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Titel: Frantz Fanon - Kritische Genealogien
Autor: Isaac Julien / Mark Nash



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Frantz Fanon - Kritische Genealogien

von Isaac Julien und Mark Nash

 

Frantz Fanon

Frantz Fanon (1924 -1961) war einer der bedeutendsten schwarzen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Er studierte in Frankreich Philosophie und Medizin mit dem Schwerpunkt Psychiatrie. 1953 ging er als Arzt nach Algerien. Drei Jahre später demissionierte er, um von nun an für die algerische FLN (Front Nationale Liberation) zu arbeiten. 1961 starb er in New York an Leukämie, am selben Tag, an dem sein Hauptwerk, Die Verdammten dieser Erde, in Paris veröffentlicht wurde.

Fanon beschäftige sich eingehend mit der Négritude-Bewegung. Dies mündete in einen Dialog mit Jean-Paul Sartre über die (Selbst)-Erfahrung des schwarzen Subjekts innerhalb kolonialer Gesellschaftsformen. 1952 verfasste er im Rahmen seiner akademischen Abschlussarbeit in Psychiatrie sein erstes Hauptwerk Black Skin, White Mask (1). In diesem Werk thematisiert Fanon insbesondere die Formen wechselseitiger psychologischer Abhängigkeiten zwischen Kolonisierten und Kolonisatoren unter besonderer Berücksichtigung der Bedingungen in den französischen Kolonien.

In diesem Buch, das bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat, sondiert der Autor die Problematik der ambivalenten Identifikationsmechanismen, welche die rassistischen kolonialen und postkolonialen Gesellschaften ihren Subjekten nicht nur durch Gewalt, Feindseligkeit und Aggression, sondern auch über sexuelles Begehren und dem Verlangen nach dem Anderen vermitteln.

Fanon ging seiner Tätigkeit als Psychiater im weltoffenen Frankreich nach, bevor er eine Anstellung an der Blida-Joinville Klinik erhielt, die eine der bedeutendsten psychiatrischen Institutionen in Französisch-Algerien darstellte. Dort konnte er erstmals selbst die Folgen der Gewalttätigkeit kolonialer Unterwerfungsstrategien und die Spuren, die diese Prozesse in den Psychen der Menschen hinterließen, beobachten. Diese Erfahrung veranlasste ihn, der FLN (Front de Libération Nationale) beizutreten, um die Kämpfer in den Maquis zu unterstützen. 1956 gab er seine Position in der Klinik auf, um so seiner Ablehnung gegen die politische Vorgehensweise Frankreichs in Algerien Ausdruck zu verleihen. Wegen seiner Sympathiebekundungen für den algerischen Freiheitskampf wurde Fanon von den französischen Regierungsbevollmächtigten des Landes verwiesen.

Fanon ging nach Tunesien, wo ihn die algerischen Exilregierung zum Informations-minister ernannte. Er schrieb für die Zeitung El Moujahid, das zentrale Organ der FLN. Während seiner Zeit in Tunesien veränderte sich Fanons politische Haltung. Er wandte sich von Fragen der rasseninhärenten Psychologie ab, und gelangte mehr und mehr zur Einsicht in die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes, durch den der Kolonialismus zu Fall gebracht, und eine authentische Eigenständigkeit für die schwarze Bevölkerung erreicht werden sollte. Er repräsentierte die FLN auf der All Africa People's Conference, die 1960 in Ghana stattfand, und initiierte dort eine Diskussion über den Aufbau einer zweiten Front im Algerienkrieg.

Fanon starb 1961, kurz bevor Die Verdammten dieser Erde(2), seine Fibel für die Revolution in der Dritten Welt mit einem aufrüttelnden Vorwort von Sartre, erschien und kurz bevor Algerien schließlich die Unabhängigkeit erlangte. In den mehr als dreissig Jahren, die seit Fanons Tod vergangen sind, wurde Afrika zwar politisch, wenn nicht sogar auch ideologisch vollständig entkolonisiert. Trotzdem sind die Fragen, die Fanon hinsichtlich der Begriffe von Rasse und Kolonialismus aufgeworfen hat, nach wie vor für ein Verständnis der Probleme postkolonialer Gesellschaften und ihrer Subjekte in der Ersten wie auch in der Dritten Welt höchst brisant.

Fanon ist der wahrscheinlich wichtigste schwarze Theoretiker und Vordenker der Entkolonisierung. Die Komplexität seiner Ideen wurde dennoch über lange Zeit hinweg ignoriert. Dieser Umstand wirkte sich auf den gesamten Bereich postkolonialer Studien aus. Während Fanon heute den meisten als Autor von Black Skin, White Mask geläufig ist, war er in den siebziger Jahren vor allem als Revolutionär, Theoretiker der Freiheitskämpfe der Dritten Welt sowie als Befürworter einer Politik der Blockfreiheit bekannt. Wie dem auch sei: seine Schriften über Psychiatrie, die wichtige Fragen hinsichtlich deren Rolle in der Ersten und Dritten Welt aufwerfen, wurden mehr oder weniger vernachlässigt. Dies führt häufig dazu, dass Fanon als Psychoanalytiker abgehandelt und dabei Psychoanalyse mit Psychiatrie verwechselt wird. Die Konsequenzen sind weitreichend. Viel zu oft ist der Westen (in Paul Gilroys Worten: die "überentwickelte Welt") versucht, den Nutzen, den eine psychiatrische Grundversorgung für die Länder der "unterentwickelten" Welt darstellen würde, zu verleugnen und/oder verfehlt es, sich mit den individuellen psychischen Folgen, die Postkolonialismus und Unterentwicklung hervorrufen, auseinanderzusetzen: all diese Probleme könnten sich im Rahmen einer adäquaten psychiatrischen Versorgung schon längst im Prozess der Aufarbeitung befinden.

