlust der Abstraktion
an, ich beklage, dass Clark und andere einem modernen Bild ernsthaftere Intention
und Absicht zusprechen, als sie es einer Frau zuschreiben - vielleicht besonders
einer dünnen blonden Frau in einem trägerlosen Schwarzen.(4) Die
"Krise", die die Vogue-Fotografien für einige zeitgenössischen
Kunsthistoriker darstellen, ist dieselbe Krise, die sie für Pollock und
Greenberg dargestellt haben müssen: Dass die "Kunst" ins Triviale
gezogen wurde, indem sie "verweiblicht" wurde. Pollocks Werk erschien
während der 50er und 60er Jahre in anderen Magazinen, aber es ist das
Frauenmagazin Vogue, das den Protest auslöst/auslöste. Irgendwie
scheint es so, dass für Clark die "Kunst" nicht verloren geht,
wenn Pollock – wie in unzähligen anderen Bildern aus dieser Zeit
– vor seiner eigenen Leinwand steht, im Gegensatz zu dem Umstand, dass
ein "Modell" den Platz des Künstlers einnimmt. Was ist es,
das bestimmt, dass das Life-Magazin und ein männlicher Körper gleichzusetzen
sind mit Kunst, das Vogue-Magazin und ein Frauenkörper hingegen die Kunst
in eine "Krise" versetzen, welche "den schlechten Traum der
Moderne" hervorruft?
II.
In einem seiner bekanntesten Essays setzt Greenberg Praktiker der formalistischen
Moderne, die mit einer elitären und exklusiven Tradition konform gehen,
mit den Verfechtern demokratischer Ideale gleich – und bezeichnet diejenigen
als "plebejisch" und "reaktionär", die die Kultur
von einer untergeordneten Position aus kritisieren: "Dann findet der
Plebejer zum ersten Mal Mut, seine Meinung offen auszusprechen. Am häufigsten
kann man diese Ablehnung gegenüber der Kultur finden, wo die Unzufriedenheit
mit der Gesellschaft eine reaktionäre Unzufriedenheit darstellt, die
sich in einer Erweckungsbewegung und im Puritanismus, und letztlich auch im
Faschismus ausdrückt."(5)
Greenberg, ein gebildeter weißer heterosexueller Mann im Mittelpunkt
der Ziele und des Publikums der (amerikanischen) Hochmoderne konnte nicht
vorhersehen, dass diese Marginalisierten - die "Plebejer", die Nicht-Weißen,
die Nicht-Männer - durch diesen Diskurs zu einer emanzipatorischen eher
als reaktionären Kritik der Avantgarde gelangen könnten.(6) Greenbergs
"Avantgarde" versetzte die Vereinigten Staaten und seine weißen
männlichen Kunstpraktiker in neue Höhen des kulturellen Imperialismus
und individualisierte wirtschaftlichen und beruflichen Erfolg; außerdem
hielt sie an ihrem Programm der essentialisierten Zivilisation treu fest.
Weder suchte sie, noch verursachte sie irgendeinen Bruch mit der aus Europa
stammenden kulturellen Hegemonie, außer dass sie das Zentrum zur amerikanischen
Seite des Atlantiks neigte. Während der 50er und 60er Jahre wurden diejenigen,
die versuchten, die Kunstproduktion von außerhalb des heterosexuellen
männlichen, euro-amerikanischen, urbanen Zentrums - Frauen, Nicht-Weiße,
schwule Männer - zu betreten, entweder gehindert, daran teilzuhaben,
oder dazu gezwungen, den Unterschied zu verleugnen und sich anzupassen. In
seinem Versuch, zu erklären, warum einige homosexuelle männliche
Künstler, die sich mit "Pop" identifizierten, die heterosexuellen
männlichen Abstrakten Expressionisten in den Schatten stellten und die
Bildende Kunst während der repressiven späten 50er und frühen
60er Jahren dominierten, deutet Jonathan Katz an, dass Robert Rauschenberg
und Jasper Johns wegen ihrer "closet"-Tradition als schwule Männer
eine äußerst günstige Position innehatten, um sich an die
Politik des Containment zum Höhepunkt des Kalten Krieges anzupassen,
und dass sie bereits als "organizational men" eingeordnet worden
waren, die "innerhalb der Bedingungen des nationalen Konsens so arbeiten
[konnten], wie sie es ihr ganzes Leben lang getan haben." Und wenn homosexuelle
Codes und persönliche homosexuelle Erfahrung die Popart beeinflussten
und in ihr sogar sichtbar wurden, wie Katz beobachtet, "bedeutet diese
schwule Stimme zu identifizieren natürlich auch, sich selbst zu identifizieren,
besonders im Kontext der 50er Jahre. So ist es gleichzeitig nicht überraschend,
dass homosexuelle Inhalte der Kunst es selten in die Presse schafften."(7)
Ähnlich versuchten Künstlerinnen, deren politischer Status nicht
so einfach undurchsichtig gemacht werden konnte, immer noch "männliche"
Künstler zu sein: Wie ihre Vorgängerinnen in der Literatur des vorherigen
Jahrhunderts versuchten viele, die öffentliche Wahrnehmung ihres Geschlechts
zu ändern, indem sie ihre feminin-gekennzeichneten Vornamen loswurden
oder änderten. So unterschrieben Lee Krasner und Elaine De Kooning in
den 50er und frühen 60er Jahren ihre Werke nur mit ihren Initialen, Grace
Hartigan nahm aus beruflichen Gründen kurzerhand "George" als
Vornamen an, und Elaine Sturtevant begann unter dem bloßen Namen "Sturtevant"
zu arbeiten und tut dies auch weiterhin. Amerikanische Künstlerinnen,
die während der Jahrzehnte zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Feministischen
Bewegung der 70er Jahre aktiv waren, wandten bei ihrem Versuch, als Künstler
und nicht als Frauen akzeptiert zu werden, vielerlei Strategien an –
denn eine Frau zu sein, schloss per definitionem aus, dass man Künstler
war. Die Bevorzugung des Maskulinen, die die kritische und historische Interpretation
der Pop-Art Bewegung durchdringt, herrscht in zwei neuen Museumsausstellungen,
die dieser Bewegung gewidmet sind, immer noch vor: "Pop Art: An International
Perspective" (1991, The Royal Academy of Arts, London) und "Hand
Painted Pop: American Art in Transition 1955-1962" (eröffnet im
Jahr1993 vom Museum of Contemporary Art, Los Angeles). Co-Kuratorin Donna
DeSalvo gibt in ihrem Katalog-Essay der Ausstellung in Los Angeles zu, dass
KünstlerInnen, die nicht in einer der beiden letzten größeren
Ausstellungen enthalten sind "wie z.B. Martha Edelheit, Lettie Eisenhower,
Roslyn Drexler, Niki de Saint-Phalle und Marjorie Strider, von den meisten
Studien der Zeit ausgeschlossen worden sind." (8) Zu anderen aktiven
(weiblichen) KünstlerInnen, die ebenso ausgeschlossen wurden, zählen
Lee Bontecou, Carolee Schneemann und Elaine Sturtevant. Künstlerinnen
sehen sich nicht nur vor unterschiedliche und auch emphatischere Karrierehindernisse
gestellt als ihre männlichen Pendants, sie werden auch viel eher aus
der Geschichte herausgeschrieben, auch wenn sie (angeblich) erfolgreich sind.
