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Titel: Pause
Autor: Norman M. Klein
Eine Zusammenfassung: Wohin sich die Zeichentrickfilme nach 1934 entwickeln
Ein Auszug aus dem Buch Seven Minutes: The Life and Death of the Animated Cartoon

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Pause

Norman M. Klein

 

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Um mein Argument bis hierhin nochmals zusammenzufassen: Der Zeichentrickfilm hat eine komplexe Syntax, die sogenannte Anti-Story (grafische Erzählung, verrückter Zeitbegriff, überdrehte Charaktere, verdrehte Gags und Inszenierung). Die Umrißlinien dieser komplizierten Narration wurden in der Zeit zwischen 1928-34 festgelegt, mit der Aufnahme/Einführung des Tons in den Zeichentrickfilm und der Übernahme vieler formaler Elemente aus den Comics der zwanziger Jahre, sowie Anlehnungen an Illustrationen aus dem 19. Jahrhundert (und den Comics von 1890).

Von 1934 bis 1936 wurde der Gebrauch dieses Vokabulars jedoch eingemottet. Sichtbare Änderungen, angelehnt an das Filmmarketing, führten zu fundamentalen Veränderungen in der Zeichenweise, des Geschichtsaufbaus und der Gags. Animation drehte sich immer mehr um den Aspekt der Verfilmung und weniger um die Zeichnung, das gedruckte Bild oder die verrückten Einfälle. Das Ergebnis war, daß vollkommen neue Systeme um den sogenannten ganzheitlich animierten Film entstanden.

Aber wie auch immer die Veränderungen waren, ich sehe Animation (ganzheitlich oder nicht) als ein Ankämpfen gegen die zwangsläufige Anarchie, die Animation erst effektiv macht. Die ganzheitliche Animation ist ein Paket, das jederzeit zu explodieren droht, immer gegen sich selbst und seine Natur ankämpfend. Das ist es auch, warum Animation so faszinierend ist. Dieser Punkt wird deutlicher werden, wenn ich zu den fünfziger Jahren komme, der Welt der am Verbraucher orientierten Grafiken, dem Marketing und Fernsehen. Auch wird dies das Ergebnis der Veränderungen über drei Jahrzehnte erklären. Ich möchte den Leser daran erinnern, daß während wir von einer Stiländerung zur nächsten eilen, daß, was insgesamt wichtig ist, am Comic als historisches Dokument, nicht aus den Augen verloren werden sollte. Ich werde nicht weiter darauf eingehen, wie sich dieses Beweismaterial zu anderen verhält, wie die Historiographie Veränderungen in der Animation sieht. Ich werde gelegentlich einige Abschnitte des Melodramas, des Antimelodramas oder des Prämelodramas einfügen. Diese sollen wie Nebenbemerkungen funktionieren, um den Leser daran zu erinnern, daß Animation älter als das Kino ist, genauso wie Pantomime älter als das Drama. Animation ist auch ein weiteres Beispiel dafür, daß die Postmoderne schon im 14. Jahrhundert begonnen haben könnte, als sich der Karneval in Richtung Comedia dell' Arte verschob.

Ich kann diese Betrachtungen nur anstellen, da sie das zentrale Thema des Buchs unterstützen. Aber ich möchte auch, daß der Leser das sekundäre Thema sieht. Ich möchte nicht, daß es übersehen wird. In mehrfacher Hinsicht untersuche ich die Geschichte der Wahrnehmungsweise des Publikums genauso wie die Geschichte des amerikanischen Comics. Nach 1934 kann eindeutig der Rückgang der Druckmedien als einziges publikumsbeeinflußendes Medium festgestellt werden, anhand der Hintergrundgestaltung, Animations- und Darstellungstechnik. Der Zeichentrickfilm enthüllt sprichwörtlich den deutlichen Paradigmenwechsel. Er dokumentiert sehr präzise wann sich das Publikum von der gedruckten Unterhaltung ab- und der Kinounterhaltung zuwendet. So wird man in den Kapiteln über die Fünfziger sehen, wie der Zeichentrickfilm auf die neue, am Verbraucher orientierte Fernsehindustrie reagiert. Denn auch hier finden sich eine ganze Menge an Beweisen.

