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:kynstlerhaus

10 / 12 /1999 - 24 / 01 / 2000
Ausstellung / Performance / Diskussion

:kynstlerhaus / Projektseite


haus.0 Rechercheinterviews mit Gründungsmitgliedern des Künstlerhauses / geführt 1999

TeilnehmerInnen: Biographien

Ulrich Bernhardt, der Initiator und von 1978 bis 1986 erste künstlerischer Leiter und Geschätsführer des Künstlerhaus Stuttgart, studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Bereits 1971 war er freier Fernsehjournalist beim SDR Stuttgart. 1975 entstanden erste Videokunstarbeiten und er war Mitbegründer der Kommunikationsgruppe. Weiterhin hat er seit 1975 verschiedene Lehraufträge für den Bereich Video inne, wie zum Beispiel an der Kunstakademie Stuttgart oder an der Merzakademie.

Hella Böhm studierte in Stuttgart an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste und der Universität Kunst, Kunstgeschichte, Romanistik und Literaturwissenschaft. Seit 1977 ist sie freiberuflich als Künstlerin, Videofilmemacherin und Dozentin für Medienpädagogik tätig. Als Mitbegründerin der Kommunikationsgruppe arbeitete sie 1983-1988 in der Videowerkstatt des Künstlerhaus Stuttgart. Sie nahm als Künstlerin und Videomacherin mit Ihren Arbeiten an internationalen Videofilmfestivals teil. Weiterhin übernahm sie Auftragsarbeiten für Kunst- und Kulturinstitutionen. Sehr früh setzte sich Hella Böhm mit feministischen Fragen auseinander. Sie organisierte die Veranstaltungsreihe „Filmemacherinnen“ im Kommunalen Kino Stuttgart und gründete u.a. den „Frauen-Treff Stuttgart“. Um 1992 beschäftigte sie sich mit dem Aufbau des Krisenund Beratungszentrums für vergewaltigte Frauen in Berlin und einem Videofilm-Archiv zum Thema „Gewalt gegen Frauen und Mädchen“ sowie der Entwicklung einer Medien-Kampagne zur Prävention. 1997 nahm sie am 10. Stuttgarter Filmwinter an einer Werkschau teil. Seit 1988 ist sie als Lehrauftrage an der Hochschule der Bildenden Künste Berlin (Fakultät Bildende Kunst/Institut für Kunst im Kontext) tätig.

Reinhard Knoedler ist Medienproduzent, Architekt und Stadtplaner in Stuttgart. Anfang der 70er Jahre war er Mitbegründer der Kommunikationsgruppe Stuttgart und 1978 Gründungsmitglied des Künstlerhauses. Seit 1976 ist er freiberuflich in der Kunst- und Videoproduktion tätig. 1985 gründete er die Firma Videoplan und produziert seitdem Videos in den Bereichen Architektur, Planung und Umwelt. An der HDM Stuttgart hat er Lehraufträge für Kommunikationstheorie und AV-Techniken und bereitet 1999 einen Kurs über Computersimulation vor, den er an der Lousiana State University durchführen wird.

Otto Kränzler, der ein interdisziplinäres Studium der Musikelektronik an der Universität und Musikhochschule Stuttgart u.a. bei Max Bense, Erhard Karkoschka und Roland Kaiser absolvierte, gründete das Audio- Computerstudio im Künstlerhaus und ist bis heute dessen Leiter. Er arbeitete als freier Mitarbeiter beim WDR Köln und führte Projekte u.a. mit Karlheinz Stockhausen durch. Seit über zwanzig Jahren macht er Konzerte sowie Produktionen für Videos, Performances und Multimedia- Projekte. Für die Opern von Adriana Hölszky produzierte er Zuspielbänder und ist für die Klangregie bei verschiedenen Aufführungen wie zum Beispiel "Wiener Festspiele" und an den Opernhäusern Bonn, Frankfurt, Bremen und Oldenburg verantwortlich.

Evelyn Lepetit-Knoedler studierte zuerst in Paris Betriebswirtschaft, Jura und Ökonomie. Später besuchte sie in Paris Dramatikkurse und war an der Faculté des Langues Orientales und an der American University in Beirut Gasthörerin in Arabisch. Seit 1976 arbeitet sie freiberuflich mit audio-visuellen Medien. Sie produzierte zahlreiche dokumentarische und künstlerische Videos, organisierte Videofestivals und Kongresse, Vorträge und Kurse. Auftragsarbeiten führte sie zum Beispiel für das Kulturamt , das Institut für Auslandsbeziehungen und für unterschiedliche Dritte-Welt-Organisationen durch. Sie war Gründungsmitglied im Künstlrhaus Stuttgart und leitet seit 1979 die Videowerkstatt im Künstlerhaus. Seit 1985 ist sie erster Vorstand der Stuttgarter Kommunikationsgruppe e.V.. Im gleichen Jahr gründete sie mit Reinhard Knoedler die Firma Videoplan.

Rolf Schnieders studierte an der Fachhochschule Darmstadt Elektrotechnik mit Schwerpunkt Nachrichtentechnik und arbeitete später als Entwicklungsleiter für Kleincomputer in der freien Wirtschaft. Bereits Anfang der 70er begann er mit dem damals neuen Medium Video zu arbeiten und war Mitbegründer einer Pioniergruppe der „Videobewegung“ (telewissen). Mit dem Projekt „Macht Euer Fernsehen Selber“ nahm er 1972 an der documenta 5 teil. Später produzierte er für das Jugendprogramm des SDR und WDR Sendungen wie zum Beispiel „Teamwork“. Als Mitbegründer der Stuttgarter-Kommunikationsgruppe e.V. stand er am Künstlerhaus Stuttgart anderen Künstlern mit seinem technischen Wissen zur Seite. Bereits Ende der 70er Jahre setzte er sich mit Musikvideos auseinander. Während seiner Mitarbeit in der Videowerkstatt des Künstlerhaus Stuttgart produzierte er mit Loretta Walz u.a. „Das Künstlerhaus in der Studiogalerie Warschau“ und Dokumentationen wie „Zum Beispiel San Francisco – Eine Stadt lebt mit AIDS“. Heute lehrt er in Münster an der Fachhochschule im Bereich Design (Film, Foto, AV-Medien) inne. Parallel arbeitet er vorwiegend in der freien Videoproduktion.

