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Transaction

10 / 10 / - 24 / 11 / 2000
Ausstellung / Präsentation

Transaction
Nomeda und Gediminas Urbonas (LT)

Vortrag / Präsentation früherer Arbeiten, Fernsehproduktionen
sowie des von den KünstlerInnen initiierten Kunstraums Jutempus.

06 / 10 / 2000

Transaction
Session
Frauen
Psychologie
Filmauswahl
Filmliste + Synopsis

english

Das neueste Projekt des in Vilnius lebenden litauischen Künstlerpaars Nomeda und Gediminas Urbonas beschäftigt sich mit Fragen der zeitgenössischen Kunstpraxis unter besonderer Berücksichtigung der veränderten Bedingungen innerhalb der litauischen Gesellschaft nach 1989. Die KünstlerInnen arbeiten mit einer Anzahl unterschiedlichster Produktions- und Distributionsformen, die zumeist im Bereich der Massenmedien angesiedelt sind. Sowohl die jüngsten Fernsehproduktionen, wie auch das im Entstehen begriffene Research- und Ausstellungsprojekt "Transaction" stellen bezeichnende Beispiele für die künstlerischen Strategien der Urbonas dar. Die Auseinandersetzung mit der Medienöffentlichkeit zeigt sich an ihrem Engagement im Rahmen des von ihnen 1995 in Vilnius gegründeten Kunstraums 'Jutempus', Litauens erster derartiger von KünstlerInnen betriebener Initiative. Dort entwickelten sie eine Plattform für zeitgenössische Kunstpraxis, die sich sowohl mit der lokalen Situation, wie auch mit internationalen Tendenzen auseinandersetzte. Von dieser Plattform ausgehend setzten sie ihre Arbeit später mit Projekten im Bereich öffentlicher Medien wie dem Fernsehen fort.

Das Projekt "Transaction" nahm seinen Anfang in Vilnius. Die KünstlerInnen begannen mit einer Reihe von Recherchen über die psychologischen Auswirkungen, welche die abrupten gesell-schaftlichen Umwälzungen von 1989 auf verschiedene Generationen von Frauen aus unter-schiedlichen Bereichen herbeigeführt hatten. In diesem Zusammenhang benützten die Urbonas ein analytisches Verfahren, das unter dem Begriff der "Transaktionsanalyse" zusammengefasst wird. In jüngerer Zeit erlebte diese analytische Methode eine Art von therapeutischem Revival. Es handelt sich hier um eineForm von Therapie und Behandlung, innerhalb welcher der Patient/die Patientin mit einem "script" konfrontiert wird, durch welches er/sie in die Lage versetzt werden soll, die traumatischen Fundamente problematischer psychischer Dispositionen erkennen und diese innerhalb einer Re-Narration artikulieren und analysieren zu können.

Die Arbeit fokussiert besonders auf die Periode unmittelbar nach der litauischen Unabhängigkeit vom Sowjetregime, während welcher bedeutende gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen stattfanden. Diese Veränderungen führten bei einem grossen Teil der litauischen Bevölkerung zu einem allgemeinen Gefühl von Desorientierung und Verunsicherung. Die Unsicherheiten bezüglich gegenwärtiger und zukünftige Perspektiven verhinderten entscheidende gesellschaftliche Entwicklungen und führte zu einer Art von nationaler 'Paralyse'. "Transaction" beschäftigt sich mit der Funktion künstlerischer Praxis innerhalb einer Gesellschaft. Die Gedächtnisse und Speicher der Medien werden als Ausgangspunkt für ein script benützt, das es ermöglicht, aus einer gewissen Distanz den Zustand eines gesamten Landes zu reflektieren und zu analysieren. Dieses script fügt sich in das 'Drehbuch' der Gegenwart ein, in ein Szenario, das die Situation im heutigen Litauen beschreibt.