Aber dieses andauernde Ausradieren ist angesichts des eklatanten Sexismus,
der die Kunstrezeption durchdringt, nicht überraschend. In einem Text
über die 70er Jahre bemerkt Lucy Lippard: "Wenn jemand zu einem
sagte, 'Du malst wie ein Mann', so sollte man darüber glücklich
sein, und man war es auch, denn man wusste, dass man wenigstens neutrale Kunst
machte, anstatt - Gott bewahre - feminine Kunst."(9)
Der Ausdruck "neutrale Kunst" drückt kurz und bündig
die Erfordernisse und den Mythos der Hochmoderne aus, die nach einer Kunst
verlangt, die hermetisch versiegelt ist: Eine Kunst, die getrennt von ihrer
sozialen und politischen Umgebung existiert, und die nur sich selbst und ihrer
"Neutralität" gewidmet ist. Natürlich war und ist die
"neutrale" Kunst des New Yorker Abstrakten Expressionismus, die
zuerst von Greenberg verfochten wurde, nicht "neutral". Wie die
konzeptualisierte "Objektivität" der kontinentalen Philosophie
und Wissenschaft, auf der diese basieren, ist die Hochmoderne nicht "neutral":
Sie ist nationalen, rassischen und geschlechtlichen Prinzipien unterworfen.
Was auch immer die Bedeutung der abstrakten Kunst für die Zerstörung
der Vorliebe der Bildenden Künste für –ismen, was auch immer
ihre "Schönheit", was auch immer ihre Absichten und Affekte
ausmacht: Die Genesis des Formalismus und die Fortführung der Tradition
kann nicht von der Verherrlichung des Nationalismus und der sozio-politischen
Formation als weißen, männlichen amerikanischen "Triumph"
losgelöst betrachtet werden. (10)
Der "Wert", welcher der amerikanischen Abstraktion zugeschrieben
wurde und immer noch wird, kann in keiner Weise als verschieden von den kulturellen
Werten betrachtet werden, die während jener Epoche, die den "Triumph"
der Bewegung ermöglichte, hochgehalten wurden. Die Kunstobjekte, die
Bilder, als unterschiedliche, isolierbare kulturelle Phänomene zu betrachten,
ist gänzlich fadenscheinig: Die kulturelle Bewertung von Kunst ist immer
zu sehr von den kategorischen Direktiven bestimmt, die durch die Produktionsstätten
und die soziale Stellung des Erzeugers auferlegt wurden. Jackson Pollocks
Bilder können z.B. nicht als verschieden von jenen Attributen betrachtet
werden, die Pollock, dem heterosexuellen, weißen Mann, zugeschrieben
wurden, und die es Greenberg erlaubten, ihn zum "größten amerikanischen
Maler des 20. Jahrhunderts" zu erklären, und die es anderen erlaubten,
dieser Beurteilung beizupflichten und diese (weiterhin) aufrechtzuerhalten.
Pollocks Freund Bill Hopkins merkt in einer kürzlich erschienenen Biographie
des Künstlers an: "Er war der große amerikanische Maler. Wenn
man sich so eine Person vorstellt, muss er zunächst ein echter Amerikaner
sein, nicht ein verpflanzter Europäer. Und er sollte die großen
amerikanischen Macho-Tugenden haben - er sollte ein wilder Amerikaner sein
- wortkarg im Idealfall, und wenn er ein Cowboy ist, umso besser."(11)
Es hat sich am Profil des amerikanischen Künstlers nicht viel verändert:
Mit wenigen Ausnahmen sind die Erfolgreichen und diejenigen, denen der Erfolg
am leichtesten zufällt, immer noch weiße Männer.(12) Im Werk
unzähliger Künstler der zeitgenössischen New Yorker Kunstszene
ist eine Form der Rache am sozio-politischen Bruch der heterosexuellen, weißen
männlichen Zentralität erkennbar. Eine sichtbare oder ikonografische
Behauptung der Männlichkeit war kein notwendiges Merkmal des Formalismus,
weil das Privileg der heterosexuellen, weißen Männer in der "Objektivität"
der Hochmoderne enthalten war, und der gesetzliche, Bildungs- und gesellschaftliche
Apparat der Vereinigten Staaten den Eintritt anderer effektiv unterband, und
deren Erfolg verhinderte.
Innerhalb eines Prozesses, der in den 70er Jahren begann und bis in die 80er
Jahre weiterreichte, hat die Kunst offen Kritik an der Hochmoderne geübt,
und man begann von außerhalb der historisch gewürdigten Klasse,
soziale Unterschiede anzusprechen. Obwohl dies natürlich nicht das erste
Mal war, dass Frauen, Nicht-Weiße oder Homosexuelle "Kunst machten",
begrüßte man in diesem Jahrzehnt innerhalb der Kunstkritik und
einiger Museumsinstitutionen bereitwillig den gesellschaftlichen Wert, der
in der Kritik am Eurozentrismus, an männlicher Vorherrschaft und obligatorischer
Heterosexualität enthalten war.
Seit den frühen 80er Jahren konnten weiße, heterosexuelle Männer
erstmalig in der euro-amerikanischen Geschichte nicht selbstverständlich
erwarten, die gesamte Kontrolle über alle materiellen Ressourcen inne
zu haben. Nach ein paar tausend Jahren nahezu absoluter Rechte auf Besitz,
Erziehung, Geld, Jobs, Prestige, Regierungskontrolle und kultureller Produktion,
wie sie durch die Gesetze und Gepflogenheiten der europäischen Tradition
definiert und institutionalisiert werden, riefen die materiellen Auswirkungen
der Black-Power-Bewegung, der Frauenbewegung und der Schwulenbewegung psychologische
Ängste unter denjenigen hervor, die zuvor nahezu absolute Privilegien
genießen konnten: Heterosexuelle, weiße Männer. Die Kunstszene
in den Vereinigten Staaten wurde nicht nur am Rande durch die AktivistInnen-Bewegung
beeinflusst, die in den 50er Jahren langsam entstand, und ab Mitte der 60er
bis in die späten 70er Jahre hinein zur dominierenden Kraft werden sollte.
Obwohl die Bürgerrechts- und die Black-Power-Bewegung, die Anti-Vietnamkriegs-Kampagnen
und die Mobilisierungsanstrengungen für die Rechte der Homosexuellen
weiterhin die amerikanische Kunst seit den 70er Jahren beeinflussten, hatte
die Frauenbewegung den unmittelbarsten Einfluss, weil sie im Unterschied zu
anderen politischen Mobilisierungen eine unmittelbare, visuelle Kunstbewegung
hervorrief. Als Ausbruch gegen die vorherrschende Ästhetik der Spätmoderne,
wie sie zum Beispiel im Minimalismus enthalten ist, führte die feministische
Kunstbewegung radikale anti-modernistische Konzepte ein, wie z.B. die Ablehnung
des Formalismus, ein Eintreten für Inhalt, für Autobiografie, eine
Ablehnung der Bildenden Künste/Handwerk-Hierarchie, und - vielleicht
als radikalste Spielart – eine Anerkennung weiblicher Erfahrung als
einen lebensfähigen und notwendigen Gegenstand der Kunst.
Der um sich greifende Einfluss der feministischen Kunstbewegung in den Vereinigten
Staaten, die Tausende TeilnehmerInnen, Hunderte von Organisationen, Dutzende
Publikationen und mindestens zwei (inzwischen überholte) Bildungsinstitutionen
mit einschließt, muss formell immer noch entweder durch die akademischen
oder Museumsapparate anerkannt werden (beides, sowohl eine historische Darstellung
wie auch eine Überblicksausstellung lassen auf sich warten). Aber die
Auswirkung der Bewegung wird im Erfolg von Künstlerinnen, die vom Feminismus
beeinflusst sind, offenbar, wie z.B. Barbara Kruger, Jenny Holzer, Sherrie
Levine und Cindy Sherman, die den ideologischen sowie strukturellen Veränderungen,
die durch die feministische Kunstbewegung der 70er Jahre herbeigeführt
wurden, sehr verbunden sind. Das Erbe der Bewegung wird im Werk von jüngeren
Künstlerinnen wie z.B. Janine Antoni, Kiki Smith und Sue Williams fortgeführt.