René Straub studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart und anschließend Linguistik und Geschichte an der PH-Ludwigsburg. 1982 gründete er mit Harry Walter ABR Stuttgart. Er ist Leiter der Siebdruckwerkstatt im Künstlerhaus und seit Sommer 1999 1. Vorsitzender des Vereins. Heute ist er an der Freien Kunstschule Nürtingen als Geschäftsführer und Dozent tätig.

Harry Walter studierte an den Universitäten Stuttgart und Tübingen Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte. Er ist seit der Gründung Mitglied im Künstlerhaus. 1978/79 lehrte er an der "Galerie und Kunstschule Neue Weinsteige 10". 1982 gründete er mit René Straub ABR Stuttgart. Von 1985-87 hatte er eine Lehrtätigkeit in Japan inne. Heute ist er Dozent an der Freien Kunstschule Nürtingen. Er realisierte zahlreiche Ausstellungen und Publikationen.

Loretta Walz ist Filmemacherin, Regisseurin und Autorin. An verschiedenen Institutionen ist sie Dozentin für Videotechnik und Filmarbeit, wie z.B. an der HdK Berlin. Sie hat u.a. 1976 bei "teamwork", einer Produktion für den SDR, mitgewirkt, sowie an zahlreichen gesellschaftspolitischen und künstlerischen Dokumentationen. Seit 1979 beschäftigt sich Loretta Walz mit Biographien von Frauen aus dem Widerstand. Ihr Film "Erinnern an Ravensbrück" dokumentiert Erlebnisse von Frauen, die das KZ überlebt haben auf Video. Bis Mitte der 80er Jahre war sie in der Kommunikationsgruppe tätig. Heute besitzt sie ein Videoproduktionsstudio in Berlin.


Interview mit Evelyn Lepetit-Knoedler und Reinhard Knoedler
(Kommunikationsgruppe, Videowerkstatt Künstlerhaus)

Christine Kunze: 1978 habt ihr Videoportraits über verschiedene alternative Kunstzentren gedreht. Inwiefern gaben diese Kunstzentren Anregungen für die Entstehung des Künstlerhauses?

Evelyn Lepetit-Knoedler.: Während eines Aufenthalts in San Francisco 1978 kamen wir mit verschiedenen alternativen Kunstzentren in Kontakt. Das Künstlerhaus in Stuttgart war gerade in seiner Entstehungsphase und wir sahen einige Parallelen. Um Anregungen für das Künstlerhaus zu geben, kamen wir auf die Idee, Portraits von anderen Kunstzentren zu machen. In Amerika haben wir zwei Filme gedreht, einen in San Francisco. Das war das Project Artaud. Dort haben Künstler in einer alten Fabrik gelebt und gearbeitet. Das zweite Projekt war in New York in einem Frauenzentrum namens "Womans Interart Center" - auch in einem alten Gebäude. Es sollten insgesamt vier Portraits entstehen. Deshalb haben wir noch zwei Portraits in Europa gemacht. Wegen den Druckwerkstätten haben wir eines in der Nähe von Antwerpen, im Rijkscentrum voor Grafik - Frans Masareel, Kasterlee (Belgien) gedreht. Das vierte Portrait haben wir in Amsterdam in einem alten Gefängnis namens "De Lik" aufgenommen. Das war sehr interessant, denn sie wollten auch ein Kunstzentrum darin gründen. Diese vier Portraits sollten der Stadt Stuttgart zeigen, dass in anderen Städten alte Gebäude von Künstlern zum Arbeiten genutzt werden. Man nannte das "urban recycling". Und so konnten wir vier verschiedene Beispiele präsentieren: Project Artaud war ein Beispiel für ein Kunstzentrum, wo Künstler in Ateliers arbeiteten und dort lebten, Woman´s Interart Center hatte Arbeitsplätze und ein Theater, so wie dann das Künstlerhaus, in das Rijkcentrum voor Grafiek wurden internationale Künstler eingeladen, um Produktionen zu liefern. Und "De Lik" war gerade eine alternative Planung eines zukünftigen Projekts, wo es einen Zusammenhang mit Architektur, künstlerischer Produktion und "urban recycling" gab. Das Wort "interart" war sehr wichtig bei allen Zentren, man wollte, wie auch in Stuttgart, eine Kommunikation zwischen verschiedenen Bereichen schaffen, damit eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Bereichen wie Video, Audio, Theater, usw. entsteht.

C.K.: In der Kommuniktionsgruppe prallten die verschiedensten Bereiche wie Kunst, Dokumentation, Politik, Soziologie, Trickfilm, Architektur und Unterhaltung aufeinander. Gab es da Konflikte?

E.L.-K.: Manchmal schon, aber im Grunde genommen respektierte man sich gegenseitig und das, was der andere machte. Wir haben aber auch viel zusammengearbeitet, wie zum Beispiel während der Jugendkulturwoche.

C.K.: Wie hat sich deine Arbeit in der Videowerkstatt, als langjähriger Leiter der Videowerkstatt, auf deine Lehrtätigkeit als Dozent ausgewirkt?

Reinhard Knoedler: Ich habe durch die Arbeit mit den Studenten immer den Puls der Zeit mitgekriegt, d.h. was die jungen Leute wollen von studentischer Seite. Hier ins Künstlerhaus sind viele Studenten gekommen, die sonst kein Studio zur Verfügung hatten. Ich habe die sich verändernden Sehgewohnheiten mitbekommen. Der Gruppenaspekt war früher stärker, ist aber inzwischen etwas eingeschlafen. Um nochmals auf meine Lehrtätigkeit zurückzukommen: Wenn du etwas vermitteln möchtest, ist es wichtig, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Theorie und Praxis zu haben. Wenn du nur Praxis lehrst, ist es zu eindimensional, umgekehrt genauso. Für mich in der Lehre ist das Wichtige, dass man versucht aus der Praxis heraus Dinge zu entwickeln und aus der Theorie heraus neue praktische Erfindungen zu machen. Das hat mich immer an Video gereizt. Bei der Arbeit mit Video hast du keine natürlich gesteckte Grenzen, sondern man hat ein Kommunikationsmedium in der Hand, das quasi nach allen Seiten hin offen ist, zu allen Strömungen, die sich in der Gesellschaft äußern. So habe ich auch die Möglichkeit, mit den verschiedensten Branchen zu kommunizieren, ob es Physik, Internet oder Architektur ist.