Fanon ist weniger bekannt als andere, vergleichbare Persönlichkeiten der radikalen Schwarzen Politik - wie z.B. Malcolm X oder die Black Panther. Hinzu kommt sowohl, dass er seinen Ideen, die er über journalistische wie auch theoretische Arbeiten vermittelte, auf sehr unmittelbare Weise Ausdruck verlieh, wie auch der Umstand, dass seine beiden bedeutendsten Bücher Black Skin, White Mask und Die Verdammten dieser Erde bis zu einem gewissen Grad ein Publikum voraussetzten, das mit französischer Kultur und Denkart vertraut war.

Der Film Frantz Fanon: Black Skin, White Mask, ist ein 70-minütiger, als Drama angelegter Dokumentarfilm über Fanons Leben und Werk. Der Film wurde im Jahr 1995 nach einem Drehbuch von Isaac Julien und Mark Nash für das britische Fernsehen hergestellt. Ursprünglich handelte es sich um einen Beitrag für die Ausstellung Mirage im ICA (Institute of Contemporary Art) in London. Er war als Reflexion des großen Interesses an den Ideen Frantz Fanons konzipiert worden, das sich zu diesem Zeitpunkt innerhalb der schwarzen bildenden und performativen Kunst gezeigt hatte.

Die schwarze Bewegung in der zeitgenössischen Kunst strebt einen substantielleren Ausgangspunkt für eine Reflexion über den schwarzen Körper und dessen Repräsentation an. Die KünstlerInnen haben die Bedeutung von Fanons Interesse am Körper und seinen Repräsentationsformen innerhalb der Analyse europäischer Kultur erkannt.

Durch zahlreiche Diskussionen mit Programmverantwortlichen des BBC konnte die Programmatik des Films ausgeweitet und so auch andere Aspekte von Fanons Bedeutung und Vermächtnis mit einbezogen werden. Treibende Kraft des Filmprojekts war der Wunsch, eine Anerkennung der Originalität und Widersprüchlichkeit dieses herausragenden Denkers wieder herzustellen, die trotz des wieder erwachten Interesses an seinem Werk innerhalb akademischer und künstlerischer Diskurse Gefahr lief verloren zu gehen. Gleichzeitig waren wir darauf bedacht, den Visualisierungsprozess als eine Form theoretischer Wissensvermittlung zu behandeln, und dadurch den Geist Fanons auferstehen zu lassen: eine Art postmoderner Nekrophilie.

Frantz Fanon: Black Skin, White Mask

Im Dezember 1996 strahlte der BBC eine 50-minütige Version von Frantz Fanon: Black Skin, White Mask aus, die von schätzungsweise 900.000 Zuschauern gesehen wurde. Der Film wurde außerdem weltweit auf Festivals, in Kinos und von akademischen Institutionen vorgeführt, am häufigsten wahrscheinlich in Nordamerika. Aber auch die ehemaligen Kolonialmächte und ihre Übersee-Departements zeigten ein beachtliches Interesse an diesem Werk. Tatsächlich mag dies die richtige Stelle sein, um daran zu erinnern, dass der Erlass zur Abschaffung der Sklaverei in Frankreich und seinen Kolonien vor genau 150 Jahren veröffentlicht wurde, und dass Fanon vom französischen Establishment letztendlich doch als überaus bedeutender Intellektueller anerkannt wurde. Dies wird beispielsweise in der Übernahme des Slogans "Ich bin nicht der Sklave der Sklaverei" deutlich sichtbar.

Der Film beinhaltet Archivmaterial, Interviews mit Zeitzeugen, die eine wichtige Rolle in Fanons Leben und Forschung spielten, sowie visuelle Rekonstruktionen. Bei der Suche nach Interviewpartnern verließen wir uns auf eine ganze Reihe von BeraterInnen: Lucien Taylor (Herausgeber einer Textreihe mit dem Titel Visual Theories), Françoise Verges (deren Buch über die psychiatrischen Theorien und Methoden Fanons von der Duke University Press in den USA veröffentlicht wurde) und Dora Bouchoucha Fourati, eine tunesische Produzentin. Sie haben uns in die Familie Fanon eingeführt bzw. uns mit Intellektuellen in Martinique, Frankreich und Tunesien bekannt gemacht.

Es war schwierig, frühes Filmmaterial über Fanon aufzufinden. Abgesehen von einer algerischen Fernsehsendung über ein Fanon-Kolloquium in Algier existiert ein einziger Film über Fanon, den wir am Beginn von Black Skin, White Mask verwendet haben.