Aber es prägt auch die Produktion und Rezeption von unzähligen anderen
zeitgenössischen Künstlern – nicht etwa, weil sie die Einsichten
des Feminismus verfechten, sondern weil sie diesen entgegen arbeiten.
III.
Jeff Koons, der von einem Londoner Kritiker mit dem Beinamen "Amerikas
erster Bad-Boy-Künstler" belegt wurde, gehörte zur divergenten
Gruppe der "Bad Boys", die in der amerikanischen Kunstszene der
80er Jahre auftauchte. "Bad Boys" sind nicht länger abstrakte
Expressionisten/abstrakte Maler (Ross Bleckner und Carroll Dunham sind z.B.
die "Good Boys" der 80er), sondern immer anti-intellektuell und
bevorzugen eine "In Yer Face"-Ästhetik, ähnlich wie die,
die von dem Jungen in einem Norman Rockwell-Bild angewandt wurde, der spitzbübisch
einen Frosch unter die Nase eines Mädchens schiebt. Daher der falsche
und gefährliche Begriff "Bad Boy". Koons war vielleicht der
kommerziell erfolgreichste New Yorker Künstler; unter seinen ersten ausgestellten
Bildern befinden sich aufblasbare Plastikblumen, Staubsauger, die in Plexiglas-Boxen
versiegelt sind, und appropriierte Anzeigen. Der konsequenteste und interessanteste
Aspekt seiner Arbeit war der Versuch, den "Geschmack" der Hochmoderne
anzugreifen und zu untergraben. Koons griff sich routiniert profane Gebrauchsgegenstände,
z. B. Staubsauger, Basketbälle und Dinge Greenberg'schen "Kitschs"
wie Plastik-Häschen und billige Straßenrand-Souvenirs, und verkaufte
diese erfolgreich dem Kunstwelt-Kontinuum – obwohl der vorgeschobene
Witz über den Kapitalismus, über Warenfetischismus an sich ein Witz
ist: Die Erfahrung des Künstlers als Börsenmakler prägte erfolgreich
seine Marketingstrategien. Obwohl sie als Produkt eines "Rebellen"
verpackt und verkauft wird, trägt Koons' Arbeit nichts dazu bei, mit
der dominanten Ästhetik der heterosexuellen, weißen männlichen
Zentralität zu brechen. In der Tat bestätigt sie diese aufs neue.
In den späten 80er Jahren verlegte Koons sein Interesse auf Hyperkommodifikation
– weg von ausschließlich leblosen Objekten. Die Skulptur Naked
aus dem Jahre 1988, die zwei weiße Kinder zeigt, stellte einen Wendepunkt
dar, der sein künstlerisches Schaffen der nächsten fünf Jahre
beeinflussen würde. Koons beschrieb Naked folgendermaßen: "Der
Junge und das Mädchen sind wie Adam und Eva, allzu sentimental, sie stehen
auf einem geblümten Herz."(13) Das Werk wurde zuerst gemeinsam mit
zwanzig kitsch-inspirierten Skulpturen ausgestellt, die teilweise auch biblische
Referenzen aufweisen, Schlangen beispielsweise, auch Johannes der Täufer
kommt vor. Naked beschwört die jüdisch-christliche Bestimmtheit
der weiblichen Unterdrückung, die durch den Mythos von Adam und Eva geprägt
worden ist. Im Buch Genesis existiert der Mann vor der Frau, und die Frau
ist in der Tat ein Parasit, der aus der männlichen Rippe geschaffen wird.
Die Genesis stellt auch jenen Primärtext der westlichen Welt dar, der
die Frau als böse darstellt: Eva ist die erste Häretikern, Lügnerin
und Sünderin, und wegen ihres Ungehorsams verdienen alle ihre weiblichen
Nachkommen eine gerechte Strafe, die sie auch bekommen werden. Nachdem Eva
ein Stück der (verbotenen) Frucht isst, "... sprach Gott [zur Frau]:
Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. Unter Schmerzen
gebierst du Kinder. Du hast Verlangen nach deinem Mann; er aber wird über
dich herrschen." (Genesis 3, (16)). Das Buch Genesis schreibt der Frau/den
Frauen die Verantwortung für ihre Unterdrückung zu, bestimmt sie
dazu, heterosexuell zu sein, schreibt Sexualverkehr ausschließlich zu
reproduktiven Zwecken als normativen Sex vor, und bestimmt den Mann als rechtmäßigen
Herrscher über die Frau. Koons' Naked zeigt - als "treugläubige"
Illustration der jüdisch-christlichen Tradition - zwei weiße Kinder,
die durch die Genitalien als männlich und weiblich gekennzeichnet sind,
Einschreibungen des Weiß-Seins und der Heterosexualität. Die "Sentimentalität",
derer sich Koons bewusst ist, ist eine Unschuldsphantasie, die gemäß
der mythischen Voraussetzungen des Euro-Patriarchats romantisiert wird.
Nur wenige historisch derart bedeutende Texte in der Geschichte der westlichen
Welt zeigen dieselbe Frauenverachtung wie das Erste Buch des Alten Testaments.
Koons ist offensichtlich fasziniert von Adams und Evas Geschichte: Seit 1988
zeigt er in seinen Arbeiten, die oft den nackten Körper seiner Frau Ilona
Staller zur Schau stellen, diese Erzählung wieder und wieder. Und vielleicht
ist der Wunsch des Künstlers, "zum Garten Eden zurückzukehren",
eine Reise mit weniger historischer Distanz, als es der Ort seines Interesses
auf den ersten Blick suggeriert. Vielleicht liegt für Koons und andere
heterosexuelle, weiße amerikanische Männer "der Garten Eden"
in den 50er Jahren, als sie - wie der biblische Adam - unangefochten herrschten.
In den Jahren 1988-89 veröffentlichte Koons eine Reihe von Anzeigen in
vier Kunstmagazinen. In der ersten, die in Flash Art veröffentlicht wurde,
ist sein Kopf zwischen zwei Schweinen zu sehen. Im amerikanischen Slang (und
Bewusstsein) nimmt das Wort "Schwein" einen besonderen Platz ein:
Als abfälliger Begriff für ein Mitglied der Polizei und/oder allgemeiner,
für eine bigotte Person, wie in "männliches Chauvinistenschwein".
Koons erklärte einem Kritiker: "Ich wollte mich erniedrigen und
mich selbst ein Schwein nennen, bevor mein Publikum eine Chance dazu hatte."(14)
In der Arts-Anzeige sitzt Koons, bekleidet mit in einer mit einem Emblem versehenen
Robe, zwischen zwei Seehunden vor einer Hütte; im Unterschied zu den
Schweinen im vorherigen Bild sind die Seehunde nicht gleichgestellt, sondern
visuell untergeordnet. Zentral im Bild postiert, wird Koons als "Herr"
konstruiert, vielleicht als König eines tropischen Paradieses; die Seehunde
sind der Ersatz für (schwarze) Sklaven. In der Artforum-Anzeige
zeigt sich Koons in einer weiteren Machtposition, nämlich als Lehrer.