Was sagt uns das Beweismaterial Zeichentrickfilm über die Geschichte der Medien? Es sagt uns, daß die Medien anhand dem an was sich das Publikum erinnert, untersucht werden müssen (Unterhaltung, Freizeitbeschäftigung, persönliche Details, Geschichte, Politik). An einem bestimmten Punkt wurden diese Erinnerungen den Druckmedien überlassen, dann dem Film und jetzt dem Video. Aber die Aufzeichnungen des Zeichentrickfilms raten uns vorsichtig mit der Kohlenstoffdatierung zu sein. Nach dem Zeichentrickfilmbeweis braucht es eine ganze Weile für einen Kreislauf wie diesen. Entgegen der Popularität des Mediums Film waren die Zwanziger immer noch eine Ära der Druckmedien. Erst Ende der Dreißiger gibt es einen wirklichen Zeichentrickfilmbeweis, daß der Film begonnen hat, die Art und Weise, wie das Publikum Erinnerungen speichert, zu ersetzen.

Dieser Ansatz wurde auch vom Fernsehen in den frühen Fünfzigern genutzt, welches für einen Großteil des Publikums hauptsächlich Radio mit Bildschirm war. Seine Auswirkung auf die Art, wie sich das Publikum erinnert, wird erst in den Siebzigern sichtbar (mit dem "Krieg der Sterne" werden neue Spezialeffekte eingesetzt, neue Wege des sich wiederholenden Genres Kino und Fernsehen beschritten, neue Formen des Film- und Videoschnitts beginnend mit der Video/Computer Ära).

Eine andere Frage ist: Warum sind Zeichentrickfilme in diesem Fall so nützliche Dokumente? Dafür gibt es eine ganze Menge von Gründen, welche ich noch näher besprechen werde während ich fortfahre. Animation muß, mehr als jedes andere mir bekannte Gebiet der Massenkultur, von Veränderungen der Wahrnehmung geleitet werden, außer vielleicht die Werbung. Zeichentrickfilmgags, die als lustig gelesen werden sollen, müssen auf den zu einer bestimmten Zeit bekannten Schmerz und die Verlegenheit anspielen und diese in Form von Unterhaltung zeigen. Die Welt, welche die Zeichentrickfilme auf den Kopf stellen, muß sichtbar in engem Zusammenhang mit einem bestimmten Jahr stehen. So liebt das Publikum heute immer noch Zeichentrickfilme aus dem Zweiten Weltkrieg, obwohl wir wahrscheinlich nicht fähig sind, alle Gags über das Rationieren oder die Notwendigkeit des Reisens zu verstehen. Etwas von dem, was den Zeichentrickhumor ausmacht, scheint eigenen Codes zu unterliegen. Das bedeutet nicht, daß Humor die internationale Sprache ist. Ganz im Gegenteil. Es bedeutet, daß Humor nur in seinen eigenen zeitlichen Grenzen lustig ist.

Der letzte Abschnitt zwingt einem die Frage auf: warum lacht das Publikum fünfzig Jahre später immer noch über eine Welt, die es längst vergessen hat? Ich glaube, daß das Publikum lacht, weil die Menschendarstellung in den Zeichentrickfilmen auf so scharfsinnige Weise angeordnet ist: Gesten, Aussprüche, Charaktere, alles ist miteinander verwoben und so gut aufeinander abgestimmt. Die Idee, daß Disney Filme zeitlos sind, neigt dazu, die wichtige Modernität, die den Zeichentrickfilm lustig macht, zu verzerren. Sie sind ihre eigenes Markenzeichen von ethnischen Wechselbeziehungen.
Zeichentrickfilme sind deshalb zeitlos, weil sie so aussehen und auch so anfühlen wie das Jahr, in dem sie entstanden sind. Sie sind eine auf den Kopf gestellte Version von Unterhaltungs-  und Verbraucherritualen, die zu der Zeit populär waren. Als historische Dokumente sind sie unbezahlbare Reisen in das Signified. Vor kurzem erst, wie ich in der Zusammenfassung darlegen werde, hat uns diese Reise hin zur Animation in der Architektur, den Spezialeffekten im Kino, Fernsehen und Musikvideoschnitt, sowie den Computern am Arbeitsplatz (und im Krieg) geführt. Die Auswirkungen würden ein neues Buch ergeben ja sogar ein ganzes Regal mit Büchern füllen. Diese Buch muß bescheidener sein sich mit sieben Minuten begnügen.