Interview mit Loretta Walz
(Kommunikationsgruppe; Mitbegründung Videowerkstatt)

Fareed Armaly.: Wie kam es Anfang der 70er Jahre zu deiner Arbeit mit Video?

Loretta Walz: 1975 begann ich als Sozialarbeiterin in einem Jugendhaus zu arbeiten. Dort produzierten wir mit den Jugendlichen Fotogeschichten, d.h. große Fotoplakate mit Sprechblasen sowie Ton-Diageschichten. Ein Fernsehteam, einer davon war Rolf Schnieders, produzierte hier eine Fernsehserie. Die Sendung hieß "Teamwork - Wir machen unser Fernsehen selber". Es gab immer ein Thema, dazu produzierten Jugendliche Sendungen, eine Theatergruppe schrieb das Drehbuch und eine Rockband machte die Musik. Das war der Anfang meiner Arbeit mit Video.

F.A.: Was war damals Euer Schwerpunkt bezüglich Video?

L.W.: Unser Schwerpunkt, den wir lange Zeit verfolgten, waren Musikvideos, Musikfilme und viele Produktionen für den WDR.

F.A.: Du hast im Künstlerhaus in der Kommunikationsgruppe gearbeitet. Wie sah die Zusammensetzung der Gruppe aus?

L.W.: Die Gruppe war nicht homogen, es haben sich verschiedene Interessen vereinigt. Es gab einen gesellschaftspolitischen, einen dokumentarischen und einen künstlerischen Ansatz, sowie Leute, die mit Trickfilm arbeiteten.

F.A.: War es ein wichtiger Punkt, dass Rolf eine Kamera hatte und Techniker war? Es war ja eher selten in dieser Zeit, eine Kamera zu haben.
L.W.: Rolf brachte die Technik in die Gruppe. Es war zu dieser Zeit eher selten, Geräte zu besitzen, da sie sehr teuer waren. Es war auch nicht geläufig, einen Portapack zu Verfügung zu haben. Die ersten tragbaren Geräte kamen damals erst auf und es gab nicht viele Leute, die eine besaßen, vor allem nicht im Kunstbereich.

F.A.: Warum hat die Kommunikationsgruppe eine Videowerkstatt im Künstlerhaus gegründet?

L.W.: Es hing auch damit zusammen, dass bei Video die Nachbearbeitung sehr schwierig ist. Wir haben gesehen, dass eine Zusammenarbeit notwendig ist, wenn man nicht im rein kommerziellen Bereich arbeitet und es sich deshalb nicht leisten kann, ein kommerzielles Schnittstudio zu eröffnen, vor allem wenn man aus dem künstlerischen oder dokumentarischen Bereich kommt. Der Sinn einer Werkstatt lag auch darin, dass man sich dort verwirklichen konnte, ohne dass es der gesellschaftlichen Stimmung entsprechen muss.

F.A.: Welche Möglichkeiten bestanden damals für Frauen, an der Kamera zu lernen, da Technik und Kamera eine Männerdomäne waren?

L.W.: Ich hatte das Glück, in der Kommunikationsgruppe zu arbeiten und somit standen mir Möglichkeiten offen, von denen ich sonst als Frau ausgeschlossen gewesen wäre.

Christine Kunze: In einem Text von Hella Böhm von 1978 habe ich gelesen, dass besonders die neu entdeckten Medien, wie zum Beispiel Video, für Frauen sehr geeignet waren, um zu experimentieren und sich auszudrücken. Gab es im Bereich Video frauenspezifische Themen?

L.W.: Das ist schwer zu sagen. Die Frage nach dem weiblichen Blick begleitet mich bis heute und sie spielt in der Medienlandschaft eine große Rolle.

F.A.: Wie war die Gruppenzusammenarbeit in der Kommunikationsgruppe und im Künstlerhaus?

L.W.: Wir hatten die Schwierigkeit, dass das, was wir gemacht haben, keine richtige Kunst war. Es gab Hierarchien. Vom Blickpunkt des Künstlerhauses waren natürlich die Videokünstler die "hochwertigsten". Und es hieß immer, das, was die Dokumentaristen machen, ist keine Kunst und man könne das nicht ausstellen. Es gab im Künstlerhaus Künstler, die die Kommunikationsgruppe als Dokumentationszentrum ihrer Kunst ansahen. Ich sehe die Auseinandersetzungen im Künstlerhaus aber nicht als Negativbeispiele, sondern die Reibungen waren sehr fruchtbar.

F.A.: Kannst Du eine Verbindung herstellen zwischen deiner früheren Arbeit in Stuttgart und dem, was du jetzt in Berlin machst?

L.W.: Für mich war die Arbeit im Künstlerhaus grundsätzlich ein sehr wichtiger Teil. Über die zwanzig Jahre betrachtet, denke ich, dass ich persönlich die große Chance hatte, in eine Arbeit hineinzuwachsen, mich zu professionalisieren. Der Beginn meiner Videoarbeit in Stuttgart hat mir eine Basis gegeben, von der ich bis heute existieren kann. Von heute aus betrachtet, denke ich, unsere Arbeit war auch wirklich für diese Zeit typisch, dieser heiße Herbst 1976, Stammheim, die ganze politische Geschichte, die Suche. Auch meine Interviews mit Frauen, die in Konzentrationslagern oder im antifaschistischen Widerstand waren, hatten ihren Usprung in der Suche nach einer politischen Identität. Mit dieser Arbeit habe ich noch in Stuttgart angefangen. Mein erster Kontakt zu den Frauen war 1978. Zu der Zeit habe ich als Regieassistentin an einem Film für den Süddeutschen Rundfunk gearbeitet. Im Rahmen dieses Films haben wir eine 70-jährige Frau interviewt, die im Konzentrationslager Ravensbrück war, weil sie im Widerstand tätig war. Es entstand die Idee, die Lebensgeschichten dieser Frauen aufzuzeichnen. Es ist Jahrhundertgeschichte. Es gibt sowas speziell zum Thema Frauen nicht.

F.A.: Gab es einen Auftrag?