Der Mangel an Archivmaterial führte uns zur Anwendung des Verfahrens der Rekonstruktion als eines adäquaten Mittels, den zentralen Ideen Fanons Ausdruck zu verleihen. Dabei konzentrierten wir uns auf vier grundlegende Aspekte - auf rassistische Begegnungen, anhand derer Fanon die Erfahrung, als 'schwarz' festgelegt zu werden, beschreibt; auf Fanons Beitrag zur psychiatrischen Aufarbeitung des Kolonialismus und seiner Folgen, und auf die Problematik von Nationalismus und Gewalt in Bezug auf die Stellung der Frauen in der tunesischen und algerischen Gesellschaft.

Die heutige Aktualität von Fanons Denken wird von Homi Bhabha erläutert. Bhabha stellt uns Fanon als einen Flaneur im Stile Walter Benjamins vor, der sich wie ein Geist durch die Metropole bewegt.

Fanons Vermächtnis besteht aus einer Reihe unvollendeter Dialoge, die er mit Freud und der Psychoanalyse, mit Hegel und dessen Identitätsbegriff, und mit der Négritude-Bewegung geführt hat. Um einen Satz von Stuart Hall zu adaptieren: "Ich glaube, dass es unmöglich ist, Black Skin, White Mask zu lesen, ohne zu bemerken, dass das, was (diese Werk) ausmacht ... das Ergebnis von mindestens drei sich aufeinander beziehenden, nicht beendeten Dialogen ist, zu denen Fanon in seinem Leben und in seiner Arbeit immer wieder zurückkehrte. Erstens ist dies Fanons Dialog mit der traditionellen französischen Kolonialpsychiatrie. ... Und innerhalb davon der Dialog mit der Psychoanalyse, mit Freud und den französischen Freudianern. ... Zweitens mit Sartre, oder genauer gesagt, mit dem durch Sartre vermittelten Geist von Hegel, insbesondere in Bezug auf die Dialektik zwischen Herrscher/Leibeigener, wie sie in der 'Phänomenologie...' angelegt ist. ... Drittens mit Négritude oder der Vorstellung von Schwarzer Kultur als einer positiven Quelle von Identifikation und der Frage kultureller Nationalismen und Rasse als einer unabhängigen Kraft." (3)

Unser Film besteht aus einer Vielzahl von Stimmen, die Zeugnis von ihrer persönlichen Erfahrung mit Fanon selbst, oder mit der politischen und kulturellen Bedeutung seines Werkes ablegen: Stuart Hall, der bereits erwähnt wurde; Homi Bhabha, Wissenschaftler/Forscher im Bereich Postkolonialismus und Fanon-Experte, beschreibt seine erste Begegnung mit Fanons Schriften, und welche Fragestellungen Fanon aus seiner Perspektive als Theoretiker bezüglich postkolonialer gesellschaftlicher Beziehungen und Subjektivitäten aufwirft.

Für unseren Film war es wichtig, auch solche Stimmen zu Wort kommen zu lassen, die dem Denken Fanons kritisch oder mit Vorbehalten gegenüber stehen. Wir sind nicht daran interessiert, Fanon als revolutionären Märtyrer darzustellen. Hier beziehen wir uns auf Maryse Condé, Romanschriftstellerin aus Guadeloupe, die sein Frauenbild kritisiert, und auf Mohammed Harbi (der Fanon noch aus der FLN kannte, jedoch im Anschluss an Algeriens Unabhängigkeit von der FLN gefangen genommen wurde) und der Fanons Position den Frauen gegenüber für überaus patriarchalisch hält, usw.

Um eine dramaturgische, cinematographische Begegnung mit Fanons Leben und seinen Ideen zu ermöglichen, wird die Technik der Rekonstruktion hier auf unterschiedliche Art und Weise eingesetzt. Aus diesem Grund wurde der bekannte schwarze Filmschauspieler Colin Salmon ( Helen Mirrens Partner in Prime Suspect II) für die Rolle des Fanon gecastet. Wir rekonstruierten die beispielhafte Begegnung der Position des kolonialen Subjekts mit dem europäischen Diskurs über Rasse ("Mama, guck ein Neger!"). Die Rolle der Frauen in maghrebinischen Gesellschaften und das Erbe der algerischen Revolution spiegeln sich in rekonstruierten Szenen wider, in denen Frauen, die in diesen Kampf involviert waren, Zeugnis ablegen, ebenso wie in symbolischen Szenen, in denen Bilder von Frauen, die von den Franzosen gewaltsam entschleiert wurden, auf die Gestalten verschleierter Frauen projiziert werden.

Durch verschiedene Interviews soll das Problem der Gewalt in Fanons Werk herausgearbeitet werden. Auf diese Weise beschäftigen wir uns mit der unbequemen Wahrheit über Formen der Gewaltausübung innerhalb antikolonialer Kämpfe.

Ein Zitat aus Simone de Beauvoirs Autobiographie Der Lauf der Dinge(4) beschreibt Fanon aus einer sehr subtilen, persönlichen und kulturell fundierten Sicht. An dieser Stelle des Film tritt Fanon gemeinsam mit einer Figur auf, die gleichzeitig de Beauvoir wie auch seine Frau Josie darstellt., die seine Aktivität als afrikanischer Botschafter der FLN immer unterstützte.

Der Film wirft eine Vielzahl von politischen, kulturellen und ästhetischen Fragestellungen auf. Aber zunächst sollten wir uns etwas stärker auf die Arbeit am Film selbst konzentrieren.