Er steht in einer Klasse, die aus weißen Schülern besteht, vor
einer Tafel, die einen Greenberg-artigen Spottaphorismus verkündet: "Beutet
die Massen aus/Banalität als Erlöser."(15) In der vierten Anzeige
in Art in America sind Frauen neben Tieren und Kindern eine weitere
Klasse, die von Koons unterjocht wird. Koons ist ganz in ein schwarzes Künstleroutfit
gekleidet, zwei Frauen sind an (bzw. aus-) gezogen in Bikinis zu sehen. Eine
Frau sitzt, ihre Beine geöffnet, auf dem Boden, ihre linke Hand hält
den offenen Mund eines Miniaturpferdes, dessen Kopf sich vor Koons' Unterleib
befindet. Eine zweite Frau bietet Koons einen Kuchen an. Diese Phantasie findet
- wie viele von Koons szenischen Werken - in einem natürlichen Setting
im Freien statt, in seinem "Garten Eden", dem mythischen Ort, wo
Gott den Mann zum Herrn über die Frau machte. Koons bestätigt ferner
die europäisch-christliche Mythologie, indem er die "ersten Menschen"
als Weiße darstellt.
1990 begann Koons, auf Fotos basierende Bilder sowie unzählige Skulpturen
von sich und seiner Frau beim sexuellen Akt auszustellen. Wenig überzeugend
erschien dennoch der Vorschlag, Pornographie einfach als weiteren Zusatz zu
Koons' Repertoire des hypertrophierten Kitsches aufzufassen. Carter Ratcliff
sagt z.B., dass Koons "die eintönigsten Allgemeingültigkeiten
des banalen Geschmacks und der pornographischen Sexualität, einschließlich
des Klischees der unersättlichen Kind-Frau mit haarloser Scham"
bestätigt.(16) Diese Aufhebung, selbst banal, verneint die Funktionen,
welche die Konventionen der Pornographie innehaben, völlig, um ein sexualisiertes
Klassensystem aufrechtzuerhalten: Die ideologischen Komponenten, die z.B.
durch "das Klischee der unersättlichen Kind-Frau mit haarloser Scham"
aktiviert werden, normalisieren sexualisierte Gewalt: Der Kinder, indem die
Machtlosigkeit als Bewusstsein mystifiziert und miss-interpretiert wird ("Lolita"
oder "Kind-Frau"); der Frauen, indem männliche Gewalt durch
weibliches Begehren ersetzt wird (sie ist "unersättlich").
Die pornographischen Bilder und Skulpturen, die Koons auf der Aperto in Venedig
1990 und in der Sonnabend Gallery 1991 ausgestellt hat, sind mit an der Erneuerung
und Bestätigung der Erzählung von der Wertschätzung des heterosexuellen,
weißen Mannes beteiligt, die auf dem "ursprünglichen"
Text der weiblichen Unterdrückung fußt. Koons hat wiederholt gesagt,
"Ilona und ich sind die zeitgenössischen Repräsentanten von
Adam und Eva". Interessanterweise hat sich Koons selbst als Adam dargestellt,
als dieser noch in Gottes Gnade stand, während Staller visuell als eine
"gefallene" Eva konstruiert wurde. Gemäß dem Buch Genesis
ziehen sich Adam und Eva aus Scham "nach dem Fall" an. Aber bei
Koons erscheint dieser nackt (nicht schuldig), während Staller stets
halbgekleidet ist, fetischisiert in Spitze, hochhackigen Schuhen und starkem
Make-up (schuldig). Das Werk visualisiert und beteuert buchstäblich zweierlei:
Dass Koons ein "heterosexueller, weißer Mann" ist, und dass
er aufgrund dieser Tatsache berechtigt ist, Frauen (sexuell) zu besitzen und
den Künstlerstatus innezuhaben.
Irgendwann im Jahre 1989 kündigte Koons seine Pläne für einen
Film mit dem Titel Made In Heaven an, der ihn beim Ficken/Vergewaltigen/Vögeln
seiner Frau zeigen würde – oder welche anderen transitiven Verben
durch den zeitgenössischen Gebrauch des Begriffs "Pornographie"
seitens eines heterosexuellen Mannes impliziert werden. Der Titel des Films,
und Koons kommentiert ihn, platzieren diesen Mann – wie auch Naked
– innerhalb des sentimentalisierten und symbolischen Ortes der Genesis,
gemeinsam mit Adam und Eva. Während er sich selbst als "Adam"
und seine Frau als "Eva" bezeichnet, suggeriert der Filmtitel auch,
dass wir Koons als "Gott" akzeptieren sollten – so, wie auch
seine Anzeigen suggerieren, ihn als "König" und "Lehrer"
zu akzeptieren - auch wenn wir wissen, dass er ein "Schwein" ist.
Man kann auch davon ausgehen, dass Koons aus seiner (dominanten) Position
die er als heterosexueller, weißer Mann innehat, für sich selbst
spricht, wenn er zu Made in Heaven beteuert: "Es gibt überhaupt
keine Grenzen in der Welt, und das ist eines der Dinge, die der Film vermittelt."
Wessen Welt? ist die Frage, auf die er nicht eingeht. Besteht nicht die Möglichkeit,
dass Koons' Bedürfnis, seine "heterosexuelle, weiße Männlichkeit"
zu bekräftigen, als Reaktion auf die Bedrohung seiner vorherigen historischen
Zentralität, durch nicht-heterosexuelle, nicht-weiße Männer
ausgeht, aufzufassen ist?
Auf der Biennale von Venedig 1990, wo der Koons in der Aperto ausstellte,
gelang es ihm – auch mit der Unterstützung von Staller –
jener Künstlerin die Schau zu stehlen, die für den prestigeträchtigeren
amerikanischen Pavillon ausgewählt wurde. Die Vogue merkte an: "Auf
der Biennale, wo Jenny Holzer die Vereinigten Staaten repräsentierte
und den Preis für den 'besten Pavillon' gewann, drehten sich alle Gespräche
um Koons."(17) Wer beteiligte sich an all diesen Gesprächen? Vielleicht
eine Kunstwelt, die sich immer noch den patriarchalischen Werten verpflichtet
fühlt, die Holzer und andere in Frage zu stellen begannen, die aber Koons
wieder bestätigt; so dass, selbst wenn Holzer "den Preis gewinnt",
die Gespräche sich immer noch "nur um Koons" drehen. Dass Koons
die erste Frau, die dazu erwählt wurde, die Vereinigten Staaten in Venedig
zu repräsentieren, in den Schatten stellen konnte, und dies in vielerlei
Hinsicht auch tat, ist ein Beispiel des maskulinen Imperativs: Wie Kunst,
die von einem Mann geschaffen wurde, als wertvoller erachtet wird, als die
Kunst einer Frau, und dies aufgrund der kulturellen Annahme, dass Männer
wertvoller seien als Frauen. Natürlich wurde und wird immer noch die
Bewertung von Kunst zu gleichen Teilen davon bestimmt, wer die Kunst produziert,
wie auch davon, was diese Kunst zu sein vermag. Sogar prestigeträchtige
Preise wie z.B. der Grosse Preis von Venedig, steigern nicht die Beiträge
der ausgezeichneten Frauen (oder Nicht-Weißen) in ihrem Wert, sondern
mindern eher den "Wert" des Preises (bis ein anderer weißer
Mann ihn verliehen bekommt). Wenn Koons der einzige Künstler wäre,
der daran beteiligt ist, eine Kunst weißer männlicher Vorherrschaft
zu reaktivieren, dann wäre es möglich, seine individualisierten
psychischen Bedürfnisse von denen eines allgemeineren kulturellen Apparats
zu isolieren. Er ist aber nicht der einzige. Seit Mitte der 80er Jahre, während
jener Zeit, als eine Anzahl amerikanischer Künstlerinnen begann, die
institutionellen Lorbeeren des "Super-Star"-Status zu ernten, gab
es eine Gegenreaktion von sichtlich frauenfeindlicher Kunst, die in New York
produziert und ausgestellt wurde, und die von den prestigeträchtigsten
Sammlern, Galerien und Museen unterstützt wurde. Im Prinzip hatte sich
eine Gegenbewegung zum Feminismus und zur feministischen Kunstbewegung der
70er Jahre schon seit dem Anfang der 80er Jahre fest etabliert, als der Neo-Expressionismus
New Yorks Kritiker- und Finanzmärkte bestimmte, der von Künstlern
wie z.B. Eric Fischl und David Salle getragen wurde, die die Traditionen des
19. Jahrhunderts wieder aufleben ließen und weibliche Nacktheit objektivierten,
und Julian Schnabel und Ross Bleckner, die die gestische Grandiosität
des Expressionismus und die damit verbundene Idee reiner Männlichkeit
wieder einführten. Aber der konsequenteste Ausdruck des radikalsten Sexismus,
der seine phallische Fratze während der 80er Jahre zeigte, fand sich
in der Kunst des Richard Prince.