Um den Text nicht mit verwaschenen Theorien über Wahrnehmung und Medien zu überladen, wie jemand der versucht, zu schnell auf einen Anrufbeantworter zu sprechen, möchte ich für eine Weile innehalten und den Leser auf einige offensichtliche Implikationen hinweisen, die zwar nicht primär, aber auf jedenfall vorhanden sind. Sie sind eine Subplot. Und das ist ein entr' acte.

Die Geschichte der Wahrnehmung in der Unterhaltung muß eine zweitrangige Stellung einnehmen (ausgenommen einige wenige Ausnahmen, die so gut wie möglich in den Gesamttext eingefügt werden sollen). Mein Hauptziel ist es, ein Zeichentrickfilmvokabular zu erstellen. Ich möchte die versteckten Möglichkeiten dieses so scheinbar unschuldigen Gebiets des amerikanischen Kinos zeigen und sicherstellen, daß das Vokabular auch wirklich von historischen Belegen stammt (Interviews, Filmen, Dokumenten, des Verfahrens selbst).

Der Wortschatz ist äußerst mitteilsam in jeder Hinsicht. Es ist die Geschichte von der Eroberung einer Industrie oder der Eroberung des Betrachters, und wie sich Charaktere gegenseitig erobern. Es ist äußerst bemerkenswert, daß das Vokabular über Generationen hinweg selbst stärkstem Angriff standgehalten hat. Sein anarchischer Modus war überraschend langlebig. Entgegen der Probleme und neuer Methoden, das sich früh herauskristallisierende System amoraler und anarchischer Zeichnungen blieb von 1928 bis 1960 sich in immer neuer Weise wiederholend, erhalten. Der ständig mutierende Wortschatz hinterließ seine Zeichen auch auf den Mauern, über Sozialgeschichte und Wahrnehmung, sowie über die Erforschung des Gags.
Ich möchte, daß der Schreibstil dieses Vokabular ehrt. Das begrenzt meine Möglichkeiten zu bewerten und als Historiker immer noch meine Aufgabe zu erfüllen. Je besser die Konstruktion  des Schiffs desto mehr kann es tragen. Und ich versuche das Schiff so gut wie möglich zu konstruieren, um es in Zukunft noch ausbauen zu können und möchte nicht versuchen gleich das Universum einzuplanen. Mein Stil ist es zuerst einmal, mit breitem Pinselstrich zu schreiben, manchmal scheint es mir so als würde ich mit einer Feder schreiben, die mit einem stumpfen Messer zugeschnitten wurde. Ich möchte aber so schreiben, daß die verkürzte Sprache derer, die ich interviewt habe, ihre Musik und ihre Filme geehrt werden, daß sie wahrheitsgetreu wiedergegeben werden. Denn das sind die Zeichentrickfilme, eine Welt in Miniaturausgabe, hergestellt von begabten Flickschustern. Man muß einen Animator bei der Arbeit gesehen haben, um zu verstehen, was das alles bedeutet. Oft ist das, was herausgeschnitten wird, ein Juwel an sich. So durchsuchten viele Menschen, selbst Müllmänner, am Wochenende den Abfall im alten Disney Hyperion Studio. Nachbarn schmissen oft herumstreunende Katzen über den Zaun, weil sie glaubten, daß Disney etwas mit den kleinen Tieren anfangen, sie vielleicht flach in eine Zelle einfügen und ihnen eine lustige Stimme geben könnte. Die Politik des Unschuldigen kann oft sehr pervers sein.

Aber die Geschichte der Wahrnehmungsweise des Publikums kann anhand der Zeichentrickfilme erzählt werden; sie verläuft von den Druckmedien über das Kino zum Video. Ich muß das irgendwo betonen. Der Beweis ist belegbar durch Tausende von 500-Fuß Filmrollen. Zeichentrickfilme sind eine Enzyklopädie der Anspielungen und der Brechungen, wie ich im Vorwort und dem Nachwort erkläre. Diese Zusammenfassung ist so etwas wie eine Kaffeepause zwischen zwei anderen. Hoffentlich kann sie einen Moment bieten um zu überprüfen, daß das, was Sie von diesem Buch erahnen, das ist was ich bezwecken möchte, eine vielschichtige Reise durch die Anarchie und den Pluralismus des amerikanischen Zeichentrickfilms, von 1928 bis 1960, seine Hauptfiguren und  -techniken.

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