Fanon als Film

Im Rahmen zahlreicher Vorführungen hat unser Film eine Diskussion um Fanons Werk und Vermächtnis ermöglicht. Diese Diskussionen können jedoch manchmal auf Kosten des Films ablaufen. Viele von Isaac Juliens früheren Arbeiten mit Sankofa Film oder mit Mark Nash (5) untersuchen das Verhältnis von Film und kritischer Theorie. Während einer der ersten Vorführungen des Films an der University of California Santa Cruz kommentierte Donna Haraway die Bedeutung des Umstandes, dass dieser Film Theorie gewissermaßen visualisiert. Wir würden sogar noch weiter gehen und behaupten, dass der Akt der Visualisierung eine Form theoretischer Produktion ist, die vor allem den Körper zu einem privilegierten Ort bildlicher Macht und Meditation macht. Das heißt, es stellt sich nicht nur einfach die Frage, auf welchem Weg Fanon im Film zu repräsentieren ist, sondern wie über diesen Film eine wirkliche Beziehung zu Fanons Ideen hergestellt werden kann, und wie diese Ideen durch ihre Umsetzung im Film vielleicht sogar selbst eine Art von Transformation erfahren. Setzt man sich mit der Filmgeschichte auseinander, wird eine Entwicklungslinie sichtbar, der Film als ein Mittel der Produktion von Ideen auffasst. Eisensteins Konzept der Montage stellt den wahrscheinlich bekanntesten Versuch dar, nicht nur eine Gefühlsstruktur zu erzeugen, sondern durch die Bildstruktur selbst einen dialektischen Denkprozess in Gang zu setzen. Jean-Luc Godard verfolgte in seiner mittleren Phase eine vergleichbare Absicht, und heute gibt es eine Vielzahl von FilmemacherInnen, deren Werk eine ähnliche Art von Engagement zeigt, beispielsweise Trinh T. Minh Ha.

Der Stil des Films reflektiert einige der Themen aus Isaacs früheren Filmen, Looking for Langston (1989) und The Darker Side of Black (1994) eingeschlossen. Langston... verwendet Archivfilme und dramaturgische Rekonstruktionen; Darker Side... beruht mehr auf einem konventionellen Verständnis des Dokumentarfilms, wobei jedoch eine stilisierte Ästhetik erzeugt wird, indem geschwungene und geneigte Linsen beim Dreh von Interviews eingesetzt wurden - heutzutage ein gängiger Kunstgriff, der jedoch zur damaligen Zeit lediglich in der kommerziellen Werbung auftauchte. Fanon... kombiniert diese unterschiedlichen Strategien dergestalt, dass sie in ihrem Zusammenspiel die Kategorisierung von Dokumentar- und Spielfilmen in Frage stellen. Darauf zielt die emblematische Verwendung des Spielfilms Battle of Algiers (von Gillo Pontecorvo) in Fanon ab. Wir werden manchmal gefragt, weshalb wir fiktives Material wie dieses in den Film einbezogen haben, und warum es nicht deutlicher gekennzeichnet ist. Wir wollten die Bildoberfläche des Films nicht mit einer Anzahl von Fußnoten übersäen. Es gibt keinen Grund, weshalb ausgerechnet dieser Film durch eine spezielle Kennzeichnung hervorgehoben werden sollte. In der Tat könnte man sagen, dass Battle of Algiers den Fanon-Film selbst repräsentiert, en abyme sozusagen. Battle... benutzt als Quellmaterial seinerseits denselben Dokumentarfilm wie wir und setzt Rekonstruktion im selben Ausmaß ein, so wie dies viele politische Dokumentationen tun (angefangen bei Joris Ivens). Fanon... ist eine poetische Dokumentation mit einem erzählerischen Ansatz. Tatsächlich kann Fanon... als ein Palimpsest (6) aus sich gegenseitig überschreibenden und gegeneinander gerichteten Zitaten gesehen werden, von denen Battle... lediglich eines darstellt.

An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass die FLN den Italiener Pontecorvo, eingeladen hatte, den ersten Film über das Neue Algerien zu realisieren. Das Neue Algerische Kino verstand sich als Bestandteil des Projekts der Distanzierung von der französischen Kolonialkultur. Und in der Tat spielte Fanon in Italiens politischen Kämpfen eine spezifische Rolle. Darauf geht unser Film nicht ein, jedoch würde es sich lohnen, sich mit diesen Themen eingehender zu beschäftigen.

Battle... wurde - wie auch anderes Archivmaterial in diesem und anderen Filmen von Isaac - als Teil des Versuchs einer Auflösung des "kolonialen Archivs" eingesetzt. Bei der Betrachtung von Archiv-Footage muss man im Allgemeinen den Kommentar einer in der Regel männlichen Sprecherstimme ertragen, die sowohl über die Erklärung der Bilder, die gerade projiziert werden, als auch durch Akzentuierung und Tonfall den Zuschauer als koloniales Subjekt re-konstituiert. Es ist in der Tat so, dass, wie Kritiker argumentierten, die Sprecherstimme im kolonialen Kino Bestandteil des Unterfangens ist, nationale Identität und die darin enthaltene koloniale Subjektivität aufrecht zu erhalten.