Wie Koons begann auch Prince seine New Yorker Karriere in den frühen
80er Jahren mit Ausstellungen von Anzeigen und anderen "abfotografierten"
Bildern aus Magazinen. 1988 zeigte er zum ersten Mal Malerei. Wie Gary Indiana
damals anmerkte, "weisen [die großen monochromen Leinwände]
auf die hohen spirituellen Ambitionen des Abstrakten Expressionismus hin –
auf das, was Amerikas ästhetisches Establishment genannt werden könnte"(18),
und was Amerikas ausschließlich männlicher Kunst-Club genannt werden
kann. Die ersten Joke-Bilder beinhalteten Text; später enthielten
sie Comic-Zeichnungen, meist aus den 50ern, aus dem Jahrzehnt des amerikanischen
männlichen modernistischen "Garten Eden", als Männer noch
Männer waren, Frauen deren Untertanen und der amerikanische Abstrakte
Expressionismus unangefochten herrschte. Die Textelemente der Joke-Bilder,
die Prince immer noch herstellt, bieten unzählige Referenzen, beispielsweise
sprechende Tiere, den Vietnamkrieg, Vertreter, Psychologen. Das Thema, das
sich jedoch am beharrlichsten durch die Serie zieht, ist der Sexismus: Die
Vervollständigung von Princes Jokes hängt von der Komplizenschaft
des/der Betrachter/in ab, und von dessen/deren Sympathie mit der sozialen/sexuellen
Ordnung, die im Text konstruiert wurde.
Vier typische neue Bilder der Joke-Serie von Prince, die in der "Metropolis"-Ausstellung
in Berlin im Jahre 1991 gezeigt wurden, reproduzieren eine Erzählung
von weißer männlicher Vorherrschaft und weiblicher Unterordnung.
Die Siebdruckbilder auf jeder Leinwand - obwohl verschieden gestaltet - zeigen
die Zeichnung eines heimischen Interieurs, dem gegenübergestellt sind
Bilder weißer männlicher Boxer. Der weiße, männliche
Athlet ist, mit seinen Handschuhen angetan, kämpfend im Ring dargestellt.
Sein Kampf - gemäß der visuellen und verbalen Syntax dieser Leinwände
- ist ein Kampf mit dem Heim, und "der Frau", obwohl er auch kämpfen
könnte, um "in den Ring zurückzukehren", um die "große
weiße Hoffnung" zu werden. Amerikanisches Boxen war ursprünglich
ein ausschließlich von weißen Männern ausgeübter Sport,
dann ein nach Rassen segregierter, ausschließlich männlicher Sport,
und wurde seit 1959 erfolgreich von schwarzen Männern dominiert, nachdem
der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten das auf rassischen Grundlagen
basierende Verbot für verfassungswidrig erklärte.
In "Good Revolution" (1991) dominiert Princes weißer, männlicher
Boxer heroisch die Leinwand: Er steht im Zentrum und nimmt den meisten Platz
ein. Das "Heim"-Interieur mit zwei Betten und ein bisschen Küche
nimmt nur wenig Platz ein. Es ist, in der Tat, "hinter" dem Boxer
zu sehen, der im Vordergrund steht. Im Text steht: "Wissen Sie, was es
bedeutet, nachts zu einer Frau nach Hause zu kommen, die Ihnen ein bisschen
Liebe, ein bisschen Zuneigung, ein bisschen Zärtlichkeit gibt? Es bedeutet,
dass Sie im falschen Haus sind, das ist es, was es bedeutet." Der Text,
den Prince oft zuvor benutzt hatte, der Titel "Good Revolution"
und die visuelle Dominierung des "Heims", des "Zuhauses"
durch den Boxer suggerieren eine Bestätigung des männlichen Vorrechts.
Es schreibt der Frau ihren Platz im "Zuhause" und ihre Beschäftigung
zu, die aus "Geben" besteht, und affirmiert, dass die Arbeit der
Frauen weiterhin - wie es in der Geschichte fast immer gewesen ist - unbezahlt,
umsonst, ein (gesetzlich und gesellschaftlich gestütztes) "Geschenk"
ist. Die Beherrschung des Heims durch den Boxer wird als Antwort auf die männliche
Wut konstruiert, die sich im Text ausdrückt: Die "gute Revolution"
des Titels ist die Hoffnung, dass Männer ihre Macht über Frauen
zurückgewinnen werden, und wird durch die visuelle Ikonografie gleichsam
heraufbeschworen. Es handelt sich hier auch um eine Hoffnung, deren Logik
auf einer soziologischen Illusion aufbaut: Immer noch dominieren Männer
die Frauen – zu Hause und auch anderswo, so wie auch weiße Männer
immer noch schwarze Männer dominieren, auch wenn es die schwarzen Männer
sind, die nun die Boxwelt beherrschen.
In Sampling the Chocolate (1991) zeigt sich die visuelle Konstruktion
ähnlich: Drei unterschiedliche Bildausschnitte von weißen, männlichen
Boxern werden Zeichnungen eines Interieurs und einer Stadtlandschaft gegenübergestellt.
Der Text am unteren Bildrand sagt: "GUTE NACHRICHTEN UND SCHLECHTE NACHRICHTEN:
Ein Mann ging in eine Arztpraxis, um sich untersuchen zu lassen. Nach der
Untersuchung sagte der Arzt zu dem Mann, Ich habe eine gute und eine schlechte
Nachricht für Sie. Die schlechte Nachricht ist, Sie werden innerhalb
des nächsten Jahres sterben, und es gibt nichts, was Sie dagegen tun
können. Die gute Nachricht ist, ich habe eine Affäre mit meiner
Sekretärin." Hier scheint der "Witz" der Bruch zwischen
den beiden Nachrichten des Arztes zu sein – dass die "gute"
Nachricht keine Bedeutung für den "sterbenden" Mann hat. Jedoch
wird hier aus einer männlichen Suprematsstellung das disjunktive Element
perpetuiert: Während ein Mann sterben wird ("schlecht" für
die männliche Klasse, die die Macht inne hat), bewahrt ein anderer, lebendig,
die männliche Machtstellung durch wirtschaftliche und sexuelle Unterdrückung
von "meiner Sekretärin".