L.W.: Nein, es gab keinen Auftrag. Zuerst habe ich mit anderen Frauen gearbeitet, die ein Interesse an dem Thema hatten. Erst Mitte der 80er begann ich, Filme daraus zu machen. Es sind Fernsehbeiträge entstanden. Das zentrale Projekt war, Lebensgeschichten von Frauen, die in diesem Jahrhundert politisch aktiv waren und in ihrer politischen Aktivität verfolgt waren, aufzunehmen. Inzwischen sind es über hundert. Ich hatte schon 1994 das erste Konzept, ähnlich wie Spielberg es jetzt macht, geschrieben. Es gibt ein Konzept, nicht über Internet, wie er das plant, sondern über eine Datenbank im Computer mit abrufbaren bewegten Bildern, die aber ganz gezielt angesiedelt ist in der Gedenkstätte Ravensbrück, also in der Gedenkstätte, in der die meisten Frauen gewesen sind und weil Ravensbrück in Brandenburg liegt und Brandenburg überhaupt kein Geld hat, war es eben bis heute nicht finanzierbar, diese Computerstation zu realisieren. Dies hat sich in den letzten fünf Jahren technisch und inhaltlich auch immer wieder geändert. Ich bin gerade dabei das Konzept nochmal umzuschreiben, zu aktualisieren. Diese Spielbergsche Sammlung hat alles so überrollt, deshalb war es in den letzten zwei Jahren sehr schwer, an Geld zu kommen. Die Kritik, die ich an der Spielbergschen Sammlung habe, ist der Umgang damit. Wenn man in Deutschland damit zufrieden ist, dass ein Amerikaner sozusagen die Lösung für einer Aufarbeitung der Verfolgunggeschichte präsentiert, ist der Fall erledigt. Ich glaube, dabei wird sehr oft von deutscher Seite vergessen, das es auch hier solche Ansätze gibt, die natürlich nicht das Geld, den Namen und die Publicity hatten. Man sollte sich auch mal die Archive und die Sammlungen, die hier entstanden sind, anschauen. Dies passiert aber jetzt auch wieder verstärkt und diese Tendenz gibt mir jetzt auch wieder ein bißchen die Hoffung, dass meine Arbeit die Chance hat, veröffentlicht zu werden. Ravensbrück war ja in der DDR, so gab es lange Zeit gar nicht die Möglichkeit einer Verbindung. Das Projekt ist ja eher eine private Sammlung und ist nicht institutionell eingebunden. Das ist auch eine Schwierigkeit.

F.A.: Wie ist das, wenn man soviele Interviews mit Frauen, die einen ähnlichen Hintergrund haben, macht? Ähneln sie sich nicht alle nach einer gewissen Zeit?

L.W.: Es ist immer neu. Das hängt damit zusammen, dass mich immer das Leben interessiert hat. Spielberg hat nur mit jüdischen Verfolgten gearbeitet, meine Interviews sind zu 90 Prozent mit Frauen, die bewußt etwas eingegangen sind, die gekämpft haben, sie haben sich gegen das System engagiert und betätigt. Sie sind das Risiko eingegangen, dafür verhaftet zu werden, ins KZ zu kommen. Das ist ein ganz wichtiger Unterschied. Die Geschichten sind alle anders. Nur die Zeit im KZ ist das einzige Verbindungsglied. Es sind andere Personen, andere Ausgangsbedingungen, andere Länder.... Es ist immer wichtig, die Besonderheit der Person herauszufinden. Und für mich ist es wichtig, die Biographien dieser Frauen festzuhalten, bevor alles in Vergessenheit gerät.


Interview mit Rolf Schnieders (Kommunikationsgruppe, Videowerkstatt)

Christine Kunze.: Du kanntest dich durch deine langjährige Arbeit beim Fernsehen sehr gut mit der Videotechnik aus und warst der einzige, der eine Farbkamera besaß. So ergaben sich Möglichkeiten für viele Leute, wie zum Beispiel für Frauen, mit dem Medium zu arbeiten und die Technik zu lernen.

Rolf Schnieders.: Nachdem ich am Anfang in schwarz-weiß gearbeitet habe, besaß ich dann in meiner Stuttgarter Zeit eine Farbkamera. So konnte ich für das Fernsehen produzieren, nachdem von schwarz-weiß auf Farbe umgestellt wurde. Durch meine berufliche kommerzielle Arbeit mit dem Medium konnte ich mir das Equipment finanzieren. Nebenher habe ich mit vielen Leuten zusammengearbeitet, wie Loretta Walz oder Hella Böhm. Viele Leute in Stuttgart bekamen dadurch die Möglichkeit in Farbe zu arbeiten, da sie einen Zugriff auf meine Geräte hatten und ich ihnen Hilfestellung gab, da ich bereits langjährige Erfahrungen im Videobereich durch mein Studium der Elektrotechnik und durch die Arbeit beim Südfunk hatte.

C.K.: Worin lag der Unterschied zwischen deiner Arbeit beim Fernsehen und deiner Arbeit in der Kommunikationsgruppe?

R.S.: Die Vorgaben vom Fernsehen waren damals noch sehr offen. Man konnte Projektideen einbringen, an denen man relativ unbeeinflußt von weiteren Redakteuren arbeiten konnte. Die eigentliche Arbeit hat sich so gesehen nicht sonderlich von der Arbeit im Künstlerhaus unterschieden. Jedoch war die finanzielle Basis eine ganz andere. Anfang der Siebziger war es nicht geläufig, dass Videoproduktionen im Fernsehen gezeigt wurden. Die "Telewissengruppe" aus Darmstadt, die ich mitgegründet hatte, hat die ersten Videoproduktionen überhaupt für das Fernsehen gemacht.

C.K.: Worin bestand dann deine Motivation, in der Videowerkstatt im Künstlerhaus zu arbeiten?

R.S.: Einerseits hatte ich ja schon beim Fernsehen die Möglichkeit, mich auszudrücken. Wenn man eine Fernsehproduktion macht, muß man auf einen bestimmten Termin hinarbeiten, muß auf ein Zeitlimit von 45 Minuten hinarbeiten und ein bestimmtes Zielpublikum haben. Damals haben wir viele Sendungen für Jugendliche produziert. Im Künstlerhaus war ein ganz anderes Zielpublikum. Man konnte mit Künstlern arbeiten, und dadurch hatte man ein ganz anderes Arbeitsfeld.