Was wir tun können ist, Footagematerial anders einzusetzen und zu verändern: entweder durch Verlangsamung, durch Löschen des Voice-Overs, durch Neubearbeitung des Soundtracks, durch Einfärbung der Bilder: eben durch all das, was den Bildern sozusagen wieder eine gewisse Subjektivität zurückgibt, die sich dem kolonialen Projekt widersetzt. Im Werk von Gianikian und Ricci Lucci gibt es diesbezüglich einen wichtigen Verweis. Ihr Film From the Pole to the Equator ist in Hinblick auf den Prozess der Auflösung des kolonialen (und imperialen) Archivs von besonderer Bedeutung. Sie sagen über ihren Film, der eine Collage von Filmen aus dem Archiv des frühen italienischen Filmemachers und Sammlers Luca Comerio darstellt: "Wir lasen, wir schrieben, wir editierten den Original-Comerio-Film neu und kehrten somit dessen ursprüngliche Bedeutung und Ideologie um. Unser Film dreht sich um die Metapher des Gedächtnisverlustes, um Comerios Gedächtnisverlust in seinen letzten Jahren, um die generelle 'Amnesie' in Bezug auf das primitive Kino und um das Verlangen des frühen Publikums nach exotischen Spektakeln, die Träume und Fantasien von Eroberungen und kulturellen Beutezügen widerspiegelt... Wir wollten einen Film über die Gewalttätigkeit des Kolonialismus drehen, wie er sich selbst in unterschiedlichen Situationen und Sphären darstellt." (7)

Dies ist auch der Moment, um die Rolle der Stilisierung zu diskutieren. Das dramatische Footagematerial 'repräsentiert' im wesentlichen Fanons Vorstellungen. Es wird dem biographischen Fanon, wie er in den Interviews konstruiert wird, gegenübergestellt. Dies ist natürlich kein homogenes Verfahren. Wir möchten die Aufmerksamkeit nun auf ein Detail lenken, das sich auf Fanons Reaktion bezieht, die er zeigte, als er bei seiner Ankunft in der algerischen Klinik seine Patienten in Ketten vorfand. In unserem Film zeigen wir ebenfalls Patienten, die in Ketten gelegt sind. Danach folgt ein Interview mit Alice Cherki, in welchem sie die historische Wahrheit dieser Darstellung anzweifelt. Sicherlich gab es zu Beginn dieses Jahrhunderts in psychiatrischen Krankenhäusern Patienten, die noch in Ketten gelegt waren, jedoch gibt es keine historisch überzeugenden Beweise. Das Bild von Frantz Fanon, wie er seinen Patienten die Ketten abnimmt, wurde zum Mythos - es handelt sich um eine Re-Inskription, eine Wiederholung des Mythos von Pinel, der zur Zeit der französischen Revolution im Pariser Krankenhaus Salpetriere seine Patienten befreite - , und war überfrachtet mit der marxistischen und antikolonialen Metaphorik vom 'Abschütteln der Fesseln der Unterdrückung'.

Im Film werden Widersprüche oft verflacht, und solange man nicht den Brechtschen Ansatz anwendet, der daraus besteht, den Kunstgriff in den Vordergrund zu stellen und Widersprüche hervorzuheben, löst sich das eigene Werk in seinem Herstellungs-prozesses möglicherweise auf. In der Tat war dies einer der Hauptkritikpunkte Brechts am Kino, und dieser ist bis heute berechtigt.

Um auf die Frage der Stilisierung zurückzukommen, möchten wir uns auf den Kunstgriff des "Tableau Vivant" konzentrieren, der seit geraumer Zeit einen integralen Bestandteil von Isaacs Arbeit bildet. Das "Tableau Vivant" - wortwörtlich: "das lebende Bild" - besitzt im Film und in der Fotografie eine lange Tradition. Filme wie Langston..., The Attendant und Fanon... stellen eine Dialektik zwischen fotografischen und gefilmten Bildern her. In Langston... zum Beispiel werden Bilder von Platt Lynes und frei erfundene Van Der Zee-Aufnahmen vom Leben in Harlem nachgestellt bzw. re-konstruiert. In The Attendant findet ein beständiges visuelles Wechselspiel zwischen dem Bild Scene on the Coast of Africa - einem Gemälde von F.A. Biard aus dem 19. Jahrhundert zum Thema der Abschaffung der Sklaverei - und dessen unheimlicher Rekonstruktion im Raum einer Kunstgalerie statt.