In Why Did the Nazi Cross the Road? (1991) nehmen die Zeichnungen
des Heims den größten Raum ein, der Boxer bewegt sich zur rechten
Seite hin aus dem Bild. Im Text steht: "Ein Mann ging mit seinem einheimischen
Führer auf Safari-Tour. Sie trafen auf eine schöne Blonde, die nackt
in einem Bach badete. 'Mein Gott, wer ist das?' fragte der Mann. 'Tochter
des Missionars, Bwana,' kam als Antwort. 'Ich habe schon so lange keine weiße
Frau gesehen', seufzte der Mann, 'so dass ich alles geben würde, sie
zu essen [Wortspiel im Englischen: "to eat" ist zweideutig, einerseits
wird auf die wörtliche Bedeutung angespielt, andererseits hat das Wort
eine sexuelle Konnotation, Anm. d. Übers.]. Und so hob der Führer
sein Gewehr an seine Schulter und erschoss sie." Die rassistischen Implikationen
sind offenkundig: Die Frau wird erschossen, weil der "Eingeborene"
ein Kannibale ist, und der Kannibale nimmt an, dass der weiße Mann sie
im wörtlichen Sinn "essen" will. Und vielleicht muss die Frau
umgebracht werden, weil der Wunsch des weißen Mannes "sie zu essen",
nicht mit dem patriarchalischen System der weiblichen sexuellen Unterordnung
einher geht, das fordert, dass der Mann sie fickt/vergewaltigt, sie durch
sexuelle Gewalt und/oder durch das daraus resultierende Kinderkriegen unterordnet.
Natürlich behauptet Prince wahrscheinlich, dass er nicht meint, was er
sagt: Ein konsequentes Merkmal der New Yorker Bad Boy/White Boy-Kunst nach
1980 ist, dass sie oft versucht, sich als Ironie oder "Kritik" zu
geben. Man beginnt sich aber zu fragen, warum amerikanische Kunst, die kommerziell
sowie bei den Kritikern erfolgreich ist, so viel sogenannte Ironie einsetzt
und so wenig Kritik.(19) Koons und Prince beispielsweise wurden gewöhnlich
als "Spiegelbilder" der dominierenden und reaktionären kulturellen
Werte gesehen, besonders der männlichen Vorherrschaft (und nicht als
Künstler, die diese bestätigen). Aber etwas widerzuspiegeln ist
natürlich eine reproduktive Strategie. Obwohl Princes Arbeit, wie die
von Koons, „vornehme“ Standards angreifen mag, greift dennoch
keiner der beiden Künstler die Grundvoraussetzungen an, die in der zeitgenössischen
amerikanischen Gesellschaft Bedeutung produzieren und weiterhin bestimmen:
Geld, Klasse, Männlichkeit und ein aus Europa abgeleiteter Begriff der
Ethnizität. In der Tat tun sie ziemlich genau das Gegenteil. Während
sich Koons und Prince mit dem visuellen Spiel der Massenkultur beschäftigen,
das Ähnlichkeiten mit den Angeboten der Pop Art der späten 50er
und frühen 60er Jahre aufweist, bleiben sie den Werten der konservativen
Massenkultur treu - v.a. dem "Wert" der Männlichkeit.
Eine Bestätigung der männlichen Vorherrschaft ist von begrenztem
Nutzen, außer wenn auch bestimmt wird, wen der Mann beherrscht (d.h.
die Frau): Die meisten visuellen Einschreibungen von Männlichkeit beinhalten,
so auch bei Koons und Prince, eine Verunglimpfung der Frau. Die Arbeiten von
Pruitt-Early zeigen ebenfalls objektivierte, nackte Frauen und benutzen, wie
auch Koons, Pornographie, um das Vorrecht des Mannes auf weibliche sexuelle
Verfügbarkeit zu re-affirmieren.(20) In den hingekritzelten Texten von
Sean Landers wird weibliche sexuelle Verfügbarkeit oft mit Erfolg in
der Kunstwelt gleichgesetzt. Seine Texte, die auf gelben Schreibblöcken
festgehalten und bei Post Masters und Andrea Rosen (1991 und 1992) ausgestellt
werden, zeigen einen männlichen Erzähler, dessen Selbstmitleid Resultat
jener Ungerechtigkeiten ist, die ihm durch die Ablehnung der Galerien, ihn
auszustellen, und durch die Ablehnung der Frauen, von ihm gefickt zu werden,
erfährt. In Landers Texten werden seine Kunst und sein Penis vom selben
Schicksal heimgesucht, sie fallen an einem Ort zusammen/sind gleich.
In der Praxis des Künstlers Matthew Barney erreicht diese Konstruktion
"des Männlichen" als ein Zeichen von Wert schwindelerregende
Höhen. Es ist kein Zufall, dass Barneys erste Soloausstellung, die ihn
bereits im Vorfeld zum Kunststar ausrief, im Herbst 1991 eröffnete, als
die wirtschaftliche Unsicherheit in der New Yorker Kunstszene ihren Höhepunkt
erreichte. Dieses Gefühl der Verzweiflung und der drohenden Katastrophe
waren so groß, dass die Sommermonate von einem nicht aus der Welt zu
schaffenden Gerücht bestimmt wurden, nämlich, dass die Mary Boone-Galerie
bankrott wäre. In der New Yorker Kunstwelt verkörperte Mary Boone
die 80er Jahre schlechthin.
Matthew Barney wurde als die "große weiße Hoffnung"
präsentiert und akzeptiert. Unter fünfundzwanzig, heterosexuell,
weiß, männlich und Model mit einem Yale BFA-Abschluss, stellte
Barney im Herbst 1991 für Barbara Gladstone und konservative Kritiker
das dar, was Pollock in der Nachkriegsära für Betty Parsons und
Clement Greenberg war: Amerikas Kunstzukunft. Natürlich waren die Ausgangslagen
sehr unterschiedlich: Während in den 50er Jahren die Vereinigten Staaten
beweisen mussten, dass sie fähig waren, in der Bildenden Kunst eine Führungsrolle
einzunehmen, mussten sie in den frühen 90er Jahren beweisen, dass sie
diese Führungsposition beibehalten konnten. Alle Kunstkarrieren existieren
natürlich innerhalb einer gesellschaftlichen und beruflichen Matrix.
Das Erstaunlichste an Barneys Himmelfahrt war die Tatsache, dass sie so vorhersehbar
war.(21) Verzweifelt versuchte die Kunstszene die Vergangenheit wiederauferstehen
zu lassen: Den heterosexuellen, weißen Mann als Erlöser. Für
das Marketing waren Heterosexualität und Weiß-Sein notwendig, aber
der Hauptaspekt - die Grundlage seiner Arbeit - war und ist für Barney
das Beharren auf Männlichkeit als einer Determinante, die den Wert bestimmt.
Barneys Ausstellung bei Barbara Gladstone 1991, seine früheren Arbeiten
an der Yale Universität, die bei Stuart Regan in Los Angeles gezeigt
wurden, die folgenden Installationen in San Francisco, und für die documenta
IX - alle drehen sich um eine Formulierung der Männlichkeit durch (männliche)
Athleten.(22) Anders als andere männliche Verkäufer erniedrigender
weiblicher Ikonografien, verweist Barney in seiner Arbeit auf Frauen weder
visuell noch verbal. Wie im professionellen American Football eliminiert Barney
die Frau, bevor das Spiel beginnt - oder vielleicht ist Barney Adam, bevor
Gott Eva aus Adams Rippe schuf. Obwohl in Barneys Werk der Mann, wie Adam,
die Frau sehr wohl erschafft: Die einzigen Frauenbilder sind die von Männern
in Frauenkleidern, d.h. Männer, die sich selbst als Frauen erschaffen.