C.K.: Kannst du mir etwas über die Fernsehproduktion "Teamwork" erzählen?

R.S.: Wir haben mit einer Jugendgruppe sieben Produktionen für den SDR gemacht. Die Theatergruppe "Rote Grütze" hat Themen, die von den Jugendlichen per Video erarbeitet wurden, nochmal überarbeitet. So entstanden zwei Ebenen, eine schwarz-weiß Ebene auf Video und eine professionellere Ebene im 16mm Filmformat, für die die Theatergruppe nach den Videovorlagen der Jugendlichen gespielt hat.

C.K.: Du kommst aus dem dokumentarischen Bereich. Wie war es für dich, in einem Künstlerhaus zu arbeiten?

R.S.: Es gab damals schon ein paar Anmerkungen, dass Dokumentarfilm nicht unbedingt in den künstlerischen Bereich reingehöre, aber andererseits wollten die Künstler das technische Know-How miteinbringen. Wir haben sehr viele Arbeiten mit Künstlern zusammen gemacht, künstlerische Aktionen dokumentiert, wie zum Beispiel den Austausch des Künstlerhauses mit Warschau.

C.K.: Gibt es Aspekte aus deiner früheren Arbeit im Künstlerhaus, die einen Einfluss auf deine gegenwärtigen Arbeit als Dozent für AV Medien haben?

R.S.: Ein Aspekt ist Ausweitung des Blickfeldes und des Themenkreises, dadurch, dass man im Künstlerhaus mit anderen Themenschwerpunkten gearbeitet hat und mit anderen Interessensgruppen, d.h. mit Künstlern. Das gibt natürlich Erfahrungen, zum Beispiel im Hinblick auf die Kameraarbeit, die im Dokumentarbereich nicht so entstanden wären. Diese Erfahrungen kann ich heute sehr gut im Fachbereich Design gebrauchen, da ich nun mit künstlerischgestalterischen Kriterien zu tun habe. In Stuttgart wurde ein Anfang gesetzt, der sich während meiner Zeit in Berlin natürlich weiterentwickelte.

C.K.: Gab es damals viele Möglichkeiten, in Stuttgart, mit Video zu arbeiten? R.S.: Nein, das war eher rar und man erregte schon Aufsehen, wenn man mit der Videokamera auf der Straße herumlief und wenn man in der Öffentlichkeit was gedreht hat. Auf der anderen Seite war das beim Film ähnlich, jedoch war das immer so eine offizielle Sache. Jetzt konnte man inoffiziell auch Filme machen. Ich habe zum Beispiel damals in Stuttgart eine Hausbesetzung gefilmt, bei der die Polizei auch dabei war. Die Konfrontation war aufeinmal eine ganz andere, da durch Video ganz andere Möglichkeiten entstanden sind.

C.K.: Du hast sehr vielschichtig gearbeitet, d.h. im politischen Bereich, Dokumentationen und im Musikbereich. Ihr habt sehr früh Musikclips gemacht.

R.S.: Der Begriff "Clips" war damals noch gar nicht erfunden. Das Stilmittel, Musik mit Bildern zu verbinden, gab es noch nicht. Wir haben erste Gehversuche mit verschiedenen Labels, die es in der Zuckerfabrik in Bad Canstatt gab, gemacht. Dort hatte ich mein Videostudio. Wir hatten das damals so geplant: Die Musiker machen ihre Platten im Tonstudio und kommen “rüber” und “kriegen gleich ein Video dazu verpaßt”. Das funktionierte aber damals noch gar nicht, denn man konnte es nicht verkaufen, da das Stilmittel zu unbekannt und neu war. Im Vergleich zu heute sind die "Clips" sehr langsam, aber immerhin haben wir damals schon angefangen, nach Rhythmus zu schneiden.


Interview mit Hella Böhm (Kommunikationsgruppe, Mitbegründung Videowerkstatt)

Christine Kunze: Du hast 1981 die mehrtägige Veranstaltung "Filmemacherinnen" im Kommunalen Kino iniziiert und dokumentiert. Wie war damals die Situation für Frauen, die mit neuen Medien wie Video gearbeitet haben?

Hella Böhm: Ausgangspunkt für "Frauen und Video" war die Bewegung der Frauentreffs und Frauenzentren, die sich dann zu Frauenkulturzentren weiterentwickelt haben. In den 70er Jahren herrschte ein sehr großer Informationsbedarf, was die Präsenz der Frau in der Öffentlichkeit betrifft. Es ging um eine Orientierung, einen Standpunkt für Frauen in der Gesellschaft zu finden und zu behaupten. Damals wurden die Frauen in der politischen Öffentlichkeit präsent und als Konsequenz dazu auch im Kulturbereich und in den künstlerischen Medien. 1977 fand in Berlin die Ausstellung "Frauen in der Kunst 1877-1977" statt, die von einer Frauenarbeitsgruppe "Frauen in der Kunst" organisiert wurde. Es war wichtig zu sehen, daß Frauen nicht geschichtslos sind.

C.K.: Wie kam es dann zu deiner Arbeit mit Video? Gab es das an der Kunstakademie?

H.B.: Das kam durch den Kontakt mit der Stuttgarter Kommunikationsgruppe, mit Uli Bernhardt und Reinhardt Knoedler. In meiner Akademiezeit habe ich schon immer Interesse an der Arbeit mit Fotosequenzen gehabt und eine Vorliebe für filmische Abläufe. Frauen haben sich damals emanzipiert und ihre eigenen Sachen gemacht. Wir wollten, ähnlich wie die Hausbesetzerszene, die ihre eigenen Videos gemacht hat ein Gegengenöffentlichkeit bilden. Subkulturen entwickelten damals ihr eigenes Vertriebsnetz, um auf Missstände hinzudeuten, ob Atomkraftwerke oder Ökologie, die im Öffentlichen Fernsehen nicht dargestellt wurden. Ähnlich war die Situation auch für die frauenspezifischen Belange, es war wichtig, eine Kommunikation aufzubauen, über Videokassetten, Dokumentation oder in schriftlicher Form. In Stuttgart haben wir dann das "Frauen-Videokollektiv" gegründet, um alle zusammenzubringen, die in diesem Bereich gearbeitet haben.Wir waren eine Interessengemeinschaft, die neue Inhalte aus der Frauenbewegung mit Hilfe dieses Mediums öffentlich machen und verbreiten wollten, in dem ausschliesslich Frauen arbeiteten. Der selbständige Umgang mit der Technik war sehr wichtig, um unabhängig zu sein. Wichtig war, ein Vertriebsnetz zur Präsentation der Filme aufzubauen. Die Kommunikationsgruppe, mit dem Grundstock an Geräten war für mich sehr wichtig und dadurch hat sich meine Arbeit mit Video auch erst richtig ergeben. Mit dem Einzug ins Künstlerhaus kamen dann technische Möglichkeiten dazu, die ich für meine Arbeit gebraucht habe, auch um Kontakte zu knüpfen. Die Werkstatt im Künstlerhaus war für mich wichtig, da ich dort Experimente machen konnte, Dinge ausprobieren, eine Art Laborarbeit.