Durch die Wahl des Schauspielers Colin Salmon für die Rolle des Fanon führen wir ein Klischee vor, nämlich das des sexy und gutaussehenden Schwarzen. Wir baten Colin, Fanon eher 'vorzuführen', als ihn zu spielen. Wir dachten dabei ein wenig an die Art und Weise, wie Robert Bresson seine Schauspieler wie Models einsetzte. Das hatte den Effekt, dass wir Fanon sowohl in der Vergangenheit situieren, als auch seine Rolle in der Zukunft signalisieren konnten. Dieser Ansatz stellt auch eine Antwort auf die Problematik historischer Erzählungen dar, wie dies der Cahier-Kritiker Jean-Luc Comolli vor einigen Jahren anhand eines Stücks mit dem Titel A body too much beschrieb. Comolli argumentiert, dass in historischen Erzählungen stets eine Überhöhung von Körpern stattfindet - wie z.B. bei Napoleon und Louis XIV. Durch die Darstellung unseres Charakters, der sich halb innerhalb, halb außerhalb der Fiktion befindet, versuchen wir aufzuzeigen, dass dieser, obschon er Fanon repräsentiert, doch nicht Fanon ist. Colin Salmon spricht Fanons Texte wie ein Bauchredner, er srpicht sie wörtlich nach und reanimiert sie auf diese Weise - er spricht und wird zugleich gesprochen. Ein solche Art der Darstellung umgeht die Fabrikation eines Charakters und seines Innenlebens wie im konventionellen Spielfilm. So wird das Publikum in die Lage versetzt, sich 'ihren' Fanon in den Film hinein zu projizieren, wodurch Fanon eher zu einem offenen Zeichen wird. Natürlich will und wird dies nicht alle zufriedenstellen, besonders nicht diejenigen, die sich Fanon ihren Vorstellungen entsprechend, in einer Darstellung wünschen, die ihrem jeweiligen Vorhaben am Passendsten erscheint: als schwarze Ikone´zum Beispiel, auf welcher gleich eine ganze afro-amerikanische Philosophie begründet und aufgebaut werden kann.

Das Standbild ist integraler Bestandteil des Fanon-Films. Wir benützen Standbilder von John Riddy als Rückprojektionen, um so fiktive Interieurs mit einer gewissen Tiefenschärfe erzeugen zu können. Bilder des französischen Kriegsfotografen Marc Garanger werden auf die Körper algerischer Frauen projiziert. Das fotografische Bild wird auch als Mittel des Übergangs von einer Szenerie zur nächsten eingesetzt - eine Art visueller Alliteration, durch welche der Fotograf sich auf das nachfolgende oder das vorhergehende Bild bezieht, es vorhersieht oder zurückholt.

Indem wir ein lebendiges, erotisches Bild von Fanon schufen, das gleichzeitig eine Fantasie des Begehrens im komplexen Verhältnis zwischen den Rassen darstellte, wollten wir eine persönliche Resonanz sowohl in Bezug auf Fanon als auch in Bezug auf unser Anliegen als Filmemacher, das sich in der Tat gegen zentrale Thesen aus Fanons Schriften richtet, erzeugen. Das gegenseitige Begehren zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden bildet in Bezug auf koloniale Rassismen ein eigenes Feld.

Fanons eigenes Begehren, wie es z.B. in seinen Beziehungen zu weißen Frauen deutlich wird, führte ihn weg von seinen theoretischen Schriften, an einen ganz anderen Ort. Diesem Umstand ist durchaus Bedeutung beizumessen: Gleichzeitig sollte man allerdings auch zur Kenntnis nehmen, dass natürlich die französischen Frauen, mit denen viele der Anführer der Revolution Beziehungen pflegten, ihrerseits diesen Prozess unterstützten und zudem durch ihre Bildung, die so vielen schwarzen Frauen verwehrt blieb, begünstigt waren. Das verdeutlicht auch die Problematik, die Maryse Conde im Film anspricht, wenn sie sagt, dass sie sich als junge schwarze Frau in Fanons Schriften nicht erkennen kann. Auch Lola Young (8) schreibt über die schwarze Frau, die aus Fanons Bereich hinausgeschrieben ist : es scheint, als wäre sie die Andere der Anderen. Sie begehrt, ist selbst jedoch nicht das Objekt des Begehrens.

Fanons Vermächtnis

Zusammenfassend möchten wir eine Reihe von Fragen aufwerfen, die sowohl im Kontext des postkolonialen Diskurses, wie auch in Bezug auf Körper, Macht und Begehren Resonanzflächen bilden.

Fanon starb, als sich der Prozess der De-Kolonisation auf seinem Höhepunkt befand. Allein 1961, im Jahr seines Todes, wurden zwölf oder dreizehn Länder zu unabhängigen Staaten. Selbst so viele Jahre später stoßen wir immer noch auf zahlreiche Überreste des kolonialen Erbes, auch in den sogenannten unabhängigen Staaten (wie die Verwicklung der französischen präsidialen Elitetruppe, die erst kürzlich von Lionel Jospin aufgelöst wurde, in die Massaker von Rwanda zeigt). Fanon hatte in der Tat vieles an der Ideologie dieser entstehenden Nationen zu kritisieren, besonders die Art und Weise, wie die Bourgeoisie durch die Einrichtungen einer zivilen Gesellschaft hindurch die rücksichtslose Logik des kolonialen Kapitalismus ungehindert in die postkoloniale Periode fortsetzte.

Indem es unsere Aufmerksamkeit gerade auf die subliminalen, unbewussten Dimensionen von Rassimus lenkt, bleibt Fanons Werk heute genauso wichtig wie vor dreissig Jahren. Es ist gerade dieser Aspekt seiner Arbeit, der sie so aktuell macht. Nach der ersten Vorführung des Films schrieb Bérénice Réynaud, Kritikerin der Cahiers du Cinema, in ihrem Kommentar über den 'melancholischen' Aspekt des Films, der durch die Musik noch verstärkt wird. Man könnte diese Melancholie vielleicht als Ergebnis unseres Wunsches, unseres Versuchs deuten, uns mit Fanons Vermächtnis auseinanderzusetzen. An der Post-Zivilrechtsperiode in den USA wird z.B. deutlich, dass zwar einige institutionalisierte Rassismen nun aufgearbeitet werden, der latente, schwelende Rassismus jedoch ist nach wie vor Bestandteil der amerikanischen Gesellschaft. Man kommt in Bezug auf England, Frankreich oder Italien, wenn auch auf unterschiedliche Weisen, zu einem ähnlichen Ergebnis. "Wie sieht dieser unbewusste Rassimus aus?"