Sein Werk benutzt in konsequenter Weise unzählige Formen männlich
gekennzeichneter, der menschlichen Biologie ähnlichen Materialien, wie
z.B. Wachs, das aussieht wie Ejakulat, und Tapioka, das aussieht wie Sperma.
Diese geleeartigen Materialien schließen sich zusammen, um unterschiedliche
Sportvorrichtungen zu formen, Kraftmaschinen und Schulterpolster beispielsweise,
und weitere Accessoires von Footballspielern, Gewichthebern und anderen männlichen
Athleten. Es suggeriert, dass der männliche Körper - biologisch
und daher auch zwangsläufig - athletische Potenz hervorbringt, und dieses
Charakteristikum bedeutet innerhalb des Kunstkontexts die Produktion von Wert
an sich.
Barneys Videos, die die Abenteuer des Künstlers mit seinen Objekten dokumentieren
und von vielen als seine "wirkliche" Arbeit angesehen werden, sind
Darstellungen männlicher Identität, die kontinuierlich gegen eine
Krise der Fragmentierung konstruiert werden. Barney trägt in den Videos
oft Frauenkleider, diese Maskerade wird jedoch stets benutzt, um eine gewisse
Männlichkeit zu unterstreichen und zu bestätigen, eine Bestätigung,
die innerhalb der sozialen Einschreibung um das Werk hervorgerufen wird -
jeder "weiß", dass Barney nicht schwul ist, und jeder kann
"sehen", dass er keine Frau ist. Barneys aufgezeichnete Drag-Shows
und zwanghafte Verkörperungen physischen Eifers, die vielleicht von der
Angst der Männer vor der Homosexualität und vor der Frau handeln,
bestätigen den Phallus: Welche Angst auch immer in den Videos produziert
wird, wird in den Videos und dann weiter durch das, was Barney seine "plastischen
Überreste" nennt, negiert.
Die plastischen Teile (samenhaft im wörtlichen Sinn) behaupten eine nahtlose,
homogene Männlichkeit, und anders als in den Videos sind sie fest, beständig
- und verkäuflich! Welche Fluktuationen sexueller Identität auch
immer im Video auftreten, in der Umkleideraum-Männlichkeit der Skulpturen,
der sexuelle Unterschied bestätigt sich selbst als männliche Domäne.
Abhängig vom biologischen und essentialistischen Verständnis der
Männlichkeit, zeigen und feiern Barneys Sportobjekte, wie Princes Boxer,
die einzige ausschließlich männliche Arena der amerikanischen Gesellschaft:
Den professionellen Sport. Indem sie dies tun, ruft Barneys Arbeit jenen Moment
in Erinnerung zurück, als die Bildende Kunst ausschließlich männlich
dominiert war – so wie die Oakland Raiders, als Frauen Cheerleader waren
und es nur Männern erlaubt war, auf dem Feld zu spielen.
Die regressiven Fantasien von männlicher Exklusivität, die in den
Werken von Koons, Prince, Barney und ihren weniger berühmten Weggefährten
auf dem Weg zum letzten großen Footballspiel im Himmel aktiviert werden,
existieren neben Zeitgenossen, die aktiv einer Kunst nachgehen, die nicht
darauf basiert, traditionell historisierte Macht zu bestätigen. Eines
der potenziell emanzipatorischsten Merkmale mancher zeitgenössischer
amerikanischer Kunst ist der fortwährende Kampf, eine Bedeutung aus der
formalistischen Verschanzung herauszupressen, die während der Hochmoderne
verboten war. Unzufrieden hinsichtlich der Möglichkeiten einer nur deskriptiven
oder soziologisch-basierten Praxis wenden die radikalsten künstlerischen
Untersuchungen eine Strategie an, die auf Kritikfähigkeit basiert und
den Anspruch der Neutralität meidet. KünstlerInnen, die sich mit
dieser Art von Produktion beschäftigen, arbeiten mit verschiedenen visuellen
Strategien gemäß unterschiedlicher ethischer und politischer Prioritäten,
die eine große Bandbreite an Aktivitäten hervorgerufen haben, darunter
die Arbeiten von Adrian Piper, Hans Haacke, Louise Lawler, Barbara Kruger,
Renee Green, David Hammons, Felix Gonzales-Torres, Jenny Holzer, Sue Williams,
Fred Wilson, Donald Moffett, Gary Simmons, Susan Silas, Sherrie Levine, Lorna
Simpson, wie auch die Arbeit vieler anderer zeitgenössischer KünstlerInnen,
die sich auch als KritikerInnen betätigen, sind auf diese Weise einfach
und komplex zugleich. Sie gehen von einer Hauptprämisse der Aufklärung,
der Hoffnung, aus, die auf Wissen beruht und auf der Zerstörung (falscher)
Mythologien. Mit Ausnahme von Haacke, der von einem ökonomisch-marxistischen
Standpunkt aus arbeitet, wird diese ästhetische Kritikfähigkeit
in einer zeitgenössischen amerikanischen Kunst verkörpert, die aus
den Hoffnungen und Forderungen der Black-Power-Bewegung, der Frauenbewegung
und der Schwulenbewegung hervorgeht. Doch die Kunst, die die Machtverhältnisse
der aus Europa stammenden männlichen Vorherrschaft legitimierte, ist
stets ein amerikanisches, kulturelles Produkt des 20. Jahrhunderts gewesen.
Wir müssen fortfahren, zu hinterfragen, wen und was unsere Gesellschaft
wertschätzt - und warum.
Anmerkungen
1. Um "gegen das Bild der Miss America zu protestieren, ein Bild, das
Frauen in jedem Bereich unterdrückt, in dem es vorgibt, uns zu repräsentieren",
warfen Demonstranten in Atlantic City im September 1968 BHs, Hüftgürtel,
Lockenwickler, falsche Wimpern, Lippenstifte sowie Ausgaben von "Frauen"-Magazinen
in Mülleimer, s. Flugblatt No More Miss America!, nachgedruckt in Sisterhood
is Powerful, herausgegeben von Robin Morgan (New York: Random House,
1970), p.585.
2. Ich benutze den Begriff "Hochmoderne", um auf das Verständnis
der Moderne anzuspielen, wie es Clement Greenberg vertritt.
3. Sexismus ist eine zentrale Sackgasse in der Entwicklung der zeitgenössischen
neomarxistischen Theorie. Wie der traditionelle Marxismus mit seiner Annahme
einer (männlichen) Arbeiterklasse sich als total unzulänglich erwies,
als er vor die Problematik der "Frauenfrage" gestellt wurde, wird
in der eklatanten Instabilität einer einzigen Zeile des britischen marxistischen
Akademikers Terry Eagleton in Ideology (London: Verso, 1991) manifest.
Eagleton versucht dem Feminismus gegenüber "empfindsam" zu
sein, und führt wechselweise Pronomen in sein Buch ein (manchmal "er",
manchmal "sie") - ohne aber die Matrix der sozialen Unterdrückung,
wie sie zuerst Marx einführte, zu verändern. So fragt Eagleton in
einer Diskussion über Lukacs, "Wie konstituiert der Arbeiter sich
[im Engl. herself = feminin, Anm. d. Übers.] als ein Subjekt auf der
Basis ihrer Objektivierung?" (S. 103). Mit dem wechselnden Gebrauch der
Pronomen versucht Eagleton "das revolutionäre Subjekt" des
Geschlechts zu entledigen, aber das ist natürlich nicht möglich,
weil die Klassenmatrix geschlechtlich fixiert ist, und der Arbeiter, der versucht,
sich [im Engl. herself = feminin, Anm. d. Übers.] als Subjekt zu konstituieren,
wird objektiviert in einer Weise wie es der Arbeiter, der versucht, sich [im
Engl. himself = maskulin, Anm. d. Übers.] als Subjekt zu konstituieren,
nicht wird. Dass Frauen historisch gesehen als beides bestimmt sind, als "Ware"
und als "Klasse", wie materialistische Feministinnen wie Christine
Delphy und Catharine MacKinnon argumentiert haben, muss im Marxismus einen
zentralen Standpunkt einnehmen, wenn dessen kritische Theorie einen emanzipatorischen
Wert beibehalten soll.