Interview mit Ulrich Bernhardt (Initiator des Künstlerhauses, der Kommunikationsgruppe, der Videowerkstatt)

Christine Kunze: Du bist der Initiator des Künstlerhauses und der erste Künstlerische Leiter. Warum war es damals notwendig, in Stuttgart ein Künstlerhaus zu gründen?

Ulrich Bernhardt: Zuerst gab es die Stuttgarter Kommunikationsgruppe. Wir wollten damals mit dem neuen Medium Video arbeiten. Es kamen Leute aus dem Fernsehbereich, freie Künstler, die mit diesem Medium arbeiten wollten, Leute aus dem sozialen Bereich etc.. Wir gründeten dann 1974 einen Verein. Unser Interesse lag darin, ein Videostudio aufzubauen, denn die Geräte waren damals sehr teuer. Damals gab sehr viele Privatinitiativen in Stuttgart und es herrschte das Bedürfnis, eine größere Institution zu schaffen, damit diese Initiativen unterstützt werden. Die Kommunikationsgruppe hat mehr oder weniger Propaganda für das Projekt "Künstlerhaus" gemacht. Wir haben uns dann im Ausland verschiedene Kultureinrichtungen angesehen, die uns als Vorbild dienten, z.B. in New York das Women Interart Center. Wir haben Aufzeichnungen in diesen Kunstzentren im Ausland gemacht und haben sie bei politischen Institutionen, bei Parteien gezeigt und haben dadurch einen immer größeren Sympathisantenkreis geschaffen. Wir haben offene Diskussionsveranstaltungen mit dem Thema "Ein Künstlerhaus für Stuttgart" durchgeführt. Daraufhin haben wir das Gebäude in der Reuchlinstraße bekommen und den Verein Künstlerhaus e.V. gegründet.

Fareed Armaly: Was gab es für Institutionen in Stuttgart, in denen man arbeiten konnte?

U.B.: Es gab keine Produktionsmöglichkeiten für Künstler. Alles was wir vorgeschlagen haben, blieb unberücksichtigt. Der Kunstverein wollte nur Ausstellungen machen, die Staatsgalerie konnte den Produktionsbereich natürlich auch nicht fördern. So war es notwendig, eine neue Institution zu schaffen, die genau das macht, was andere nicht machen, und zwar: Die Unterstützung künstlerischer Produktion.

F.A.: Was war der Unterschied zwischen dem Verein Kommunikationsgruppe und dem Verein Künstlerhaus?

U.B: Die Kommunikationsgruppe war eine Diskussions- und Produktionsgruppe, d.h. wir haben sehr viel diskutiert über Kunst und soziale Prozesse. Das Künstlerhaus war sehr heterogen und es war wichtig, ein Programm zu machen, damit die vielfältigen Interessen zusammengefaßt werden konnten. Es war auch notwendig, damit die Institution ein Profil nach außen gewinnt.

F.A.: Wie waren andere Künstlerhäuser in Deutschland aufgebaut?

U.B.: Das Künstlerhaus Bethanien hatte DAAD-Stipendiaten und eine Druckwerkstatt, die jetzt ausgelagert ist. Das Künstlerhaus in Hamburg war ein reines Atelierhaus. Dort waren war Künstlergruppen, aber sie hatten keine Werkstätten, und es war auch keine Institution.

F.A.: Die Technik entwickelte sich ja immer schneller. Wann kam es zu Problemen in der Organisation der Werkstätten?

U.B.: Es gab keine vergleichbaren Strukturen. Deshalb gab es auch Probleme, die Werkstätten mehr oder weniger demokratisch zu verwalten. In einer Druckwerkstatt sind Maschinen, die ändern sich nicht, da Druck eine traditionelle Technik ist. Zur Vermittlung braucht man einen Werkstattleiter mit sehr viel Know-How. Dort gab es nicht soviele Probleme. Bei den elektronischen Medien ist das was anderes. Dort wurde die Entwicklung rasant fortgesetzt, vom Videoband bis zum digitalen Video ist es ein riesiger Schritt. Man muss immer Schritt halten mit den modernsten Techniken. Dazu ist es wichtiger, einen richtigen Techniker zu haben, der die Geräte auf dem Laufenden hält. Ich denke, daran ist auch die Werkstattidee im Künstlerhaus gescheitert, da es für Personalstellen kein Geld gab.

F.A.: Was gab es für Maßstäbe bezüglich der Arbeit in der Videowerkstatt?

U.B.: Der Maßstab war das, was ich in den USA und in Holland in den alternativen Kultureinrichtungen gesehen habe. Dort wurde sehr professionell gearbeitet und es gab sehr gute Kooperationen mit Fernsehsendern und Videogalerien.

F.A.: Wie hat sich die Kommunikationsgruppe in den Jahren zwischen 1975 bis 1986 geändert?

U.B.: Viele, die damals aktiv mitgearbeitet haben, verließen Stuttgart oder arbeiten nicht mehr mit Video. Das hat sich erst in letzter Zeit geändert. Jetzt heißt es in jeder Stadt, bei jeder Kulturbehörde, dass man ein Medienbüro einrichten muss oder dass es ein Medienteam geben muß. Vor fünfzehn Jahren war das nicht aktuell. Außerdem gab es dann die Filmakademie und es kamen immer mehr Institutionen mit Studios auf. Wenn man eine professionelle Arbeit machen wollte, konnte man auch nicht mit den Geräten hier im Künstlerhaus arbeiten. Aber ich denke, wenn man die Geräte wieder auf den aktuellen Stand bringt und gut betreut, interessieren sich sicherlich wieder viele junge Künstler dafür, hier zu arbeiten.