Die Entkolonisierung des Denkens stellt sich als komplexes Unterfangen dar. Fanons Beschwörung eines dritten Weges der Blockfreiheit und der politischen Konfrontation mit dem Westen findet nach wie vor Widerhall. Sein Konzept eines Nationalbewusstseins ohne Nationalismus, abseits jedes ideologischen Ausdrucks der kulturellen Eigenheiten einer Nation, die frei ist von Antagonismen und den Rivalitäten traditioneller Nationalismen, scheint heute in genauso weiter Ferne zu liegen wie damals. Man möge sich in Erinnerung rufen, dass Jacques Lacan bei einem Fernsehauftritt seiner Skepsis in Bezug auf die Zukunft eines Humanismus, der nicht zumindest einige Elemente von Nationalidentität an eine überstaatliche Nationaleinheit [z.B. die Vereinten Nationen] abtreten würde, Ausdruck verlieh.

Das Fanonsche Subjekt ist geteilt. Die Gewalttätigkeit internationaler Konflikte spiegelt sich in den Analysen seiner Schriften wieder. Fanons Auseinanderstzung mit Hegel und Sartre hat die Dezentrierung des Cartesianischen Subjekts zur Folge. Eingebettet in eine philosophische Tradition, die sich von der Phänomenologie ableitet, nimmt Fanons Werk nichtsdestotrotz sowohl die Ablehnung des Humanismus und des Universalismus durch den Strukturalismus vorweg, wie auch die Rückkehr des Politischen im Poststrukturalismus. In der Betonung der 'Veränderbarkeit des Anderen' ähnelt sein Ansatz einigen Thesen von Levinas. Moralische und ethische Anliegen stehen im Zentrum von Fanons Schriften, und diese Gewichtung ging in der ursprünglichen Rezeption von Die Verdammten dieser Erde als Fibel für die Revolution der Dritten Welt möglicherweise verloren oder wurden als zu selbstverständlich betrachtet. Fanons Werk ist ein Aufruf an die einer westlichen liberalen Tradition verpflichteten Schriftsteller, gemeinsam mit ihm eine Neubestimmung dieser Tradition zu unternehmen, die ihren Ursprung aus einer Position ableitet, die Gayatri Spivak später als 'das Untertänige' bezeichnen sollte.

Fanon wurde im Rahmen seiner Erziehung angehalten, sich selbst als Subjekt französischer bzw. globaler Aufklärung zu begreifen. Doch durch seine Begegnung mit dem kolonialen bzw. europäischen Rassismus wurde er schließlich zum schärfsten Kritiker dieser Tradition, die er sowohl aus dem Inneren seiner Gesellschaft heraus wie auch von außen kritisierte.

Durch welche Art der Erfahrung des Anderen man letztendlich transformiert wird, spielt in Fanons Schriften keine Rolle: auf dass wir alle zu guten oder besseren Bürgern werden, mit der Fähigkeit zu höherer Akzeptanz und mehr Toleranz ausgestattet -obgleich das an sich keine schlechte Sache wäre. Es geht aber auch darum festzustellen, dass es Erfahrungen geben mag, die nicht so leicht auf das Gebiet der liberalen Philosophie übertragen werden können. Faschismus und Terrorismus sollen hier als Beispiele dienen.

Um es mit Ian Chambers zu sagen: "To query and undo that so-called critical distance justified in the same of science, knowledge and 'truth', and to take the opportunity of the return of the repressed, of the repressed side of modernity in which reason has also and always been accompanied by terror, is to reconfigure the language in which I dwell and which provides me with my home."

Fanon wirft uns auf die Problematik des Terrors zurück, der die Nachtseite der Französischen Revolution verkörperte. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wurden nur durch den Terror der Revolution und der kolonialen Geschichte, die den Republiken nachfolgte, durchgesetzt und aufrechterhalten. Wichtig an Fanons Schriften zur Gewalt ist, dass er nicht Verfechter einer Gewalt ist, wie sie zum Beispiel Hannah Arendt beschreibt, sondern dass er einfach der Möglichkeit ihrer Notwendigkeit innerhalb bestimmter Kämpfe ins Auge sieht. Es mag einen Moment geben, an dem der Einsatz von Gewalt nützt, um die Kommunikation wiederherzustellen, wie Alice Cherki dies in ihrem Beitrag ausdrückt.