4. Timothy J. Clark, "Jackson Pollock’s Abstraction", in Reconstructing
Modernism, herausgegeben von Serge Guilbaut (Cambridge: MIT Press, 1990).
Im Nachwort zu diesem Essay gibt Clark zu, dass er "die Frage nach Pollocks
Geschlecht" vernachlässigt hat. Für ihn bedeutet dies das Weglassen
der Diskussion um Pollocks Kleckse als eine Konstruktion "sexuellen Unterschiedes".
5. Clement Greenberg, "Avant-Garde and Kitsch", zuerst veröffentlicht
in Partisan Review, Herbst 1939; erneut veröffentlicht in Clement Greenberg:
The Collected Essays and Criticism, Vol. 1, herausgegeben von John
O'Brian (Chicago: University of Chicago Press, 1986), S. 5-22. Greenberg spielt
hier höchstwahrscheinlich auf Nietzsches Diskussion über die "Politik
des Grolls" an; aber auch er transponiert bereitwillig die historische
Situation des Europas der 20er Jahre auf die amerikanische Szene der 30er
Jahre.
6. Cassandra Langer schlägt vor, dass Greenbergs Positionierung seiner
Person als einen Kritiker "zum Ausschluss" in Bezug zum gesellschaftlichen
Vorurteil und Assimilationsprozess betrachtet werden sollte, dem sich die
amerikanischen Juden während und nach dem Zweiten Weltkrieg unterziehen
mussten.
7. Jonathan Katz, "Culture and Subculture: On the Social Utility of Queer
Artists in Cold War American Art", Vortrag gehalten an der College Art
Association Convention, Washington, D.C. 1991. Eine weitere Diskussion zum
Kontext des Schwulseins, der Johns prägt, s. Jonathan Weinberg, "It's
in the Can: Jasper Johns and the Anal Society", Genders (Spring 1988),
University of Texas, S. 41-56.
8. Donna de Salvo, "'Subjects of the Artists': Towards a Painting Without
Ideals", Hand-Painted Pop: American Art in Transition 1955-62,
herausgegeben von Russell Ferguson (Los Angeles: Museum of Contemporary Art,
1993) S. 70.
9. Lucy R. Lippard, "What is Female Imagery?" Ms., May 1975, neu
abgedruckt in Lucy R. Lippard, From the Center (New York: E.P. Dutton,
1976), S.89.
10. Der politische Gebrauch der Hochmoderne, besonders der Abstraktion, als
ein Symbol des Antifaschismus und - nach dem Zweiten Weltkrieg - des Antikommunismus,
wird von Serge Guilbaut in How New York Stole the Idea of Modern Art,
dokumentiert. Übersetzt von Arthur Goldhammer (Chicago: University of
Chicago Press, 1983).
11. Budd Hopkins, wie zitiert in Jackson Pollock, von Steven Naifeh und Gregory
White Smith (New York: Clarkson W. Potter, 1989; Nachdruck, New York: HarperCollins,
HarperPerennial, 1991), S.595.
12. Tavia M. Fortt und Terry R. Myers hinterfragen, wie die White-Boy-Politik
der New York School weiterhin ausgespielt wird, nicht nur in dem aktuellen
Erbe der "White Boy Abstraction", sondern auch auf der White-Boy-Basis,
die weiterhin unterschiedliche visuelle Praktiken durchdringt.
"White Boy as Abstraction: Do We Really Need Another New York School?"
Arts Magazine, Februar 1991, S.42-43. Weitere Künstler, die
sich mit unterschiedlichen Arten von männlicher Bestätigung und
Essentialisierung "männlicher Identität"
beschäftigen, sind Vito Acconci, Chris Burden und Mike Kelley. Mein Dank
geht an Adrian Piper, die mich an diese drei "Bösen Kleinen Jungen",
wie sie sie nennt, erinnert hat.
13. Jeff Koons, zitiert in "Super Star", von Andrew Renton, Blitz,
Januar 1990, S. 55.
14. Jeff Koons, zitiert in "Jeff Koons and the Art of the Deal",
von Andrew Renton, Performance (London), September 1990, S. 26.
15. Die Artforum-Anzeige war in Adrian Pipers Foto-Text-Collage Ur
Mutter # 8, 1989, eingefügt neben einem Bild einer verarmten schwarzen
afrikanischen Frau, die ein Kind auf den Armen hält. Als Kontrast zu
Koons' selbstgefälligem, wohlgenährtem Gesicht und seinem Vorschlag,
"die Massen auszubeuten", erscheinen die Worte "kämpfe
oder stirb" unter Pipers Bild, was ausdrücken soll, dass Piper Koons'
Werk nicht mit der Ironie interpretiert, auf welche seine Anhänger pochen.
16. Carter Ratcliff, "Not For Repro", Artforum,
Februar 1992, S. 82-85.
17. Dodie Kazanjian, "Koons Crazy", Vogue, August 1990,
S. 338.
18. Gary Indiana, "Tell Me Everything"; Village Voice,
Kunstbeilage, 3. Mai 1980, S. 8,10-11.
19. Einer interessanterer Aspekt der zeitgenössischen amerikanischen
Kunst-"Welt" – der Künstler, Händler, Kritiker,
Sammler – ist, dass viele sich wünschen, an der emanzipatorischen
Seite der Geschichte teilzunehmen, und nur wenige die Arbeit tun, die notwendig
dafür ist.
20. Für eine weitere Diskussion des männlichen Konstrukts in Pruitt-Early
und Candy Ass, s. mein "Negotiating Masculinity and Representation",
Contemporanea, Dezember 1990, S. 46-51.
21. Vor seiner ersten Soloausstellung in New York stellte Barney in Los Angeles
in der Galerie von Barbara Gladstones Sohn Stuart Regan aus. Bevor seine nahezu
identische Ausstellung in New York in der Gladstone-Galerie eröffnet
wurde, wurde eine ganzseitige Rezension in Flash Art gebracht, eine zweiseitige,
schwärmerische Kritik in Arts, und auf dem Titelblatt des Artforum
- das erste Mal, dass ein Künstler jemals auf dem Titelblatt des Artforum
erschien, ohne dass er zuvor eine Ausstellung in New York hatte. Über
die Gladstone-Ausstellung wurde dann in einer ziemlich langen Kritik in der
New York Times berichtet, geschrieben von der Frau des Kritikers,
der in Arts schwärmte, die bedeutsamerweise zu Beginn der Ausstellung
erschien (erste Soloausstellungen – wenn in den Times überhaupt
darüber berichtet wird – werden eher kurz vor Ausstellungsende
besprochen, und sind nie länger als höchstens drei Spalten. Der
Artikel über Barneys Ausstellung hatte über zwölf). Barbara
Gladstone stellt auch Richard Prince aus.
22. Diese Diskussion über Matthew Barney wurde meiner Kolumne "Art
& Thought", entnommen. New York, 24. November 1991, S.41.