C.K.: Warum kamen nur wenig neue Leute dazu, um die Werkstätten weiterzuführen?

U.B.: Das lag daran, dass die künstlerischen Leitungen nach mir hauptsächlich am Programm und nicht an den Werkstätten interessiert waren.

F.A.: Wie entsteht eine Satzung? Kann jeder seine Ideen einbringen?

U.B.: Es gibt natürlich die Vorstellungen und Ideen, was man haben möchte. Es gibt seriöse Leute, die Vereine verwalten. Wir hatten damals das Glück, Prof. Kurt Weidemann dazu zu gewinnen. Man braucht dazu auch Leute aus der Politik, der Verwaltung und von der Bank. Wir hatten dann auch gleich einen Schatzmeister von der Bank, der sich mit Satzungen auskannte.

F.A.: Was hat zum Beispiel der Aspekt Gruppenexperimente in der Satzung des Vereins Künstlerhaus zu sagen?

U.B.: Das ist eine gewisse Rückversicherung, wenn im Verein plötzlich ein Machtwechsel stattfindet, zum Beispiel wenn die Mitglieder kein Interesse mehr am Verein hätten und der Berufsverband Bildender Künstler würde das Haus übernehmen wollen. Wenn er aber nichts für Experimente übrig hätte, sondern nur eine Institution mit Werkstätten und Ausstellungsräumen wollte, müsste in der Satzung der Passus "Experiment" geändert werden. Dazu bedarf es aber einer gewissen Mehrheit. Eine Satzung ist sozusagen eine Versicherung für die Zukunft.


Interview mit René Straub (Vorstand des Künstlerhauses, Leiter der Siebdruckwerkstatt, (ABR) und Harry Walter (ABR)

Christine Kunze: Wie kam es zu deiner Arbeit im Künstlerhaus?

Harry Walther: Die Kontakte entstanden in der Neuen Weinsteige, die von Rudolf Bumiller, Achim Kubinsky; Heinz Legler und Hella Böhm geführt wurde. Ich war dort als "Dozent“ tätig. Ich komme aus der Theorie, d.h. ich habe Kunstgeschichte und Philosophie studiert. Der Kunstbegriff war sehr offen, deshalb spielte es keine Rolle, daß ich nicht aus dem künstlerischen Bereich kam. Bereits 1978 hatten wir unten, im jetzigen Café, eine Ausstellung, die hieß "Projekt Nr. 3“. Weiterhin war ich sehr früh im Bereich des Künstlerhauses engagiert.

C.K.: Wann entstand ABR?

H.W. Ich habe René Straub und Gerrit Hoogerbeets im Künstlerhaus kennengelernt. Gerrit hatte zusammen mit Arnold Walz das IGLG gegründet. Am Anfang von ABR war Otto Kränzler, Uli Bernhardt, Gerrit Hoogerbeets, René Straub und ich dabei. Wir hatten damals überlegt, daß man was tun muß, um die laufende Ausstellungstätigkeit des Künstlerhauses zu reflektieren. Die ursprüngliche Idee war, ein Archiv zu gründen, in dem wir die Hinterlassenschaften der Ausstellungen und die Dokumente, die entstehen, sammeln und auswerten. Wir wollten uns am Künstlerhaus mit der Auswertung dieser schnelllebigen vergänglichen Ausstellungspraktiken beschäftigen. Von dieser Idee ist aber nach kurzer Zeit nicht viel übriggeblieben und es entstanden neue Ideen. Heute arbeiten wir auch nur noch zu zweit, d.h. René Straub und ich.

René Straub: Ich arbeitete 1979 im Rahmen des "Internationalen Künstlerkongress“ als "Hostess“ für die internationalen Künstler, da jemand gesucht war, der Englisch sprechen konnte. Während der Ausstellung "Europa 79“ entdeckte ich das Künstlerhaus. Dort traf ich Leute, die ich noch von meiner Akademiezeit kannte, wie zum Beispiel Ulrich Bernhardt. Das Künstlerhaus war für mich der interessanteste Ort in Stuttgart, da es ein Zentrum für Medienkunst war. Ich übernahm dann eine Position im Beirat und wurde 2. Vorsitzender. Im Beirat lernte ich Harry Walter kennen und wir stellten fest, daß wir ähnliche Interessen hatten. Wir waren der Ansicht, dass die wichtigen Dinge in der Kunst "gemacht sind“ und wir fanden es wichtig, durch Kombination oder Umgruppierung von bereits Vorhandenem neue Beziehungen herzustellen.

H.W.: Wir wollten auch etwas gegen den Begriff der "Selbstverwirklichung“ tun und wir wollten das Subjekt subversiv unterlaufen, so dass ABR auch lange Zeit ohne die dahinterstehenden Namen fungiert hat. Aber diese Idee schlug schnell wieder in Mystik um. Es war so gedacht, dass möglichst viele Leute bei ABR mitmachen konnten, jedoch anonym. Es sollte keine Rolle spielen, wer was bei ABR machte.

C.K.: Inwiefern hatte ABR etwas mit dem Künstlerhaus zu tun?

H.W.: Wir hatten von ´85 bis ´89 ein Atelier im 3. Stock. Zum Beispiel haben wir bei META mitgearbeitet.

C.K.: René, du hast die Siebdruckwerkstatt gegründet?

R.S.: Ich hatte großes Interesse an Siebdruck. Es gab hier im Haus ein Kunstdruckatelier. Dort habe ich die Technik gelernt. Es gab dann vom Künstlerhaus Zuschüsse, und ich habe hier Plakate gedruckt. Das war der Anfang und ich habe dann sämtliche ABR-Plakate hier im Künstlerhaus realisiert.

C.K.: René ist heute 1. Vorsitzender. Arbeitest du seit der Gründung des Künstlerhauses konstant im Beirat, bzw. im Vorstand?

R.S.: Es gab eine zehnjährige Unterbrechung. Als Ute Meta Bauer kam, habe ich mich aus den Funktionen zurückgezogen. Ich habe das Künstlerhaus aber trotzdem immer wahrgenommen, indem ich Ausstellungen besucht und die Werkstätten benutzt habe. Erst jetzt, seit Fareed Armaly der künstlerische Leiter ist, bin ich wieder aktiv tätig.