Homi Bhabha weist in seinem Kommentar darauf hin, und unser Film versucht es zu zeigen: in Wirklichkeit besteht dieser antikoloniale Kampf auch aus der gewalttätigen Konfrontation der Körper der Repräsentanten kolonialer und liberaler Mächte. In Bezug auf den Einsatz der Folter - hier wird es nun schwierig, Fanon zu folgen - schreibt er, dass der- oder diejenige, die gefoltert wird, durch seinen/ihren Widerstand einen moralischen und ethischen Sieg erzielt. Dies geschieht durch eine völlige Aufgabe des Körpers. Am Ende des Films zitieren wir Fanon: "Von dem Moment an, wo du und deinesgleichen wie Hunde liquidiert werdet, müsst ihr euch eure Bedeutung bewahren. Darum müsst ihr euch so heftig wie möglich gegen die Körper eurer Folterer auflehnen, damit deren auf Umwegen verlorengegangene Seelen sich möglicherweise am Ende wiederfinden. Und dann ist da diese überwältigende Stille - selbstverständlich schreit der Körper auf - diese Stille, die den Folterer überwältigt." (9) Indem man seinen Körper aufgibt (aber nicht die Sache), gewährt man nicht, wie aus der Foucaultschen Perspektive, denen Autorität, die an der Macht sind, sondern demonstriert sowohl die Grenzen dieser Macht als auch die Möglichkeit ihrer Überwindung. Tatsächlich macht Bhabha in unserem Film (und in seinem Essay im Mirage Katalog) Fanon beinahe zu Levinas: in Wirklichkeit handelte es sich um eine Aufforderung an den Gefolterten, die Verantwortung für seine Folterer zu übernehmen.

Allerdings möchten wir hier über einen Film, der von Fanon handelt, wie über Fanon selbst sprechen. Das Kino in seinen Anfängen war massiv daran beteiligt, erotische, koloniale und imperialistische Fantasien zu wiederholen und diese so aufrecht-zuerhalten. Der Körper ist, wie wir heute wissen, vom Kino 'durchdrungen', unsere visuelle Erfahrung anderer Körper ist in der Tat beinahe vollständig cinematisiert. Zudem spielte das Kino in oppositionellen und antikolonialen Kämpfen immer eine wichtige Rolle, ob wir nun an die Filme von Joris Ivens oder Jean-Luc Godard denken, um nur zwei Beispiele zu nennen.

In Wahrheit ist unser Film ein Palimpsest von Filmen - anderer wie auch eigener. Überwachungs-Dokumentationen der Franzosen aus Algerien, gänzlich unterschiedliches Material von René Vautier ('J'ai Huit Ans - I'm 8 years old'), The Battle of Algiers usw. Unser Film nähert sich Fanons Werkkomplex vorsichtig an, und gibt dem Ganzen durch den Körper unseres Fanon - Colin Salmon - einen erotisierenden Look.

Um mit Walter Benjamin zu sprechen: Das Kino ist eine 'Einbahnstrasse'. Es ist nicht, wie man sich häufig vormacht, ein Ort des gleichberechtigten Austausches zwischen FilmemacherInnen und Publikum. Es ist vielmehr ein Ort des Übergangs, an welchem Vorstellungen und Fantasien repäsentiert und missrepräsentiert werden. Wir hoffen, dass unser Film durch sein visuelles Engagement das Publikum auf eine der Reisen mitnimmt, von denen Fanon immer geträumt hat ...

Am Ende ihres Artikels über Fanon, 'Writing As Self-Translation', betont Teresa de Lauretis, auf welche Weise Fanon die Behauptung eines Selbsts, das die Geschichte transzendiert ("I am my own foundation"), durch eine Art radikaler Verneinung unmittelbar unterbrochen wird ("The Negro is not, any more than the white man."). Seine letzten Worte in Die Verdammten dieser Erde : "Oh my body, make of me always a man who questions", verweisen uns an einen Ort der Vorstellung, wo Körper und Seele, Soma (10) und Psyche, Materialität und Sprache einander gegenübertreten.

Übersetzung: Ute Meta Bauer

Bearbeitung: Constanze Ruhm

Anmerkungen

(1) Frantz Fanon, (orig.) Peau noire - masques blancs, Paris 1952; (engl). Black Skin, White Masks, (dt.) Schwarze Haut - weiße Masken, Frankfurt/M. 1980.

(2) Frantz Fanon, (dt.) Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt/M. 1966; (orig.) Les damnés de la terre, Paris 1961; (engl.) The Wretched of the Earth

(3) Stuart Hall, "The Afterlife of Frantz Fanon: Why Fanon? Why Now? Why Black Skin, White Masks" in: The Fact of Blackness: Frantz Fanon and Visual Representation Hrsg. Alan Read, London: ICA, Seattle: Bay Press 1996, S. 26- 31

(4) Simone de Beauvoir, Der Lauf der Dinge, Reinbek: Rowohlt 1970; (orig) La force des choses, Paris 1963.

(5) Für Normal Film

(6) [Palimpsest: antikes oder mittelalterliches Schriftstück, von dem der ursprüngliche Text aus Gründen der Sparsamkeit getilgt und dann neu beschriftet wurde.]

(7) Yervant Gianikian und Angela Ricci Lucci im Interview mit Scott Macdonald in: A Critical Cinema 3

(8) Lola Young, "Missing Persons - Fantasising Black Women" in: Black Skin White Masks in: The Fact of Blackness

(9) US vs p 295 Zitate von Bhabha, UK vsp 238 steht: "its universal dimension"

(10) [Soma: die Gesamtheit aller Körper]

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