Das Projekt gliedert sich in verschiedene Phasen. Zuerst wurden Interviews mit Frauen aus verschiedenen Bereichen geführt, darunter Programmiererinnen, Filmemacherinnen, Künstlerinnen und eine Philologin. Man ging von einem Gespräch aus, das um das Thema litauischer 'Kult'-Filme kreiste, in denen vor allem Frauen eine wichtige Rolle spielen. Das aus diesen Diskussionen generierte Material wurde benützt, um einerseits den Prozess der 'Transaktion' selbst sichtbar zu machen, und andererseits als Research-Archiv zu fungieren, das die veränderte Selbstwahrnehmung litauischer Frauen in den Medien dokumentieren soll. Durch dieses Material wird das komplexe und vielfach gebrochene Bild einer weiblichen Identität sichtbar,die sich sowohl durch die Vorstellung eines westlichen, emanzipatorischen Prozesses formuliert, als auch durch das antagonistische sowjetische Ideal von Mutterschaft.

In der zweiten Phase des Projekts wurden RepräsentantInnen des litauischen Gesundheitswesens sowie LeiterInnen psychiatrischer Kliniken eingeladen, ausgesuchte Filmsequenzen zu diskutieren, auf welche die zuvor interviewten Frauen in ihren Gesprächen Bezug genommen hatten. Auch die Interviews wurden in diesen diskursiven Prozess integriert.
Alle TeilnehmerInnen der zweiten Projektphase gelten als ExpertInnen auf dem Gebiet der Transaktionsanalyse. Es ist entscheidend anzumerken, dass die Analyse sich auf das gemeinsame kulturelle Terrain des Kinos, und auch auf die in diesem Zusammenhang geführten Interviews bezieht, in denen die Filme besprochen oder auch nur in Erinnerung gerufen werden sollen. Das schliesslich daraus entstehende 'script' verlagerte die Diskussion weg vom individuellen Subjekt zu einer gemeinsamen gesellschaftlichen Perspektive. Durch diese Auseinandersetzung mit verdrängten Materialien mittels der Institutionen des Kinos im Besonderen, und der Massenmedien im Allgemeinen, gelang es den KünstlerInnen, ihr eigentliches Thema zu formulieren: die Frage danach, durch welche Mittel der Zustand allgemeiner Paralyse zu bewältigen sei, in dem die litauische Gesellschaft seit der Revolution zu verharren scheint.

Die erste Präsentation dieses Projekts fand im Witte de With Art Center in Rotterdam statt. Die verschiedenen Stränge der Arbeit verliefen entlang eines Prozesses der Freilegung zuvor verborgener und verdrängter Erinnerungen und Stimmen der TeilnehmerInnen. In seiner zweiten Phase wird eine veränderte, neue Version von "Transaction" im Rahmen des haus.0 Programmes präsentiert. Nomeda und Gediminas Urbonas betrachten das Programm dieser Institution, das auf die Bereiche von Medien, Architektur und einem kontinuierlichen Research von 'scripted spaces' konzentriert ist, als geeignete Plattform, um ihre Vorstellungen einer zeitgenössischen Kunstpraxis umsetzen zu können, und "Transaction" in Form einer narrativen Strategie zu entfalten, die integralen Bestandteil einer solchen Auffassung darstellt. Ihre eigene künstlerische Praxis fügt sich in den Ansatz der Institution, die einen Raum umreisst, der sich aus unterschiedlichen kuratorischen Methoden und Modellen, aus der Fokussierung auf Medien, TV Produktionen und Research, auf Dokumentation und einen Prozess des 'Scriptings' des Zeitgenössischen konstituiert. Dieses haus.0 Projekt wird nicht nur die nächste Phase von "Transaction" eröffnen, sondern ein Netzwerk herstellen, über welches sich dieses Material mit anderen Projekten verbindet - darunter auch mit der von den KünstlerInnen hergestellten TV Serie, die sich mit der Rolle von KünstlerInnen im Litauen von heute befasst.


Übersetzung: Constanze Ruhm

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