C.K.: Was hat dich speziell am Künstlerhaus interessiert?

H.W.: Was mich und viele andere am Künstlerhaus fasziniert hat und immer noch fasziniert, ist, dass hier viel Kunstsparten ohne Vorsortierung zusammenkommen. Am Anfang gab es Literatur, Photographie, Siebdruck, künstlerische Veranstaltungen. Es ist alles zusammengeprallt und es war unwichtig zu fragen, wer hier welche Kunst macht und wer Theorie. Das war eine sehr interessante Durchmischung. Dies erlaubte auch, ganz neue Projekttypen zu denken. Heute ist das ja nicht mehr neu, aber Kunst mußte damals erst einmal als offene Tätigkeit begriffen werden. Auch war die Institution Künstlerhaus nicht verwaltungstechnisch in Sparten abbildbar, obwohl es Werkstätten gab. Das ist aber gleichzeitig auch der wunde Punkt. Die Werkstätten brauchen Equipment, Hardware und Etats. Sie werden aufgrund dieser Problematik immer stärker in einer Starre repräsentiert, als es eigentlich vom Konzept der Werkstätten her hätte sein sollen. Hier wurden Dinge realisiert, die keine andere Institution so hätte realisieren können.


Otto Kränzler (Gründer und Leiter der Audiowerkstatt)

Christine Kunze: Du leitest seit über 20 Jahren die Audiowerkstatt im Künstlerhaus. Wie kam es dazu, eine Audiowerkstatt in einem Künstlerhaus zu gründen?

Otto Kränzler: Das war ähnlich wie bei der Stuttgarter Kommunikationsgruppe. Wir, einige Studenten der Musikhochschule, hatten zuerst ein privates Tonstudio in in der Alten Weinsteige, in dem wir die Möglichkeit hatten, zu experimentieren. Wir waren auf der Suche nach neuen Wegen. Einer davon war, den Kontakt zu anderen Kunstrichtungen zu suchen und nicht Musik als isoliert für sich zu betrachten. Wesentlich für die Gründung der Audiowerkstatt im Künstlerhaus, waren auch die Kontakte mit der Kunstschule in der Neuen Weinsteige, die von Hella Böhm, Heinz Legler, Rudolf Bumiller und Achim Kubinsky geführt wurde. Dort kamen wir auch zum ersten Mal in Kontakt mit den Leuten der Stuttgarter Kommunikationsgruppe und begannen bereits die ersten gemeinsamen Projekte. Damals habe ich für ein Jahr Praktikum beim WDR, bei Stockhausen, absolviert. Dadurch habe ich viel von der Praxis kennengelernt. Ulrich Bernhardt hatte dann die Idee, ein Künstlerhaus zu gründen. Dort sollten Produktionsmittel für Künstler zur Verfügung gestellt werden. Viele Leute, die an der Akademie oder an der Musikhochschule mit dem Studium fertig waren, konnten die Räumlichkeiten der Hochschulen nicht mehr nutzen. Beim Radio hatten die wenigsten Zutritt, private Tonstudios waren zu teuer. Man konnte sich zwar manchmal Geräte von der Hochschule ausleihen, und es entstand die Idee, dass die Produktionsmittel öffentlich und für Künstler bezahlbar sein müssen. So entstand der Werkstattgedanke. Man wollte selber bestimmen können. Uli Bernhardt fragte uns, ob wir nicht im Künstlerhaus etwas mit Musik machen wollten. Wir fanden das sehr interessant. Ziel war, ein Studio mit öffentlicher Förderung zu konfigurieren, jenseits von akademischen Vorstellungen. Wir waren nicht an Instrumenten interessiert, sondern an Bauteilen, mit denen wir völlig frei unsere eigenen Sachen zusammengestellt haben. So konnte man als Musiker selbst entscheiden, welche Geräte man verwenden wollte. Nicht wie an der Hochschule, wo alles vorgegeben war. In der Werkstatt waren Leute mit verschiedenen Herkünften, wie zum Beispiel Pianisten oder Komponisten. In der Praxis gab es aber diese Unterteilung nicht, sondern jeder hat ganzheitlich mitgearbeitet.

C.K.: Wie war es für dich, mit Künstlern zusammenzuarbeiten?

O.K.: Die Künstler waren viel offener als die Musiker. In der Musik herrschte die serielle Komposition vor. Das war ein sehr strenger kompositorischer Ansatz, der auch von der Akademie vertreten wurde. Wir waren auf der Suche nach neuen Stilmitteln. Wir sind im Künstlerhaus mit Leuten in Berührung gekommen, die mit Performance und Multimedia garbeitet haben und wir haben zusammen Projekte entwickelt.

C.K.: Kannst du mir ein paar Projekte nennen, die ihr im Künstlerhaus durchgeführt habt?

O.K.: Eine unserer ersten Initiativen war "Musik für sieben Tage". Es sollte in diesem Zeitraum ständig Musik gemacht werden - mit und ohne Öffentlichkeit. Für diese Idee brachten wir unser ganzes Equipment ins Künstlerhaus und merkten, daß wir hier mehr Möglichkeiten hatten, als in unserem alten Studio. Eine andere Veranstaltung war das "Audio-Art-Symposium“, initiiert von Thomas Ollischer, Ulrich Bernhardt und mir. Musik sollte der Suttgarter Öffentlichkeit als "Audio-Art" präsentiert werden, was damals sehr unbekannt war. Es gab heftige Debatten seitens der Fachleute für die Zeitung, ob es "Audio-Art" überhaupt gibt. Aber diese Veranstaltung hat Früchte getragen und es gab dann immer im Abstand von vier Jahren weitere Symposien, z.B. in Belgien, in Holland und in Österreich, die sich von uns abgeleitet haben. Wir haben auch ein "Computermusikfest“ organisiert. Es entstanden damals die ersten Kleincomputer, mit denen man Musik machen konnte. Im Künstlerhaus konnte man mit dem ersten volldigitalen Musikcomputer arbeiten. In Stuttgart gab es sonst keine Möglichkeit dazu. Es gab nur riesengroße Analogsynthesizer. Wenn man damit Computermusik machen wollten, lief das über das Rechenzentrum. Für zehn Minuten Musik musste man eine Nacht lang rechnen.

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